Das (un-)höfische Monster Karrioz in Wirnts von Grafenberg Wigalois

Der gleichnamige Held Wirnts von Grafenberg Wigalois1 (ca. 1210–1220) trifft im Verlaufe seines Abenteuers neben der zentaurenähnlichen Gestalt Marrien auch auf andere monströse Gegner, wie zum Beispiel die wilde Waldfrau Ruel oder den Drachen Pfetan. Während der dritten Âventiurenreihe begegnet er außerdem Karrioz, einem weiteren Wächter des dämonischen Reiches von Korntin. Neben den ausgeprägten körperlich-monströsen Merkmalen fällt auch Karriozʻ höfisches Auftreten auf. Fasbender schreibt: „Karrioz ist in erster Linie Ritter, er wählt die Waffen des Ritters und wird von Wigalois, der ihn sogleich attackiert, im ritterlichen Zweikampf bezwungen.“2 Aber: „Montur und Körperkonzept stehen, gemessen am Maßstab des höfischen Codes, in einem Missverhältnis“,3 welches im folgenden Artikel näher untersucht werden soll.

Karrioz, der Kampfzwerg

Karrioz bewacht die mit 60 Speeren gespickte Brücke, die nach Glois führt. Zunächst wird er als Ritter, später als Zwerg, beschrieben. Aber obwohl Karrioz ein Zwerg zu sein scheint, wird er nicht als solcher benannt, sondern lediglich mit einem Zwerg verglichen.4Grôze arme und kurziu bein / hêt er nâch der getwerge sit“ (V. 6590–6591). Vielmehr liegt die Betonung seiner Beschreibung auf der Ritterlichkeit, die er ausstrahlt. Dazu trägt bei, dass er auf einem Pferd reitet und einen Helm, sowie ein Schild mit dem heidnischen Wappen von Glois trägt.

diu hêt ein rîter in sîner pflege,
der was ze harnasche wol,
als ze strîte ein rîter sol.
er reit ein ors swarz gevar,
mit einer kovertiure gar
bedecket von samîte;
sîn schilt was niuwe unde guot;
von liehter varwe wîze
was der schilt über al;
von rôtem golde ein lîste smal
was geleit ûf den rant;
drinne – dâ bî daz was bekannt
daz er von Glois ein rîter was –
ein sûl, diu glaste al ein glas
von lâzûre und von golde;
als er leben solde,
Machmêt dar ûffe saz;
dâ bî man solde wizzen daz
sich niht erwerte sîm gebot;
durch daz vuort er der heiden got. (V. 6549–6568)

Sein Helm wird als prunkvoll beschrieben und sein Körper wird von dem Fell eines Löwen geschmückt, den er aufgrund seiner Stärke mit bloßen Händen erlegt hat: „Den lewen vienc er âne wer / und sluoc in mit nacter hant“ (V. 6610–6611). Seine Wildheit wird durch das Geschlecht seiner Mutter, einem „wilden wîp“ (V. 6603), erklärt. Sein Körper ist haarig, er ist überaus  stark und seine Knochen sind ohne Mark, was  seine  Stärke noch weiter steigert:

swie kurz er wære, sîn kraft was grôz
er hiez der küene Karriôz.
Sîn muoter was ein wildez wîp;
dâ von was im sîn kurzer lîp
aller rûch unde starc.
sîn gebeine was âne marc
nâch dem geslähte der muoter sîn;
deste sterker muose er sîn.
einem man was er ein her.  (V. 6601–6609)       

Allerdings verwundert seine Stärke nicht, schließlich fällt ihm die wichtige Aufgabe des Brückenwächters zu, der die eigentliche âventiure des Helden, den Zauberer Roaz, bewacht: „der âventiure huot er / vil mangen tac, daz diu sper / niemen gar wider in vertet“ (V. 6595–6596)  Seine Stärke kann als Königsattribut, aber auch als Zeichen von Unzivilisiertheit verstanden werden.5 Doch diese Stärke nützt ihm nichts, denn nachdem er und Wigalois im Kampf alle Lanzen verbraucht haben, und er zu einer unhöfischen6 Kolbenwaffe greift, gelingt es Wigalois seinen Widersacher zu verwunden, beim zweiten Mal sogar tödlich. Der sterbende Karrioz flüchtet schreiend – was ebenfalls als unhöfisch gilt7 – in den Pechnebel, der aus einem Moor aufsteigt, und findet dort den Tod:

