Grendel und seine Mutter – Menschen mit monströsen Eigenschaften oder humanisierte Monster?

Grendel und seine Mutter sind zwei von drei Gegenspielern Beowulfs in dem altenglischen Heldenepos, welches denselben Namen trägt wie sein Held. Im Folgenden soll untersucht werden, was für menschliche und monströse Charakterzüge sich an den beiden Bösewichten finden lassen. 1

Genealogie

Zur Genealogie des Antagonisten Grendels lässt sich Folgendes anmerken: Einen Vater scheint Grendel nicht zu haben, zumindest ist dieser nicht bekannt 2, er kennt seine Mutter, deren einziger Nachkomme er ist. 3 Ob und was für potentielle Vorfahren bis auf Kain Grendel und seine Mutter haben, bleibt unklar.  4

Sowohl über Grendel als auch über seine Mutter wird die Information gegeben, dass sie dem Geschlecht Kains entstammen. Kain, der Sohn von Adam und Eva, verübte aus Eifersucht den ersten Mord der Geschichte an seinem eigenen Bruder Abel, daher entstammt alles Böse sowie alle Verbrechen auf der Welt dem Geschlecht Kains. 5

Menschliche sowie monströse Züge Grendels und seiner Mutter

Grendel wird als „gräßlicher Unhold“ 6 vorgestellt, der fernab der Gesellschaft ein einsames Leben in den „begrenzenden Mooren“ 7 führt. Als seine auszeichnenden Charaktereigenschaften werden Mordlust 8, Verbitterung und Verdruss 9 beschrieben, die Festlichkeiten in Heorot und die damit einhergehenden Fröhlichkeit der Beteiligten sind für ihn kaum zu ertragen.

Grendel wird als teuflisches, gegen Gott agierendes 10, unmenschliches Ungeheuer dargestellt, doch bei genauerer Betrachtung erschließen sich an ihm immer mehr und mehr menschliche Züge. Für die Beschreibung Grendels wird häufig der Begriff „Mann“ eingesetzt 11, optisch soll er den Menschen ähnlich sein, allerdings wird er als „gewaltiger“ als andere Menschen beschrieben 12. Die Tatsache, dass alleine Grendels Kopf von vier Männern auf einem Lanzenschaft zum Goldsaal nach Heorot getragen werden muss 13, lässt darauf schließen, dass er deutlich größer ist als ein gewöhnlicher Mensch. Der in der Abstammung Kains gefundene Indikator für die Boshaftigkeit und Ungeheuerlichkeit Grendels und seiner Mutter, scheint allerdings auch Anhaltspunkt für die Menschlichkeit der beiden zu sein: Kain war ein Mensch, somit müssen seine Nachfahren ebenfalls etwas Menschliches an sich haben.

Grendel erscheint wie ein im Exil lebender „Einzelgänger“ 14, der sich nicht in das soziale System der Dänen einfügen möchte15, indem er weder Frieden stiften, noch Wergeld oder Bußgeld zahlen möchte. 16 Somit führt er ein trauriges und einsames Leben, welches er im Abseits der Gesellschaft verbringen muss. 17. Die durch die Isolation entstanden Emotionen Grendels — Wut, Eifersucht, Einsamkeit, Aggression —sind alles menschliche Gefühle und Empfindungen.

Allerdings wird er sprachlich auch immer wieder von den Menschen abgegrenzt 18 indem er beispielsweise als „Der Feind des Menschengeschlechts“ 19 bezeichnet wird. Übermenschliche Fähigkeiten und Eigenschaften in Form von unglaublicher Stärke 20 sowie einem grässlich flammenden Licht, welches aus seinen Augen kommt 21 unterscheiden ihn ebenfalls von den normalen Menschen. Wie bereits erwähnt, lassen sich auch optische Unterschiede in seiner Riesenhaftigkeit feststellen. Auch die Tatsache, dass er durch jegliche Art von Waffen nicht verletzt werden kann, ist eine übernatürliche Eigenschaft Grendels. Das wohl signifikanteste Indiz dafür, dass Grendel nicht komplett menschlich sein kann, stellt das Schwert dar, welches durch den Kontakt mit Grendels Blut schmilzt, als Beowulf dem bereits toten Grendel den Kopf abschlägt. Als Ursache hierfür wird im Text Grendels giftiger Geist, sowie sein zu heißes Blut genannt. 22

Außerdem wird ihm durch seine grausamen Angriffe auf Heorot und die damit zusammenhängenden barbarischen und blutigen Handlungen seine Menschlichkeit abgesprochen, beispielsweise verschlingt er gierig Leichname und trinkt das Blut aus den Adern der leblosen Körper. 23 Die Dimensionen seiner Angriffe sind so monströs, dass sie für einen Menschen kaum auszurichten sind, während seines ersten Angriffes alleine verschleppt er 30 Krieger 24, über Jahre hinlang greift er Heorot regelmäßig an, kann von den stärksten Kriegern nicht überwältigt werden und verlangt viele Opfer.

