Ikonografische Differenzen der Basilisken-Darstellung in J.K. Rowlings Harry Potter-Universum und der Ebstorfer Weltkarte

Die Darstellung des Basilisken als Schlangenwesen in J.K. Rowlings Harry Potter-Universum und ihre intertextuellen Bezüge

Wie bereits im ersten Artikel zum Basilisken erläutert, stellt der Basilisk in J.K. Rowlings Harry Potter-Universum ein übergroßes, monströses Schlangenwesen dar. In Harry Potter and the Chamber of Secrets (1998) wird er als „snake, which may reach gigantic size“1 beschrieben und in Fantastic Beasts and Where to find them (2001) als „brilliant green serpent that may reach up to fifty feet in length”.2 In der Ausgabe von Fantastic Beasts and Where to Find Them von 2017 ist der Eintrag zum Basilisken zudem mit einer antikisierenden Illustration versehen, die den Basilisken ebenfalls als übergroße Schlange darstellt.3 Der Topos des Basilisken als Schlange geht, wie im ersten Artikel zum Basilisken bereits herausgestellt wurde, bis auf die Antike zurück und findet auch im Mittelalter seine Kontinuitäten. Er findet sich u.a. in Schriften von Plinius dem Älteren, sowie bei Solinus, des Weiteren in den mittelalterlichen Etymologiae von Isidor von Sevilla und in erzählenden mittelalterlichen Literaturen. Während der Basilisk bei eben jenen noch eindeutig als Schlangenart identifiziert wird, finden sich auf karolingischen Elfenbeinbuchdeckeln aus dem 9. Jahrhundert Darstellungen des Basilisken als Mischwesen aus Hahn und Schlange.  4Diese alternative Ikonografie des Basilisken als Mischwesen findet sich ebenfalls auf der Ebstorfer Weltkarte wieder. Doch wie kam es zu diesen ikonografischen Differenzen? Im Folgenden soll anhand von mehreren Beispielen aus der mittelalterlichen Literatur die Bedeutungsgeschichte des Basilisken als Mischwesen skizziert und Ansätze zur Erklärung der alternativen Ikonografie aufgezeigt werden.

Abb. 1: Detail des Elfenbeineinbandes eines Codex aus der Abtei St. Faro bei Meaux, um 800. Oxford, Bodleian Library (nach Goldschmidt, Adolph: Die Elfenbeinskulpturen aus der Zeit der karolingischen und sächsischen Kaiser. 8–11. Jahrhundert, Berlin 1914)

Der Basilisk auf der Ebstorfer Weltkarte

Die Ebstorfer Weltkarte wird um das 13. Jahrhundert datiert. 5 Auf der Karte ist ein schwarzes Wesen zu sehen, das primär einem Hahn ähnelt und dessen Rumpf in einen schlangenartigen Schwanz übergeht.6 Daneben befinden sich Darstellungen einer Natter und eines Drachen, sowie ein Flussbild, welches den Unterlauf des Nils darstellt.7 Die Abbildungen sind mit lateinischen Inschriften versehen, die übersetzt lauten:

AZANICUS oceanus, j. Golf von Aden.
Drache.
Natter.
Basilisk.

In dieser Gegend kommt der Basilisk vor, ein auf Erden einzigartiges Untier. Es ist eine Schlange von einem halben Fuß Länge und hat etwas wie eine weiße Binde um den Kopf. Er bewegt sich mit der Körpermitte vorwärts, der übrige Körper bleibt starr aufgerichtet.8

Die Inschrift verhält sich hier also fast schon konträr zur bildlichen Darstellung. Es werden zudem intertextuelle Bezüge zu Plinius deutlich, der den Basilisken ebenfalls als Schlange, zwar nicht mit einer weißen Binde, jedoch mit einem „weißen Fleck“, beschreibt, „der ihn wie ein Diadem schmückt“.9 Darüber hinaus bewegt sich der Basilisk bei Plinius ebenfalls aufrecht fort.10 Kugler führt zudem Isidors Etymologiae als eine der Hauptquellen für die Ebstorfer Weltkarte an, die auf der Karte explizit zitiert werden.11 Für Kugler kommen auch literarische Quellen, wie der Alexanderroman, für die Karte in Frage. 12 Jedoch erklären diese Quellen nicht die Darstellung des Basilisken als Mischwesen aus Hahn und Schlange.