Dô in der sper gar zeran
und Karriôz sich des versan,
einen kolben er gevienc,
der im an dem arme hienc;
Als er des tôdes rehte enpfant,
gegen Glois vlôch er zehant
und schrei sô lûte daz erschal
beidiu berge unde tal
dar în vlôch der kurze man;
dâ gesigt ouch im der tôtan. (V. 6667–6676)

„Die Erscheinung des Zwerges zeichnet einen Widerspruch zwischen der höfischen Außenseite, der wertvollen Rüstung, und der körperlichen Beschaffenheit, dem zwergenhaften zottigen Leib, aus.“8 Karriozʻ Wappen und auch ihm selbst werden ritterliche Attribute zugeschrieben,  das  ein oder andere Mal  wird er  sogar als ein rîter bezeichnet. Durch sein unritterliches Kampfverhalten und den Fluchtversuch während seines nahenden Todes erweist er sich jedoch als Scheinritter. Allerdings macht Schmitt darauf aufmerksam, dass Karrioz wegen seines Körpers und seiner Herkunft von Anfang an nicht dem höfischen Ideal entsprochen hat, und der kulturelle Code eines Ritters daher nie erfüllt war:            

„Seine zwergenhafte Gestalt mit dem Missverhältnis zwischen riesigen Armen und kurzen Beinen muss hier erwähnt werden, weil sie den Erwartungen widerspricht, durch die Beschreibung der Rüstung und durch die Charakterisierung als Ritter geweckt worden sind. Die Pracht der Rüstung führt in die Irre, weil sie das Bild eines vorbildlichen Ritters evoziert, der Karrioz nicht ist […]. Dazu kommt das Erbe seiner Mutter, die ein „wildez wîp“ (V. 6603) [ist].“ 9

Dazu auch Fasbender:

„Karrioz ist, nimmt man sein Körperkonzept als Parameter, eine nur bedingt höfische Erscheinung, kleinwüchsig und mit Löwenfell über der Rüstung, das auf seinen Jagderfolg hinweist (V. 6610f.). Seine Gesinnung dagegen ist ritterlich: nâch ganzem strîte ranc ie sîn sin (V. 6644). Allerdings hängt er dem falschen Glauben an (V. 6575).“10

Fazit

Obwohl Karrioz durch Reittier und Rüstung als kampfbereiter, erfahrender Ritter auftritt, trägt er das heidnische „Wappen als Medium einer kollektiven Herkunftsbestimmung“11 und präsentiert sich dadurch als ein Kämpfer – nicht aber als ein Ritter – von Glois. Vor allem seine Herkunft steht dem höfischen Ideal gegenüber:

„[Es] darf nicht außer Acht gelassen werden, dass das Erbe einer [wilden] Mutter einen eklatanten Widerspruch zur höfischen Norm bewirkt. In der Regel stammen ansehnliche Ritter von ansehnlichen Müttern ab.“12

Die Kombination aus „Aussehen, Abstammung und Teufelsverbindung [wirkt daher wie] eine Einheit, bei welcher das Äußerliche als Spiegel des Inneren begriffen werden kann.“13 Da von einem „tievels trût“ (V. 6577) und einem Wesen, das einem „heiden got“ (V. 6575) dient, keine Ehre erwartet werden kann, stellt Karriozʻ Aufmachung – die nur scheinbar ritterlich-höfische Außenseite – also nichts als eine Verschleierung seiner Selbst dar.