Ebenso die Tatsache, dass Beowulf Grendel im Kampf unter den gleichen Voraussetzungen gegenübertreten möchte, ebenfalls unbewaffnet, erhebt Grendel in gewisser Weise vom bloßen Ungeheuer oder Tier zu einem respektablen Gegner. 25 Der Drache, gegen den Beowulf nach seiner Heimkehr kämpfen muss (obgleich dieser natürlich Feuer speien kann, und somit auch als bewaffnet gelten kann), genießt dieses Privileg nicht, gegen ihn setzen Beowulf und schließlich auf Wiglaf ohne zu zögern Schwert und Dolch ein. 26

Grendels Mutter

Ähnliches lässt sich auch bei Grendels Mutter beobachten, auch bei ihr sind die Grenzen zwischen Ungeheuer und Mensch relativ unklar. Häufig wird sie als „Weib“ bezeichnet 27, auch ihre Kampfkraft wird als „Frauenkraft“, dem Mann unterlegen, bezeichnet. 28 Auch die Benennung als Mutter führt zu einer Wahrnehmung als menschenähnliches Wesen, allerdings wird sie ebenso als Ungeheuer 29 bezeichnet. Durch die Tatsache, dass von Grendels Mutter teilweise in der 3. Person Singular fem. gesprochen wird 30, aber auch in der 3. Person Singular mask. 31, wird ihre Einordnung  besonders erschwert.

Genau wie Grendel ist sie durch eine einfache Waffe nicht verwundbar, diese versagt sobald sie gegen Grendels Mutter eingesetzt wird. 32 Erst mit dem gigantischen Riesenschwert aus ihrer eigenen Behausung kann sie getötet werden. Das grelle Licht, welches erleuchtet, als Beowulf Grendels Mutter besiegt, scheint ebenso auf ihre Übermenschlichkeit hinzuweisen. 33

Grendel und seine Mutter leben beide in einer Behausung, die, obwohl sie fernab der Gesellschaft in dem Grendelsee liegt, und anscheinend für einen normalen Menschen schwer zu erreichen ist, der Halle in Heorot sehr ähnlich ist, was beide wiederum aufs Neue menschlich beziehungsweise ansatzweise zivilisiert wirken lässt. Die Halle ist ebenso eingerichtet durch z.B. das kostbare, alte von Riesenhand gefertigte Schwert 34, es ist dort aufgrund eines Daches trocken, obwohl die Halle mitten im Grendelsee liegt 35, außerdem ist der Saal belichtet, da dort ein loderndes, fast schon gemütliches Feuer brennt. 36 Also wirkt der Wohnort Grendels und seiner Mutter nicht wie eine modrige Sumpfhöhle, sondern wie eine recht zivilisierte Behausung.

Besonders nachzuvollziehen sind Trauer und Wut, die Grendels Mutter verspürt, als ihr Sohn Grendel durch Beowulf getötet wird. Erbittert und voll Zorn macht sie sich auf den gefährlichen Weg nach Heorot, um ihren Sohn zu rächen. 37 Es erscheint fast so, als sei diese Handlung impulsiv aus ihrem Zorn heraus entstanden, denn kurz nachdem sie dort ankommt und die Reaktion beziehungsweise Bewaffnung der zahlreichen Krieger sieht, ergreift sie schon wieder die Flucht um ihr Leben zu retten, nachdem sie hastig noch einen Krieger ergreift und Grendels abgetrennten Arm mitnimmt. 38

Als Beowulf in die Behausung der Mutter eindringt, schlägt er, nachdem er die Mutter getötet hat, dem auf dem Totenbett liegenden Grendel den Kopf ab. Die Tatsache, dass die Mutter für Grendel anscheinend eine Art Ruhestätte konzipiert hat, und dementsprechend wahrscheinlich um ihren Sohn trauert, lässt sich nicht mit dem animalischen Dasein eines Ungeheuers vereinen, diese Handlung könnte man durchaus als menschlich bezeichnen. 39

Gerade die Handlungen und Emotionen der Mutter, die Wut über den Tod ihres Sohnes und die damit verbundene Rachsucht, lassen sich auf gewisse Art und Weise nachvollziehen, man könnte sogar fast von Mitleid und Verständnis für Grendels Mutter sprechen.

 Wenig günstig war der Tausch,/
Daß auf beiden Seiten bar bezahlen sollten/
/Mit dem Leben ihrer Lieben. 40

An dieser Textstelle wird deutlich, dass die Mutter offensichtlich Liebe und Zuneigung für ihren Sohn empfunden haben muss, dies ist absolut nicht kompatibel mit der Vorstellung, sie sei ausschließlich ein böses, teuflisches Ungeheuer.

Fazit

Generell ist es schwer, Grendel oder seine Mutter den Kategorien Mensch oder Monster zuzuordnen, da beiden sowohl sprachlich als auch durch zugeschriebene Eigenschaften und beschriebene Handlungen sowohl monströse, als auch menschliche Charakterzüge zugewiesen bekommen. Grade Grendel vereint definitiv Mann und Monster.

Obwohl Grendel und seine Mutter Groll gegen die in Heorot lebenden Menschen hegen und fürchterliche Taten vollbringen, lässt sich die Motivation einiger Taten, wie zum Beispiel der Rache Grendels durch seine Mutter, ansatzweise nachvollziehen. Zusätzlich wird der Anschein erweckt, dass die beiden im Stande sind Emotionen zu verspüren, zum Beispiel Zuneigung füreinander oder auch Trauer. Dies wird zum Beispiel daran deutlich, dass Grendels Mutter für ihren Sonn eine Ruhestätte gestaltet. Definitiv werden beide durch übermenschliche Fähigkeiten und Eigenschaften von der Kategorie Mensch abgegrenzt, allerdings leben sie zum Beispiel, obwohl diese sich fernab von Heorot in einem See befindet, in einer ansatzweise zivilisierten Behausung.  Nicht zuletzt die Tatsache, dass sie von Kain abstammen, der zwar Wurzel alles Bösen ist, aber letztendlich auch ein Mensch, verdeutlicht die Problematik der Kategorisierung besonders.


 

Der Hobbit – eine Neufassung von Beowulf?