Abb. 2: Detail der Ebstorfer Weltkarte mit Basiliskendarstellung

Der Basilisk als Mischwesen und seine alternative Ikonografie

Der Hahn und der Basilisk treten bereits in den antiken Schriften De natura animalium von Claudius Aelianus (ca. 170-222)13 gemeinsam auf. Dort wird der Hahn allerdings als Schutz vor dem Basilisken beschrieben – der Basilisk fürchte den Hahn und sterbe durch sein Krähen:

Der Löwe fürchtet sich vor dem Hahn. Auch der Basilisk, heißt es, schaudert vor ihm, zittert bei seinem Anblick, und bei seinem Krähen verfällt er in Krämpfe und stirbt. Die Kaufleute, die durch Libyen reisen, wo besagter Basilisk lebt, den sie fürchten, nehmen als hilfreichen Reisebegleiter einen Hahn mit. Der hält ihnen diese Gefahr fern.14

Hier findet sich wiederum eine Parallele zum Harry Potter-Universum, da Ginny Weasley unter dem Bann von Tom Riddle, dem Erbe Slytherins und Herrscher über den Basilisken, Hähne tötet, die dem Basilisken gefährlich werden könnten. 15 Darüber hinaus findet sich auf der zusammengeknüllten Buchseite, die Ron und Harry in Hermines versteinerter Faust finden, die Information „the Basilisk flees only from the crowing of the rooster, which is fatal to it“.16

Der Kirchenschriftsteller Johannes Cassianus aus dem 4. Jahrhundert stellte in seiner Schrift De incarnatione Christi contra Nestorium heraus, dass es Geburten gäbe, die innerhalb der Natur, aber außerhalb ihrer Gesetze stattfänden.17 In diesem Zusammenhang versieht er die Geburt einer Schlange, namentlich die des Basilisken, aus einem Ibisei mit dem Prädikat „unbezweifelbar“: „ex ouis uolucrum, quas in Aegypto hibes uocant, basiliscos serpentes gigni indubitabile est.“ 18 („aus den Eiern der Vögel, die in Ägypten Ibisse heißen, entstehen ohne Zweifel Basiliskenschlangen“19). Die Theorie von der Geburt des Basilisken aus einem nur in Ägypten anzutreffenden Ibisei wurde bald durch die Theorie von der Geburt des Basilisken aus dem Ei eines sieben-, neun- oder 14-jährigen Hahnes ersetzt, was zur Folge hatte, dass das Vorkommen des Basilisken sich nun nicht mehr nur auf Afrika beschränkte.20

Die Theorie von der Geburt des Basilisken aus einem Hahnenei hatte jedoch nicht nur Befürworter. Bereits Albertus Magnus versuchte vergeblich in seinem Sammelwerk De animalibus, was er vermutlich 1258-1263 schrieb, 21 diese Theorie aus der Welt zu schaffen:

Some say as well that there is a particular genus of basiliscus that flies, but I have not read about this in the books of the wise philosophers. Some also say that it is born from the egg of a cock, but this is most surely false and impossible. When Hermes teaches that the basiliscus generates in a glass container, he does not mean the true basiliscus but rather a certain elixir used in alchemy by means of which metals are changed.22

Besonders interessant ist hier, dass Albertus Magnus einen fliegenden Basilisken erwähnt, dessen Existenz er jedoch nicht durch die weisen Gelehrten bestätigt sieht. Dies könnte ein Hinweis auf die Vorstellung vom hahnenähnlichen Basilisken sein.