Die Funktion des Monsters Marrien in Wirnts von Grafenberg Wigalois

Der Wigalois1 ist ein zwischen 1210 und 1220 entstandener Artusroman und Wirnts von Grafenberg einziges belegbares Werk. Eming lobt Wirnts besondere Leistung „in bis dahin nicht gekanntem Ausmaß mit dem Wunderbaren zu arbeiten,“2 und spielt damit nicht nur auf Zauberei, sondern auch auf monströse Gestalten und magische Dinge an. Überhaupt ist die „ritterlich-höfische Dichtung (1180–1230) […] stark von der mittelalterlichen Monsterkultur geprägt.“3 Behr argumentiert jedoch, dass die Monster, die in den arthurischen Romanen auftreten „offenbar zu keinem anderen Zweck geschaffen wurden als dem, edle Ritter und unschuldige Jungfrauen zu bedrohen und dafür vom Titelhelden nach mehr oder weniger hartem Kampf erschlagen zu werden […].“4

Die Rolle von Monstern in Literatur, Kunst und Wissenschaft entsprang meist der theologischen Diskussion der mittelalterlichen Frage „nach dem Sinn und [ihrem] Stellenwert […] in Gottes Schöpfungsplan.“5 Aus diesem Grund muss die Funktion von Monstern auch immer in einem bestimmten Kontext gesehen werden, da gerade die höfische Literatur des Mittelalters christlich-religiös gekennzeichnet ist. Daher wurden jegliche Arten von Monstern schnell zu Trägern negativer Eigenschaften und Verhaltensweisen und als „feindselig, bösartig, widerwärtig, ungestüm, gierig, schändlich und abscheulich“6 identifiziert. Eine Vielzahl von Mediävisten hat den Wigalois – einen bekanntlich christlich-religiösen Text – für ihre Studien zu Wundern und übernatürlichen  Wesen  herangezogen,  ohne  dabei  jemals  den theologischen Rahmen der fiktiven Dichtung außer Acht zu lassen. Im Folgenden soll daher am Beispiel des Monsters Marrien untersucht werden, welche Funktion dieses fremdartige Wesen im Wigalois besitzt und wie es in Hinblick auf seine körperlichen Besonderheiten dargestellt wird.

Die vremdiu crêatiure

Wigalois begegnet im Verlaufe seines Abenteuers mehreren monströsen Wesen, vor allem im dämonischen Reich von Korntin, wo er auf seinen Endgegner Roaz trifft. Der Weg zu Roaz wird von Wächtern beschützt, darunter auch von einer vremdiu crêatiure (V. 6932). Es ist Marrien, ein Ungeheuer, das als halb Mensch, halb Tier beschrieben wird. Es hat einen Hundekopf mit glühenden Augen, einen menschlichen Oberkörper und den Unterkörper eines Pferdes. Außerdem wird der Körper dieses fremdartigen geschepftes (V. 6951) von Schuppen bedeckt, die härter als Stein sind, und es kann nicht eindeutig bestimmt werden, ob Marrien männlich oder weiblich ist.

ein vremdiu crêatiure;
diu bestuont in mit viure.
si hêt ein houbet als ein hunt,
lange zene, wîten munt,
diu ougen tief, viurvar;
niderhalp der gürtel gar
hêt si eines rosses lîp.
weder ez man ode wîp
wære, des enweiz ich niht. […]
enzwischen gürtel und houbet
was sie geschaffen als ein man;
breite schuopen wâren dran
gewahsen herter danne ein stein (V. 6932–6946)

Um Wigalois von seinem Weg abzubringen, wirft Marrien mit einem Feuer nach ihm, das es in einem eisernen Topf bei sich trägt. Es ist ein Zauberfeuer, das alles verbrennt, was damit in Berührung kommt und mit Wasser nicht gelöscht werden kann. Erst als es Wigalois gelingt, Marrien eines der vier Beine abzuschlagen, stellt er fest, dass das Blut des Ungeheuers das Feuer löschen kann. Marrien flieht verwundet in den Pechnebel eines Moors und findet dort den Tod.