In J.R.R. Tolkiens Werken rund um die Welt Mittelerde sind viele Motive aus älterer Literatur, im Besonderen jener, die auf nordischen Mythen basiert, eingeflossen.[1] Ein Beispiel sind die Namen der 13 Zwerge aus dem Hobbit, die alle aus dem Gedicht Völuspá, einem Lied aus der Edda, stammen.[2] Einige besonders prägnante Ähnlichkeiten und damit vermutete Einflüsse gibt es zu dem altenglischen Epos Beowulf.[3] Die Parallelen bestehen vor allem zwischen Beowulf und dem Hobbit. Einige Stimmen gehen dabei so weit, zu behaupten, dass der Hobbit so etwas wie eine Neuinterpretation, oder eine moderne Neufassung von Beowulf ist.[4] Eine Vertreterin dieser Theorie ist Bonniejean Christensen. Sie hat ihre Dissertation den vielen Parallelen zwischen Beowulf und dem Hobbit gewidmet. Neben anderen Motiven geht Christensen dabei vor allem auf die Ähnlichkeiten in der Handlung ein. In diesem Artikel sollen drei Beispiele dieser Ähnlichkeiten näher beleuchtet werden, um zu überprüfen, inwieweit die These des Hobbits als Neufassung von Beowulf schlüssig ist.

Die Parallelen

Zunächst verweist Christensen darauf, dass der Handlungsrahmen durch die vorkommenden Monster eine entscheidende Gemeinsamkeit hat. Tolkien selbst hat die Meinung vertreten, dass die Aneinanderreihung von Begegnungen zwischen dem Helden und verschiedenen Monstern in Beowulf den roten Faden der Geschichte ausmachen und daran, gegenüber anderen Meinungen, nichts falsch sei.[5] Wenn man die Geschichte des Hobbit genauer betrachtet, findet man auch hier einen roten Faden, der durch Begegnungen mit Monster wesentlich geprägt wird. Letztlich arbeitet hier sogar von Anfang an alles auf die Begegnung mit dem letzten großen Monster, dem Drachen, hin. Dieses Grundkonzept ist also in beiden Geschichten vorhanden.[6]
Ähnlichkeiten findet man auch in einzelnen Handlungssträngen. Christensen gibt in ihrer Arbeit eine ganze Reihe von Parallelen an, von denen hier drei prägnantere Fälle als Beispiel dienen sollen. Die verschiedenen Passagen finden sich innerhalb der beiden Geschichten nicht immer an der gleichen Stelle im Handlungsverlauf. Das ist für einen solchen Einfluss aber auch nicht zwangsläufig nötig.

Die ersten Monster

Die ersten Monster, auf die die Gefährten im Hobbit treffen, sind drei Trolle, die im Wald um ein Feuer herum sitzen und sich ein Schaf rösten. Bilbo und die Zwerge werden von ihnen entdeckt und gefangen und werden erst durch den zurückkehrenden Gandalf gerettet, der die Trolle durch einen Trick in Stein verwandeln lässt.[7] Christensen zieht den Vergleich zwischen dieser Szene und dem ersten Monster in Beowulf, also zu Grendel.[8] Grendel wird dort als „Riese“[9] beschrieben. Die Trolle sind große menschenähnliche Wesen, die man ebenfalls als Riesen bezeichnen könnte. Des Weiteren erfährt man, dass die drei, seit sie aus den Bergen heruntergekommen sind, in der umliegende Gegend und den auf dem Weg liegenden Dörfern alles Essbare, was sie finden, fangen und verzehren. In der Umgebung scheint es aber nicht mehr viele Menschen zu geben. „Never a blinking bit of manflesh have we had for long enough,“[10], beschwert sich einer von ihnen.  Auch Grendel terrorisiert die Menschen, indem er sie immer wieder angreift und umbringt.[11] Und auch hier flüchten die Menschen aus seiner Umgebung. In beiden Fällen werden die Unruhestifter durch die Helden außer Gefecht gesetzt und so die Menschen in der Umgebung von ihnen befreit.

Beorn

In dem Handlungsabschnitt über den Besuch der Gefährten bei Beorn gibt es nach Christensen mehrere Zusammenhänge zu Beowulf. Der erste bezieht sich auf die Ankunft. Als Beowulf und sein Gefolge in Dänemark ankommen werden sie zunächst von einem Strandwächter und später von Wulfgar, einem Amtmann am Hofe, begrüßt und nach ihrer Herkunft gefragt. Ihre Ankunft wird daraufhin König Hrothgar übermittelt, der sich an Beowulfs Vater erinnert und die Schar empfängt.[12] Als die Gefährten im Hobbit an Beorns Heim ankommen, wird ihre Ankunft dem Hauseigentümer dort ebenfalls angekündigt.

„Some horses, very sleek and well-groomed, trotted up across the grass and looked at them intently with very intelligent faces; then off they galopped to the buildings. „They have gone to tell him of the arrival of strangers,“ said Gandalf.“[13]

Christensen interpretiert dies als eine etwas scherzhafte und untertriebene Umsetzung der ausgeschmückten Szene in Beowulf.[14]
Die nächste, von Christensen aufgestellte, Parallele besteht zwischen den beiden Trophäen-Köpfen.[15] Beorn verfolgt die Spuren der Gefährten zurück, um sich von deren Geschichte, über die Flucht vor den Orks, zu überzeugen. Als Bilbo Beorn fragt, was er mit den Orks getan hat, zeigt dieser ihm einen Orkkopf, der auf dem Eingangstor zu Beorns Heim steckt.[16] Den Kopf des Monsters als Trophäe findet man auch in Beowulf. Beowulf und sein Gefolge nehmen Grendels Kopf mit nach Heorot, nachdem Beowulf Grendels Mutter besiegt hat, und stellen ihn dort, ebenfalls aufgespießt, aus.[17]
Die letzte Gemeinsamkeit ist zwischen den beiden Abschieden.[18] Als die Gefährten im Hobbit Beorn verlassen und abreisen, bekommen sie von ihm als Unterstützung Pferde und Proviant, um ihre Reise weiter bestreiten zu können.[19] Auch Beowulf und sein Gefolge bekommen bei ihrer Abreise aus Dänemark von König Hrothgar Geschenke für das Besiegen von Grendel.[20]