Hildegard von Bingen hingegen beleuchtete im 8. Buch ihrer Physica, welche wohl 1151-1158 entstand, 23 die Geburt des Basilisken aus der Sicht der Kröte und festigte damit die Theorie von der widernatürlichen Geburt des Basilisken, egal ob aus einem Hühner-, Hahnen- oder Schlangenei:

Der Basilisk entsteht aus gewissen Würmern, die etwas von teuflischen Künsten in sich haben, nämlich wie die Kröte. Denn wenn die Kröte manchmal trächtig ist, und wenn sie befruchtet ist, so daß sie ihre Jungen erzeugt, wenn sie dann das Ei einer Schlange oder eines Huhns sieht, dann liebt sie es und breitet sich darüber aus und brütet, bis sie ihre Jungen, die sie auf natürliche Weise empfangen hat, gebiert. Nachdem sie dieselben geboren hat, sterben sie sogleich, und wenn sie dieselben tot sieht, legt sie sich wieder auf das Ei und bebrütet es, bis die Jungen in dem Ei zu leben beginnen. Und alsbald berührt sie von der teuflischen Kunst der alten Schlange eine Kraft, die auch im Antichristen ruht, so daß, wie jener allem Himmlischen Widerstand leistet, auch dieses Tier allen Sterblichen widerstreitet, indem es sie tötet. Aber nachdem die Kröte gemerkt hat, daß es im Ei lebt, staunt sie sogleich über (ihre) unrechte Gewohnheit und flieht. Und dieses (Tier) zerbricht die Schale seines Eies und kriecht heraus, und in seiner Natur stößt es einen sehr starken Hauch aus, der in sich ein sehr herbes und starkes Feuer hat, das auch ohne Höllenqualen sein kann, ähnlich dem Blitz und dem Donner. Nachdem aber (der Basilisk) aus seinem Ei ausgeschlüpft ist, spaltet er alsbald durch die Stärke seines Hauches die Erde beinahe bis zur Tiefe von fünf Ellen, und dort liegt er in feuchter Erde, bis er zu seiner Reife herangewachsen ist. Dann steigt er hinauf zur Erde und tötet mit seinem Hauch alles, was er lebend findet, denn er will und kann nichts Lebendiges dulden.24

Da man in kritischen Kreisen die Genese des Basilisken „aus dem Ei von Federvieh verworfen hatte, konnte sich auch die Stiefmutterschaft der Kröte nicht durchsetzen“. 25 Trotzdem behielt die Vorstellung vom Basilisken als monströses Mischwesen aus Hahn und Kröte ihren Reiz und führte zu einer alternativen Ikonografie des Basilisken. 26  In diese konnten traditionell antike Elemente, sofern sie nicht den Phänotyp des Basilisken betrafen, eingebunden werden. 27 Gleichzeitig findet sich bei Hildegard von Bingen auch womöglich die Inspiration für J.K. Rowlings Basilisk, „[which] is born from a chicken’s egg [and] hatched beneath a toad“.28 Welche Entwicklungen explizit für die alternative Ikonografie ausschlaggebend waren, müsste noch genauer untersucht werden. Jedoch wird deutlich, dass die bildliche Darstellung des Basiliken als Mischwesen aus Schlange und Hahn sich auch in der mittelalterlich naturgeschichtlichen Literatur in Ansätzen widerspiegelt.

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Abb. 1: Schulze-Dörrlamm, Mechthild: Das Steinerne Monument des Hrabanus Maurus auf dem Reliquiengrab des hl. Bonifatius († 754) in Mainz, unter: https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/jahrb-rgzm/article/viewFile/21076/14846, S. 314 [gesehen am 20.08.2018].

Abb. 2: http://www.uni-lueneburg.de/hyperimage/EbsKart/start.html, [gesehen am 20.08.2018]. Weitere Darstellungen unter http://bestiary.ca/beasts/beastgallery265.htm#.