Die Vermischung zweier Monstra

Marrien trägt verschiedene monströse Merkmale, sodass eine Zuordnung zu einer bestimmten Art von Monster nicht möglich ist. Das liegt an Wirnts Versuch „verschiedene Traditionen und Tendenzen zu kombinieren, so dass eine besondere Monstervorstellung daraus entspringt.“7 Das auffälligste an Marriens Gestalt sind die „Merkmale zweier der beliebtesten mittelalterlichen Monstra […]: die des Kynocephalen und des Kentauren.“8 Simek zählt die Kentauren zu den Sonderformen der Monster, da sie für gewöhnlich nicht als Einzelwesen, sondern als ganze Völkerschaften auftreten.9 Der Kopf und der Oberkörper eines Mannes treten entweder mit dem Leib und den Beinen eines Pferdes (Hippocentaur), seltener eines Esels (Onocentaur), auf. Zudem werden ihnen aufgrund antiker Mythen Eigenschaften wie Wildheit, Trunkenheit, sexuelle Aggressivität und Kampfeslust nachgesagt.10 Friedrich beschreibt sie als stereotype Mischwesen mit einem undurchdringlichen Fell und meist unritterlichen Waffen wie Speer, Bogen und Feuer. In antiken Mythen war ihr Ansehen positiv, in der mittelalterlichen höfischen Literatur dagegen negativ, denn die Funktion ihrer Gestalt wurde je nach Bedarf variiert: germanisch-heldenepisch (Tier), exotisch-ethnographisch (wilder Reiterkrieger) oder christlich-dämonisch (Teufel).11

 Die Kynocephalen werden als eine „Rasse von Menschen mit Hundeköpfen [beschrieben], die sich durch Bellen verständigen.“12 Isidor von Sevilla bestimmt Indien als ihren Geburtsort.13 Das fehlende Sprachvermögen der sogenannten Hundsköpfigen führte dazu, dass ihre Menschlichkeit in Frage gestellt wurde.14 Auch Isidor schreibt sie durch diesen Umstand eher der Tier- als der Menschenwelt zu.15 Ihr Bellen und die Tatsache, dass sie zu den Anthropophagen (Menschenfresser) gezählt werden,16 scheint die Zuordnung in das Reich der Tiere zu bekräftigen, andererseits werden sie als streitsüchtige Menschen und Verräter17 bezeichnet, was dem vehement widerspricht. Interessant ist, das Wirnt gerade diese beiden Wesen, die doch so unterschiedlich zu sein scheinen,  zu einer Lebensform vereint, wie Antunes darstellt:

„Da der menschliche Kopf [der Kentauren] den animalischen Unterkörper beherrscht, wird er als ein zum Denken fähiges und die Bekehrung suchendes Wesen aufgefasst, im Gegensatz zu den Kynocephalen, die einen vom Tierkopf beherrschten Menschenkörper besitzen und infolgedessen oft als unzivilisiert gelten.“18

Was auch immer Marrien ist, es stecken menschliche und tierische Eigenschaften in dem fremdartigen Wesen. In dieser Doppelnatur sieht Gottzmann die Versinnbildlichung von „Häresie und Lasterhaftigkeit“.19 Auch Lohbeck sieht – neben unbändiger, roher Gewalt – verschiedene Laster, die durch die Mischung aus Fischschuppen, Hund und Pferd entstehen: Neid, Zorn und Unreinheit.20 Als vâlant (V. 6976) und tievel (V. 7001) bezeichnet, wird Marrien somit „deutlich zum Funktionselement des Teufels: nunmehr ausgerüstet mit ‚infernalischem‘ Feuer.“21

Als „Hüter der teuflischen Herrschaft“22 fungiert Marrien als ein Hindernis, dem sich der Held auf seinem Weg stellen muss. Als „Helfershelfer“23 unterstützt Marrien das diabolische Vorhaben Roaz‘, der „als heide […] zur dämonischen, fremden Gesellschaft jenseits der Christenheit [gehört].“24 Da die Christen über die  Heiden siegen, sterben  auch  die Widersacher, gegen die sich  Wigalois zur Wehr setzen muss.