Der Drache

Die wahrscheinlich deutlichste Parallele, die in der Forschung des Öfteren erwähnt wird, besteht in den Episoden rund um die Drachen der beiden Erzählungen. Christensen widmet den Ähnlichkeiten zwischen ihnen ein ganzes Kapitel. In dieser Stelle dieses Artikels wird allerdings nur auf die Handlungsparallelen rund um den Drachen eingegangen.
Der Drache Smaug aus dem Hobbit hat das Innere des Berges Erebor besetzt. Dort hat er einen großen Schatz angesammelt, den er nun hütet. Bilbo, der im Verlauf der Geschichte mehrmals den Titel Meisterdieb erhält, kann mithilfe des Ringes durch einen geheimen Nebeneingang ungesehen in Smaugs Heimstätte eindringen und ihm einen goldenen Pokal entwenden. Smaug, dem dieser Verlust nicht entgeht, der aber den Dieb nicht sehen konnte, macht sich auf den Weg seinen Zorn an der nahe gelegenen Menschenstadt auszulassen, da er den Dieb unter den Dorfbewohnern vermutet. Im Zuge dieses Angriffs wird Smaug getötet.[21]
Beim Drachen in Beowulf klingt die Geschichte sehr ähnlich.

[…] als auf einmal anfing,
In dunklen Nächten ein Drache zu wüten,
Der auf einer hochgelegenen Heide einen Hort bewachte,
Eine steile Steinhöhle. Ein Steig führt hinunter,
Den Leuten unbekannt. Doch gelangte einer,
Man weiß nicht wer, auf irgendeinem Wege dorthin
Zu dem heidnischen Hort. Die Hand stahl einen Schatz,
Ein glänzendes Schmuckstück, schwer bewacht vom Drachen, […]
[…] Einen kostbaren Kelch. Solcher Kleinode waren viele
Im Inneren der Erdhöhle, uralte Schätze, […][22]

Der Sklave, der hier im Auftrag seines Herren den Kelch stielt, kommt ebenfalls ungesehen am Drachen vorbei, allerdings nicht durch einen magischen Ring, sondern weil der Drache schläft.
Die Parallelen sind unverkennbar. Beide Drachen leben in einer Höhle aus Stein, bewachen einen Schatz und werden von einem ungesehenen Dieb eines goldenen Pokals beraubt. Anschließend machen sie sich beide auf, an den Menschen Rache zu nehmen, verwüsten dabei Teile von menschlicher Zivilisation und finden am Ende ihren Tod.

Kritik und Fazit

Christensen bietet in ihrer Arbeit eine ganze Reihe von Vergleichen und Ähnlichkeiten zwischen Beowulf und dem Hobbit. Obwohl von einigen Parallelen, wie die zwischen den Episoden der Drachen, durchaus geschlossen werden kann, dass Tolkien beim Schreiben des Hobbit von Beowulf inspiriert wurde, ist die These, dass der Hobbit eine Art Neufassung von Beowulf ist, vielleicht doch etwas zu stark. Viele Motive die Christensen als Parallele zwischen den beiden Geschichten aufzeigt, sind weniger speziell, als es zunächst klingt. Zum Beispiel die zwischen dem mitgebrachten und aufgespießten Orkkopf auf der einen und Grendels Kopf auf der anderen Seite. Den Kopf eines Gegners als Trophäe mitzunehmen ist ein gängigeres Motiv. Dass man in dem Punkt eine direkte Verknüpfung der beiden ausgewählten Werke herstellt, scheint etwas voreilig zu sein. Auch wenn die Ähnlichkeit so weit geht, dass es sich in beiden Fallen um die Köpfe von Monstern handelt.
Dass Tolkien im Erschaffen des Hobbits von Beowulf inspiriert wurde, kann man annehmen. Dass das Werk eine Neuinterpretation des altenglischen Epos ist, ist dann aber doch eine etwas zu drastische These.


[1] Eine Auflistung der verschiedenen möglichen Quellen mit zusätzlichen Kommentaren findet man in Shippey, Tom: The Road to Middle-Earth. Boston: Houghton, 1983, S. 288ff.

[2] Vgl. Shippey, Tom: The Road to Middle-Earth. Boston: Houghton, 1983, S.390.

[3] Vgl. Ebd., S.389.

[4] Vgl. Christensen, Bonniejean: Beowulf and The Hobbit: Elegy into Fantasy in J.R.R. Tolkien’s Creative Technique. Dissertation, University of Southern California, 1969, S. 5f.

[5] Vgl. Tolkien, J.R.R.: The Monsters and the Critics. In: The Monsters and the Critics and other Essays. Hg. v. Christopher Tolkien. London: HarperCollins, S. 5-48.

[6] Vgl. Christensen, S.21.

[7] Vgl. Tolkien, J.R.R.: The Hobbit, London 2006, S.41ff.

[8] Vgl. Christensen, S.39f.

[9] Beowulf: Ein altenglisches Heldenepos. Übersetzt und herausgegeben von Martin Lehnert. Reclam, Stuttgart 2004 S. 61, Vers 761.

[10] Tolkien: The Hobbit, S.42.

[11] Vgl. Beowulf, S.34ff, Vers 121ff.

[12] Vgl. Ebd., S.38ff, Vers 229ff.