  1. Rowling, J.K.: Harry Potter and the Chamber of Secrets [1998]. London 1999, S. 215.
  2. Rowling, J.K.: Fantastic Beasts and Where to Find Them [2001]. London 2017, S. 7f.
  3. Vgl. Rowling: Fantastic Beasts and Where to Find Them. S. 8.
  4. Vgl. Wehrhahn-Stauch, Liselotte: Basilisk. In: Lexikon der christlichen Ikonographie. Bd. 1. Rom: 1994, Sp. 252.
  5. Kugler, Hartmut (Hg.): Die Ebstorfer Weltkarte. Kommentierte Neuausgabe in zwei Bänden. Unter Mitarbeit von Sonja Glauch und Antje Willing. Digitale Bildbearbeitung Thomas Zapf. Bd. II: Untersuchungen und Kommentar. Berlin 2007, S. 69.
  6. Kugler, Bd. I: Atlas, S. 55.
  7. Kugler, Bd. I: Atlas, S. 55.
  8. Kugler, Bd. I: Atlas, S. 54.
  9. C. Plinius Secundus d. Ä.: Naturalis Historiae. Libri XXXVII. Buch VIII. Zoologie: Landtiere, hg. u. übers. v. Roderich König i. Zusammenarb. m. Gerhard Winkler, Berlin: 22007, Cap. XXXIII, § 78–79/S. 65.
  10. Vgl. C. Plinius Secundus d. Ä., S. 65–66.
  11. Kugler, Bd. II: Untersuchungen und Kommentar, S. 50.
  12. Kugler, Bd. II: Untersuchungen und Kommentar, S. 60.
  13. Aelianus, Claudius: Die tanzenden Pferde von Sybaris. Tiergeschichten. Ausw., Übers., Nachw. und Reg. von Ursula und Kurt Treu.Leipzig: 1978, S. 205-217.
  14. Aelianus, S. 50/3,31.
  15. Vgl. Rowling: Harry Potter and the Chamber of Secrets, S. 150.
  16. Vgl. Rowling: Harry Potter and the Chamber of Secrets, S. 215.
  17. Vgl. Cassianus, Johannes: De incarnatione Christi contra Nestorium. BuchVII, Kap. V. In: Library of Latin Texts, hg. Centre Traditio Litterarum Occidentalium, 2010, S. 360.
  18. Cassianus: De incarnatione Christi contra Nestorium, S. 360.
  19. Sammer, Marianne: Basilisk – regulus: eine bedeutungsgeschichtliche Skizze. In: Müller, Ullrich, Wunderlich, Werner (Hgg.): Mittelalter-Mythen Bd. 2. Dämonen, Monster, Fabelwesen. St. Gallen: 1999, S. 143.
  20. Vgl. Sammer, S. 143.
  21. Fries, Albert/Illig, Kurt: Albertus Magnus. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 1, begr. v. Wolfgang Stammler, fortg. v. Karl Langosch, 2., völlig neu bearb. Aufl., hg. v. Kurt Ruh, Gundolf Keil, Werner Schröder, Burghart Wachinger, Franz Josef Worstbrock, Berlin, New York: 1978, Sp. 127.
  22. Albertus Magnus: De animalibus. Buch XXV, Kap. XIII, In: Albertus Magnus. On animals. A medieval summa zoologica, übersetzt und kommentiert Kenneth F. Kitchell, Jr. und Irven Michael Resnick, Vol. 2, Baltimore 1999, S. 1721.
  23. Vgl. Meier, Christel: Hildegard von Bingen. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 3, begr. v. Wolfgang Stammler, fortg. v. Karl Langosch, 2., völlig neu bearb. Aufl., hg. v. Kurt Ruh, Gundolf Keil, Werner Schröder, Burghart Wachinger, Franz Josef Worstbrock, Berlin, New York: 1981, Sp. 1258.
  24. Hildegard von Bingen: Heilkraft der Natur – „Physica“. Übers. von Marie-Louise Portmann. Hg. von der Basler Hildegard-Gesellschaft. Basel: 1995, S. 510.
  25. Sammer, S. 144.
  26. Vgl. Sammer, S. 144.
  27. Vgl. Sammer, S. 144.
  28. Rowling: Harry Potter and the Chamber of Secrets, S. 215.

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