Fazit

Die Überlieferungen von Tieren, Mischwesen und besonders Monstern dienten im Mittelalter als Instrumente für das Verständnis von Gottes Schöpfungsplan, heizten die Unsicherheit und Befremdung über die – nach dem mittelalterlichen Weltbild ursprünglich meist orientalischen – Monster aber auch weiter an. „Um Laster und Tugenden begrifflich und inhaltlich vorstellbar zu machen, kombiniert die Scholastik ganz rational Montagen aus Tieren und Menschen.“25 Überwiegend wurde dieses Wissen in einem theologischen Rahmen verarbeitet. Die christliche Ausrichtung des Wigalois spiegelt sich kontinuierlich im Text wieder. Friedrich bemerkt ebenfalls, dass die „poetische Funktion weitgehend vom theologischen Diskurs absorbiert“26 wird. „Aufgrund dieser Beobachtung kann vermutet werden, dass, wenn der Verfasser des Wig[alois] ein orientbezogenes Szenario als Schauplatz für einen großen Teil seines Romans wählte […], Teile der Monstertradition aufgenommen wurden.“27

Die Verwendung von Monstern, die entweder menschliche oder tierisch-menschliche Merkmale vorweisen, erhält damit eine zugeschnittene Funktion: „Das Monströse [dient] als Definition des Anderen, des Fremden.“28 Marriens monströses Aussehen macht es unmöglich, es als ein bestimmtes Wesen zu identifizieren, besonders wegen der Vermischung von Merkmalen mehrerer sehr unterschiedlicher Monster. Außerdem benutzt Marrien magische Utensilien wie das Zauberfeuer, und schließt sich durch die Verbindung zu Roazʻ Teufelsreich selbst aus dem Christenreich aus.

Doch die theologische Perspektive auf Monster wie Marrien ist auch zweckmäßig: Das (je nach Funktion) interpretierte Wissen um ihre Existenz, der Kampf mit ihnen und ihre Überwindung, stellen Hindernisse dar, die der Romanheld auf seiner heiligen  Mission  überwinden muss. Und  nicht  zuletzt dadurch  erweisen  sich  diese Hindernisse als eine Belehrung.29 Diese Belehrung ist auf dem Bewährungsweg des christlichen Helden überaus wichtig, denn „die Beseitigung der Teufelsherrschaft heidnischen Unglaubens ist ständig von der Möglichkeit eines Scheiterns begleitet […].“30 Es ist allein der unerschütterliche Glaube an Gott, der Wigalois auf seinem scheinbar aussichtlosen Weg bekräftigt. Und dieser Weg wird bewacht von dem absonderlichen Monster Marrien, das durch seine dämonische Codierung als „Repräsentan[t] des Teufels“31 fungiert.

Der Drache Pfetan in Wirnts von Grafenberg Wigalois

Wirnts von Grafenberg Roman Wigalois hat seinen Ursprung um 1210/1220 und gehört zu den wichtigsten Artusromanen des Mittelalters.1 Gabriela Antunes betont die herausragende Stellung in der mittelalterlichen deutschen Literatur und seine enorme Bedeutung für die Entwicklung des Artusromans.2 Wigalois ist Ritter der Tafelrunde und der Sohn Gaweins. Im Verlauf der Erzählung soll Wigalois das Land Korntin von teuflischen Kreaturen befreien. In einem Kampf besiegt er den Drachen Pfetan. Als christlicher Held vertraut er dabei auf die Unterstützung von Gott und wird so zum Gottesstreiter.3Der Drache Pfetan wird in Wirnts von Grafenberg Wigalois als deheine crêature4 dargestellt. Für den Verlauf der Geschichte steht er in einem direkten Zusammenhang mit der Befreiung Korntins, denn Pfetan repräsentiert das Chaos und das Böse, welches die Gesellschaft in seiner Ordnung bedroht. Ihn zu bezwingen gilt als Bekämpfung des Bösen – Wigalois, von Gott auserwählt, bezwingt den Drachen und ist in der Lage die (höfische) Ordnung wieder herzustellen.5

Im Folgenden soll darauf eingegangen werden, wie der Drache Pfetan als teuflische Kreatur oder gar als Teufel selbst dargestellt wird.