[13] Tolkien: The Hobbit, S.137f.

[14] Vgl. Christensen, S. 96.

[15] Vgl. Ebd., S.99.

[16] Vgl. Tolkien: The Hobbit, S.154.

[17] Vgl. Beowulf, S.104f, Vers 1635ff.

[18] Vgl. Christensen, S.101.

[19] Vgl. Tolkien: The Hobbit., S.154f.

[20] Vgl. Beowulf, S.72f, Vers 1019ff.

[21] Vgl. Tolkien: The Hobbit.

[22] Beowulf, S.132, Vers 2210ff.

Die thematische Opposition im Beowulf – Ein Blick auf die Grendel-Figur und ihre Opposition zum Guten

Die thematische Opposition Grendels – Die methodische Vorgehensweise

Dieser Artikel widmet sich der thematischen Opposition der Grendel-Figur.[1] Die Untersuchungsgegenstände dieses Artikels sind Robert Zemeckis 2007 erschienener Film Die Legende von Beowulf und der altenglische Primärtext Beowulf. Untersucht werden beide Gegenstände unter folgender Frage: Inwiefern unterscheidet sich die thematische Opposition der Grendel-Figur im altenglischen Beowulf vom im Jahr 2007 erschienenen Film Die Legende von Beowulf? Es wird postuliert, dass Grendel ein thematisches Gegenstück im Film sowie im Primärtext darstellt. Diese Antibeziehung unterscheidet sich jedoch stark im Film und Buch. Im Primärtext stellt Grendel das Gegenstück zur christlichen Ordnung der Dänen dar und ist somit die Verkörperung der metaphysischen Abwesenheit des Guten.[2] Dieses metaphysisch-theologische Konzept der Grendel-Figur wird im Film in eine postmoderne Interpretation übertragen. Grendel stellt somit im Film die Schattenseite der menschlichen Seele, genauer der Seele Hrothgars, dar. Um dieses Postulat zu untersuchen muss zuerst die Abstammungsgeschichte der Grendel-Figur in beiden Werken genauer dargelegt werden. Der Fokus der Untersuchung im Primärtext liegt dabei auf der Dichotomie der Dänen und ihren Werten, wohingegen in der Analyse des Films der Fokus auf die Dichotomie zwischen Hrothgar und Grendel gerichtet wird.

Grendel und Kain – Grendel als Verkörperung der Abwesenheit des Guten im Beowulf

Die Einführung der Grendel-Figur bringt bereits viele Hinweise auf die dämonische Natur Grendels. Grendel sei „ein Feind aus der Hölle“[3], ein „grimmer Geist“[4] und ein „gräßlicher Markgänger“ [5] . Die Abstammungslinie der Grendel-Figur geht im Primärtext direkt auf Kain zurück, jedoch nicht auf die vorsintflutlichen Giganten.[6] Orchard weist in seinen Studien des Manuskriptes darauf hin, dass der Verfasser des Werkes diese Unterscheidung bewusst gewählt hat. Jesaja 26,14 gigantes non resurgent (The Giants shall not rise again) ist dabei die Bezugsstelle des Verfassers, die das Weiterexistieren vorsintflutlicher Giganten verneint und die vom Verfasser des Textes übernommen wurde.[7] Tatsächlich handelt es sich bei Grendel vielmehr um einen antitypischen Abkömmling Kains, da Grendel ebenso wie Kain, ein Mal trägt:

In Beowulf we are told that Cain went ‚guilty‘ or ‘marked’ (fag) into the wastes […] Grendel too, of course, is fag and is explicitly described as the ‘enemy of mankind’ (feond mancynnes; mancynnes feond), shortly after each of the passages on Cain (lines 164 and 1276), so underlining the parallel still further.[8]

Die Abstammung von Kain erklärt jedoch nicht, warum Monster wie Grendel weiterhin die Erde heimsuchen und wie genau die Abstammung Grendels nach der Flut gesichert ist. Ein Hinweis findet sich in der Abstammung des Schwertes, welches Beowulf in der Unterwasserhöhle Grendels und seiner Mutter findet und mit dessen Hilfe er die beiden erschlagen kann. „Ein scharfes altes Schwert von Riesenhand“ [9] deutet auf die Geschichte Hams hin, einem der biblischen Söhne Noahs. Ham wird laut Orchard immer wieder in verschiedenen altenglischen Texten und theologischen Auseinandersetzungen als „zweiter Kain“ und als Grund für das Weiterexistieren des Bösen in der Welt gesehen.[10] Durch ihn überlebten die verdorbenen Künste der Giganten und so wurde auch er von Gott verflucht. Es gibt jedoch noch deutlich mehr Abstammungsgeschichten, auf die sich der Verfasser des Beowulf bezieht, auf die hier nicht weiter eingegangen werden.

Grendel stammt also vermutlich von Kain bzw. Ham ab. Diese Genealogie Grendels, die der Verfasser des Textes direkt mit der Einführung der Figur vollbringt, stellen diesen in ein oppositionelles Verhältnis mit den Dänen und Gauten, Nachkommen Japhets. Der Verfasser hört jedoch hier nicht auf und führt dieses Verhältnis im Verlauf des Werkes weiter aus, um zu unterstreichen, dass Grendel mehr als nur ein Antityp ist, denn Grendel ist die dichotomische Gegenposition zum Guten schlechthin und seine Opposition zu den Dänen ist eine Weiterführung des Kampfes Kains gegen Gott.[11]  Die erste Erwähnung Grendels bringt diesen in die thematische Opposition zum „hellen Gesang des Skops“,[12] einem Gesang über die Erschaffung der Welt, der Menschen und eine Lobpreisung Gottes. „Grollend erduldete“ [13] Grendel, „der in der Finsternis hauste“[14], dieses Lied, was ihn in Opposition zum „lauten Jubel“[15] und dem „fröhlichen Treiben“[16] der Dänen setzt. Seine Aversion der Sonne gegenüber wird hier auch erklärt, da diese als Siegeszeichen Gottes gesetzt wurde.[17] Das darauffolgende kannibalistische Massaker Grendels wird von Anderson als Weiterführung dieser thematischen Opposition gesehen. Denn nachdem die Dänen ihr eigenes Festmahl bei Anbruch der Nacht beendeten, fing Grendel seines an.[18] Das Massaker sowie die nächtliche Besetzung der Halle durch Grendel sieht Anderson als Grendels thematische Opposition zum dänischen Hof: „light versus darkness, joy versus misery, music versus noise, companionship versus slaughter, sleep versus night-stalking, feasting versus cannibalism, community versus solipsism.”[19] Ein weiteres Beispiel für die thematische Opposition findet sich in Beowulfs Kampf mit Grendel. Der Kampf mit Beowulf zeigt seine thematische Opposition zum nordischen Ideal des ehrenhaften Kampfs und der Tapferkeit. Grendels Immunität Waffen gegenüber ist magischer Natur; er verzauberte sich selber mit einem Schutzzauber. Dies ist außerdem ein Hinweis auf die verbotenen Künste der Giganten.[20]  Dieser Mangel an Ritterlichkeit bringt ihm nur Spott von Seiten Beowulfs ein.[21]  Doch sobald der Zweikampf zwischen ihm und Beowulf ausbricht und Grendel feststellen muss, dass Beowulf ihm gleichauf ist, verfällt dieser in Panik und flieht, nicht interessiert und zu feige für einen Kampf auf Augenhöhe.[22]

Grendel und Hrothgar – Grendel als Verkörperung des Bösen im Menschen

Robert Zemeckis Film präsentiert eine andere, postmoderne Interpretation der Grendel-Figur. Die männliche Abstammungslinie Grendels geht in Zemeckis Film nicht auf Kain, sondern auf Hrothgar, den dänischen König, zurück:

Wealthow: […] Grendel. Our curse. He is my husband’s shame.
Beowulf: Not a shame, but a curse.
Wealthow: Shame. Hrothgar has no…other sons…
And he will have no more, for all his talk. [23]

Dieser Unterschied hat auf die thematische Opposition Grendels einen starken Einfluss. Anders als im Primärtext ist Grendels thematische Opposition nun nicht der externe Kampf zwischen Gutem und Bösem. Es ist nun vielmehr ein interner Kampf. Aus diesem Grund soll sich in diesem Abschnitt der Fokus auf die thematische Opposition und Überspitzung der schlechten Eigenschaften Hrothgars in der Grendel-Figur richten. Die erste Konfrontation zwischen Grendel und Hrothgar findet ebenso wie im Primärtext aufgrund der Geräusche aus der Festhalle Heorot statt. Anders als im Primärtext jedoch ist es nicht der „Gesang des Skops“ dessen Inhalt Grendel aus seiner Höhle lockt, sondern der Lärm eines ausschweifenden Festes.[24] Hrothgar wird hierbei als nackter, maßloser Saufbold dargestellt, dessen Überspitzung im darauffolgenden kannibalischen Festmahl des ebenfalls nacktem Grendels seine Spiegelung findet.[25] Das Motiv des kannibalischen, nächtlichen Festmahls wurde aus dem Primärtext übernommen und transponiert. Die charakterlichen Oppositionen hören dort jedoch nicht auf. Die Lärmempfindlichkeit Grendels und die Lautstärke Hrothgars stellen eine weitere Opposition dar: er wird direkt mit seiner lauten Stimme vorgestellt: „The King is happy, shouting loudly enough to be heard by the furthest dog” [26] und “ Hrothgar is laughing loudly at some dirty joke.”[27] Besonders der letzte Abschnitt deutet bereits auf die nächste Opposition hin; das Kleinkindlich-Unschuldige Grendels versus das Alte-Verruchte Hrothgars:

While Grendel is not human, if he were human, he would be retarded, perhaps brain-damaged. He is honestly a sweet and gentle person, except in the matter of eating people, and then only when driven mad with noise.
Grendel begins to play with the spear (and the head on it) as if it were a puppet. [28]

Dieses Kindlich-Unschuldige Grendels bringt eine dichotomische Spannung zwischen seiner Asexualität, er wird ohne Geschlechtsteile dargestellt, und der Hypersexualität der Mutter Grendels samt Verführung Hrothgars. An verschiedenen Punkten im Film wird gezeigt, dass in der Beziehung zwischen Hrothgar und Wealthow kein sexueller Verkehr stattfindet. Der Grund hierfür scheint der Betrug an seiner Frau mit Grendels Mutter zu sein. Eine Deutung in diesem Sinne, könnte die asexuelle Natur Grendels mit der Beziehung Hrothgar-Wealthow in Verbindung bringen.[29]