Definition

Der Definition nach ist ein Drache

„zumeist […] von echsenartiger, mit Schuppen bedeckter Gestalt mit fledermausartigen Flügeln und zwei oder vier raubtierartigen Krallenfüßen, […] er kann mehrköpfig sein, […] speit Feuer, hat einen giftigen Atem und den bösen Blick.“ 6

Dem Drachen werden durchaus auch positive Attribute zugeschrieben, so erzählt Hildegard von Bingen, dass das Drachenblut eine heilende Wirkung besitzt7 und ein Drachenherz, welches im Ackerboden vergraben wird, vor Schaden bewahrt.8 Allerdings gilt er in der abendländischen Tradition „als Verkörperung von Zerstörung und Chaos“9, als „die Inkarnation des Bösen in der Welt, des Teufels Gesellen“.10Claude Lecouteux definiert einen Drachen als jedes Wesen, dass im Originaltext als Drache bzw. mit einem synonymen Begriff, wie Wurm, Wyrm, Draca, Lint, Lintdrache, Lintwurm oder dergleichen bezeichnet wird.11

Darstellung des Drachens im Wigalois

In Wirnts von Grafenberg Wigalois wird der Drache Pfetan detailliert und facettenreich beschrieben.
Er wird als riesenhafte Gestalt dargestellt; die Haut seines Körpers ist geschuppt, Kopf und Beine sind behaart. Vom Kopf bis zum Schwanz sitzt eine scharfe, gelbe, feste Schuppenreihe, die laut Erzähler an die Gestalt eines Krokodils erinnert. Eine weitere Darstellung seines Äußeren vervollständigen das Bild des Drachen: Er trägt einen Hahnenkamm, hat Greifenbeine, Flügel, die wie Pfauenfedern schillern und die Ohren eines Maultiers. Sein Leib ist kerzenförmig, sein Hals knorrig und er besitzt einen langen Schwanz, der drachenspezifische Eigenschaften aufweist, auf die Isidor von Sevilla näher eingeht.

einen kamp hêt er als ein han,
wan daz er ungevüege was;
sîn bûch was grüene alsam ein gras,
diu ougen rôt, sîn sîte gel;
der wurm der was sinwel
als ein kerze hin zetal;
sîn scharfer grât der was val;
zwei ôren hêt er als ein mûl;
sîn houbt was âne mâze grôz,
swarz, rûch; sîn snabel blôz,
eins klâfters lanc, wol ellen breit,
vor gespitzet, unde sneit
als ein niuwesliffen sper;
in sînem giele hêt er
lange zene als ein swîn;
breite schuopen hürnîn
wâren an im über al;
von dem houbet hin ze tal
stuont ûf im ein scharfer grât,
als der kokodrille hât,
dâ er die kiele kliubet mit12