Monster und der kulturelle Perspektivenwechsel auf diese

Die zeitgenössische Aufarbeitung mittelalterlicher Texte und derer Monster muss zwangsweise eine neue Sichtweise mit sich bringen. In diesem Artikel wurde versucht dies an der Grendel-Figur im Beowulf zu untersuchen. In beiden Versionen der Sage, stellt Grendel eine Hürde und eine thematische Opposition dar, jedoch ist diese Hürde in beiden Werken anders verortet. Der Primärtext des Beowulfs scheint das Monströse als thematische Opposition zum Guten zu sehen. Die Identität Grendels als Troll ist dabei nebensächlich.[30] Er wird nicht durch das charakterisiert, was er ist, sondern durch seine Opposition zum Guten. Diese Darstellung des Bösen in personifizierter Form bildet im Primärtext ein Hindernis, das überkommen werden muss in der Aufgabe Beowulfs, einem Streben nach Ruhm und dem Heroischen. Risden beschreibt diese Suche nach Ruhm als externes Suchen nach Sinn, Anerkennung etc.[31] Das Monster ist so eine Repräsentation der Hürden, die der Mensch auf der Suche nach Sinn und nach einer Möglichkeit, etwas zu erschaffen, das größer als er selbst ist und seinen eigenen Tod überdauern kann, überwinden muss.[32] Dieser externe Fokus der Monster weicht der Freud’schen Revolution. Indem das christliche Motiv im Film aus dem Fokus genommen wird, erscheint die Opposition individuell.  Der Fokus der Monster rückt intern; epische Schlachtfelder weichen dem inneren Kampf der Psyche. Das Monster als Hürde bleibt bestehen. Die Untersuchung des Films Zemeckis scheint auf diesen Wechsel hinzuweisen. Nicht mehr nur als die Verkörperung des Bösen, das überwunden werden muss, wird die Grendel-Figur zur Charakterisierung der Schwächen Hrothgars und des Menschen verwendet. Seine Schwäche im Angesicht der verführerischen Mutter Grendels zeigt einen Kampf mit sich selbst und den Konsequenzen seines Handelns.


[1]     Literaturverzeichnis

Primärliteratur

Beowulf. Ein altenglisches Heldenepos. Lehnert, Martin (Hg.); Stutt-gart: Reclam 2004.

Sekundärliteratur

Anderson, Earl R.: Understanding Beowulf as an Indo-European epic: a study in comparative my-thology. Lewiston [u.a.]: Edwin Mellen 2010.

Becker, Ernest: The Denial of Death. New York: Simon & Schuster 1973

Gaiman, Neil & Avary, Roger: Beowulf. The Script Book. With in-sights form the authers, their early concept art, and the first and last drafts of the script for the film. New York: HarperCollins 2007.

Haydock, Nickolas; Risden, E.L.: Beowulf on Film. Adaptations and Variations. London: McFarland 2013

Orchard, Andy: Pride and Prodigies. Studies in the Monsters of the Be-owulf-Manuscript. Cambridge: Brewer 1995.

[2]     Diese Formulierung für das Wort „böse“ wird bewusst gewählt, da Böses im theologisch-mittelalterlichen Sinne nicht existiert, da man so unterstellen würde Gott könnte Böses erschaffen.

[3]     Siehe Beowulf. Ein altenglisches Heldenepos. Lehnert, Martin (Hg.); Stuttgart: Reclam 2004, S.33. V. 101.

[4]     Beowulf V. 102.

[5]     Beowulf V. 103.

[6]     Vgl. Beowulf V. 103-108.

[7]     Orchard, Andy: Pride and Prodigies. Studies in the Monsters of the Beowulf-Manuscript. Cambridge: Brewer 1995, S.58.

[8]     Orchard 1995, S. 61.

[9]     Beowulf S.101 V. 1556.

[10]   Orchard 1995, S.70.

[11]   Anderson, Earl R.: Understanding Beowulf as an Indo-European epic: a study in comparative mythology. Lewiston [u.a.]: Edwin Mellen 2010, S.95.

[12]   Beowulf S.32 V. 90.

[13]   Beowulf S.32 V. 86.

[14]   Beowulf S.32 V. 87.

[15]   Beowulf S.32 V. 88.

[16]   Beowulf S.33 V. 99.

[17]   Vgl. Beowulf S.33 V. 94.

[18]   Vgl. Anderson, Earl R.: Understanding Beowulf as an Indo-European epic: a study in comparative mythology. Lewiston [u.a.]: Edwin Mellen 2010, S.93.

[19]   Anderson S. 93.

[20]   Vgl. Beowulf S.62f V. 798-804.

[21]   Vgl. Beowulf S.57f V. 681-685.

[22]   Vgl. Beowulf S.63 V. 813-821.

[23]   Gaiman, Neil / Avary, Roger: Beowulf. The Script Book. With insights form the authers, their early concept art, and the first and last drafts of the script for the film. New York: HarperCollins 2007, S.35 Szene 54.

[24]   Vgl. Beowulf Script: S.5 Szene 15.

[25]   Vgl. Beowulf Script: S.7 Szene 20.

[26]   Beowulf Script: S.1 Szene 1.

[27]   Beowulf Script: S.2 Szene 4.

[28]   Beowulf Script: S.25 Szene 41.

[29]   Beowulf Script: S.11 Szene 24, S.35 Szene 54, S.2 Szene 4.

[30]   Anderson S.94.

[31]   Haydock, Nickolas; Risden, E.L.: Beowulf on Film. Adaptations and Variations. London: McFarland 2013, S.6.

[32]   In diesem Kontext die Untersuchung des Heroismus in Becker, Ernest: The Denial of Death. New York: Simon & Schuster 1973. Diese Art des Heroismus wird bei Becker als individueller Heroismus beschrieben, in der der Mensch versucht, durch individuelle Handlung, ein Vermächtnis zu erschaffen das diesen überdauert. Dies steht im Gegensatz zum kulturellen Heroismus, in dem versucht wird, durch soziale Rollen, das Gleiche zu schaffen. S. 7-13.