Laut Claude Lecouteux sind die an Pfetan beschriebenen Maultierohren ein eher untypisches Drachenattribut, werden jedoch in der Teufelsdarstellung angewendet und könnten ein Indiz dafür sein, dass Pfetan eine Teufelsfigur darstellen soll.13 Lecouteux betont, dass die umfangreiche Beschreibung Pfetans nicht nur einmalig für die mittelhochdeutsche Literatur sei, sondern überdies auch an den naturkundlichen Quellen von Isidor von Sevilla14, Hildegard von Bingen15 und Konrad von Megenberg 16 anzuknüpfen scheint.17Der Drache Pfetan ist durchaus als Schlüsselfigur im Wigalois zu betrachten. Der tapfere Held Wigalois befreit die Menschheit von dem Bösen, das durch den Drachen Pfetan verkörpert wird. Der Drache scheint zunächst unverwundbar und ist nur mit Hilfe von magischen Hilfsmitteln zu besiegen.18Der faulige Atem des Drachens ist sogar in der Lage ein ganzes Heer zu vernichten und verdeutlicht die von Pfetan ausgehende Gefahr. Dazu steht im Wigalois von sînem stanke verdürbe ein her der im ûz dem halse gêt“19Pfetan wird an mehreren Stellen als Verbündeter des Teufels „tievels bot“20 oder sogar als der „tievel“21 selbst begriffen. Stephan Fuchs bezeichnet den Drachen als „Wurzel des Chaotischen“22, was er unter anderem damit belegt, dass Roaz selbst den Drachen nicht vernichten kann und auch Wigalois durch den Drachen in einen (vorübergehenden) chaotischen, ungeordneten, außergesellschaftlichen Urzustand geworfen wird.23

Darstellung des Drachens in der christlichen Überlieferung

Schon im neuen Testament finden sich Hinweise auf den Drachen als ein Bote des Teufels.
Dort wird er in der Offenbarung des Johannes als Wesen mit sieben Köpfen und zehn Hörnern beschrieben.24 Auf jedem Haupt sitzt eine Krone. Durch seine Zerstörung schlägt er mit seinem Schwanz ein Drittel aller Sterne vom Himmel auf die Erde.25
Es wird von einem Drachen berichtet, der am Himmel erscheint und das Kind einer gebärenden Frau verschlingen will. Mit Gottes Hilfe gelingt es der Frau jedoch, sich zu retten und einen Sohn zu gebären, dem die Herrschaft über alle Völker verheißen ist. Doch währenddessen entbrennt im Himmel ein Kampf zwischen dem bedrohlichen Drachen und dem Erzengel Michael und seinen Engeln, infolgedessen der Drache zur Erde gestürzt wird.

Michael und seine Engel erhoben sich, um mit dem Drachen zu kämpfen. Der Drache und seine Engel kämpften, aber sie konnten sich nicht halten und verloren ihren Platz im Himmel. Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt; der Drache wurde auf die Erde gestürzt, und mit ihm wurden seine Engel hinabgeworfen.26

Diese Passage ist prägend für das europäische Drachenverständnis, da der Drache hier mit der Figur des Teufels in Verbindung gebracht wird.
Die Offenbarung wird als Endzeitgeschichte dargestellt.Auch im Wigalois ist eine deutliche Verbindung zwischen dem Weltlichen und Geistlichen zu finden ist.  Als Wigalois den Drachen sieht, betet er zu Gott, er möge ihm helfen:

nu hilf, keiser, herre got,
daz mich dirre tievels bot
iht scheide vin dem lîbe,
daz ich dem süezen wîbe
erledige ir gesellen.
du solt den tievel vellen,
wand er der werlte schaden tuot.27

Der Drachenkampf steht hier sinnbildlich für die Auseinandersetzung mit Satan, dem Bösen schlechthin. Der Sieg über ihn wird gleichgesetzt mit dem Sieg über alles Lebens- und Gottesfeindliche. Andreas Hammer bezeichnet Wigalois als einen vollkommenen Held, der in seinem eigenen Seelenheil unerschütterlich wirkt. Weiter bemerkt Hammer, dass die starke Besinnung auf christliche Symbole im Wigalois, die sich auch im Aufgreifen der Zweifelsthematik zeigt, die Identifikation des Drachen mit dem Teufel im Sinne der biblischen Offenbarung oder der mittelalterlichen Tierallegorien gestattet.28Allerdings darf dabei die Bedeutung und Herkunft der Schlangen nicht außer Acht gelassen werden, da die Schlange als biblisches Geschöpf eine besondere Stellung einnimmt. Auch im alten Testament dient sie als Instrument des Teufels, indem durch sie durch Hinterlist und Tücke die Menschen aus dem Paradies treibt.29

Darstellung des Drachen bei Isidor von Sevilla

Isidor von Sevilla versucht zunächst eine neutralere Betrachtung des Drachen; so bezeichnet er in seinen Etymologiae Drachen als eine Unterart der Schlangen (serpentes).30 Damit erhalten sie den Stellenwert eines real existierenden Lebewesens, das mit einer Seele ausgestattet ist.31Laut Isidor von Sevilla ist ein Drache gewaltig und mit seinem Schwanz in der Lage Elefanten zu töten, indem er sie damit umwickelt, um sie dann zu strangulieren.32
Hier findet sich eine deutliche Parallele zu Pfetan, der seine Beute ähnlich zu jagen scheint.

der wurm hêt nâch wurmes sit
einen zagel langen;
dâ mit hêt er bevangen
vier rîter lussam,
die er vor dem walde nam,
als im diu vrouwe hêt geseit
durch die er nâch dem wurme reit.
vil kûme hêten si ir leben;
der zagel was umb si gegeben
wol mit drin valten;
sus hêt er si behalten,
als er si ezzen wolde33

Im Hinblick auf Isidor von Sevilla ist lediglich das christliche Drachenbild negativ in seiner Darstellung und basiert auf den Überlieferungen der Bibel. Naturkundlich betrachtet, wird der Drache ausschließlich als Tier wahrgenommen und nicht als böse.34 Denn obwohl Isidor von Sevilla den Begriff „monstrum“ nicht in Verbindung mit dem Drachen verwendet, impliziert er durchaus monströse Eigenschaften, indem er von der physischen Exorbitanz des Drachen spricht.35

Fazit

Viele der genannten Textstellen identifizieren den Drachen Pfetan mit dem Teufel. Da die mittelalterliche Literatur von einem starken christlichen Einfluss geprägt ist, scheint dies auch im Sinne der biblischen Offenbarung zu sein.36
Es ist anzunehmen, dass der Drache nicht für das absolute Böse, für den Teufel steht, sondern als ein Teufel zu betrachten ist, der durchaus auszutauschen oder zu ersetzen ist. Sabine und Ulrich Seelbach sehen im Wigalois eindeutige Parallelen zwischen Pfetan und dem Teufel, die durch das Gesamtkonzept des Romans unterstützt werden. Dabei ist zu bedenken,

dass der Roman sowohl „das Problem des Zweifels [als] Zentrum menschlicher Entwicklung und Bewährung“, wie es typisch für die Literatur im Grenzbereich zwischen geistlicher und weltlicher Sphäre ist, als auch die axiomatische Ethikkonzeption, wie sie an den dilemmatischen Situationen der Artusromane chretienscher Prägung präsent ist, kennt und beartet.37

Der Drache Pfetan scheint folglich eine literarische Rolle einzunehmen; der vermeidliche Held der Geschichte muss sich seinem übermenschlichen Gegner, der hier als Drache dargestellt wird, stellen und besiegen. Durch den Sieg erlangt der Held eine neue heldenhafte Identität und steigt in seinem Ansehen. Durch die detaillierte, furchteinflößende Beschreibung seines Aussehens, wirkt Pfetan noch bedrohlicher und mächtiger. Diese Attribute vervollständigen auch das Bild des vollkommenen Helden Wigalois. Schlussendlich ist dem Drachen Pfetan durch die Zuordnung zur Gattung der Schlangen, der Verbindung zum Christentum und der sprachlichen Zuordnung im Wigalois zwar eine begriffliche Nähe zum Teufel zuzusprechen, jedoch weist er am Ende keine dämonischen Eigenschaften auf, da er von Wigalois in einem ritterlichen Kampf bezwungen wird;38 Wigalois, der verschiedene Hilfsmittel zur Drachenbekämpfung mit sich führt, die zum einen aus übernatürlichen, christlichen Dimensionen zum anderen aus weltlichen Dimensionen bestehen, besiegt Pfetan nicht durch übernatürliche Kräfte, sondern mit dem Stich seiner Lanze.39