Unbesiegbar schön – Die Neuinterpretation der Mutter Grendels und das Motiv der Mahrtenehe im Film Beowulf (2007)

Der Held Beowulf muss sich im gleichnamigen altenglischen Epos gegen drei Gegenspieler behaupten: das Monster Grendel, dessen Mutter und einen Drachen. Die unter der Regie von Robert Zemeckis entstandene Filmadaption Beowulf (2007) des über 1000 Jahre alten Stoffes unterscheidet sich in der Darstellung dieser drei Monster und der mit ihnen zusammenhängenden Figurenkonstellation stellenweise deutlich von der literarischen Vorlage. Besonders interessant ist dabei die Rolle der Mutter Grendels, deren äußeres Erscheinungsbild im Original nicht beschrieben und die im Film von der US-Schauspielerin Angelina Jolie verkörpert wird. Sowohl auf visueller als auch inhaltlicher Ebene deutet der Film an, dass Grendels Mutter eine Mahrte ist, die ihre Opfer verführt und mit ihnen eine Mahrtenehe eingeht, also eine „Verbindung eines Menschen mit einem übernatürlich-jenseitigen Wesen“1. Im Folgenden soll diese These überprüft und die Funktion der Neuinterpretation und Aufwertung der Figur untersucht werden.

Aspekte einer Mahrtenehe im Beowulf (2007)

Grendels Mutter wird in der literarischen Vorlage als „Das Schreckensweib […] / Welche die Wasserwüsten bewohnen mußte“2 beschrieben. Außer der Erwähnung von „scheußlichen Krallen“3 finden sich keinerlei Aussagen bezüglich ihres Phänotyps. Eine solch lückenhafte Beschreibung der Figur bietet den Filmemachern großen Spielraum und dient als Anlass, Grendels Mutter in dem Film eine stärkere Bedeutung für den Handlungsverlauf zukommen zu lassen als in der literarischen Vorlage vorgesehen. Zunächst ist das Ungeheuer nur in Spiegelungen und niemals in ganzer Gestalt zu sehen. So wirkt es auf die RezipientInnen erst so, als handle es sich um ein außergewöhnliches Wasserwesen mit einem fischartigen Kopf, beweglichen Tentakeln und langen Fingern mit Schwimmhäuten.

Abbildung 1
Abb. 1.: Grendel und ein ihn streichelnder Tentakel seiner Mutter in ‚Beowulf‘ (2007, Robert Zemeckis). Screenshot (0:13:13).
Abbildung 2
Abb. 2.: Wasserspiegelung von Grendels Mutter in ‚Beowulf‘ (2007, Robert Zemeckis). Screenshot (0:53:12).

Später erscheint sie außerhalb des Wassers jedoch als Frau in attraktiver Gestalt mit goldfarbener, schimmernder Haut und einem Schwanz, der aus ihrem Unterleib wächst und noch als einziger Hinweis darauf dient, dass es sich bei Grendels Mutter um ein unmenschliches Wesen handelt.

Abbildung 3
Abb. 3.: Angelina Jolie verkörpert Grendels Mutter in ‚Beowulf‘ (2007, Robert Zemeckis). Screenshot (0:55:59).

Diese Verwandlung und die vielen menschlichen Attribute sind Hinweise darauf, dass es sich bei der Figur um eine besondere Form eines Mischwesens, eine sogenannte Mahrte, handelt. Der damit verknüpfte Begriff Mahrtenehe wird im weiteren Sinn „zur Umschreibung jeglicher erotischen oder sexuellen Verbindung eines Menschen mit einem übernatürlich-jenseitigen Wesen“4 verwendet. Die Darstellung der Mutter Grendels weckt dabei Assoziationen zu weiblichen Wassermonstern wie zum Beispiel den Sirenen, die einen Fischschwanz besitzen und „meist mit entblößten Brüsten dargestellt werden“5. „[D]as Motiv der Mahrtenehe mit der zur Meerjungfrau mutierten Sirene ist ein liter[arischer] und kinematographischer Dauerbrenner.“6 Es ist also nicht erstaunlich, dass eines dieser „erotisch-monströsen Mischwesen“7 im Film in einer Erinnerung Beowulfs auftaucht, was ein weiterer Hinweis auf das Motiv der Mahrtenehe sein könnte. In der entsprechenden Szene wird angedeutet, dass Beowulf sich von dem mysteriösen Wesen hat verführen lassen und eventuell eine Mahrtenehe mit ihm eingegangen ist. Im Manuskript des Films wird dieses Wesen beschrieben als „a beautiful golden woman […] not a mermaid, but there is something inhuman about her“8.

Diese und die folgende weitere Beobachtung stärkt die These, dass Grendels Mutter eine Mahrte ist, die sowohl Eigenschaften eines Menschen als auch eines Wassermonsters in sich vereint und so ein neues, besonders mächtiges Monstergeschlecht darstellt. Im engeren Sinn wird mit dem Begriff der Mahrtenehe vor allem eine ehe-ähnliche oder erotische Verbindung mit einem Mahr (auch: Nachtmahr, Mart oder weiblich Mahrte) bezeichnet, also einem sogenannten Druckgeist, der nachts „durch das Schlüsselloch, ein Astloch oder durch irgendeine kleine Öffnung in der Tür“9 eindringt und seinem schlafenden Opfer das Gefühl gibt, es würde von einem Wesen auf seiner Brust erstickt.10 Anspielungen auf dieses Motiv finden sich im Film in der Szene, in der Grendels Mutter nach der Ermordung ihres Sohnes durch Beowulf diesen offenbar nachts im Schlaf heimsucht und zahlreiche Dänen auf brutale Weise kampflos tötet. Die Kameraführung stellt diese Szene aus der Sicht von Grendels Mutter dar, die soeben ihren toten Sohn in den Händen hielt, nun nach Rache sinnt und durch einen schmalen Spalt zwischen zwei Holzpfeilern in die dänische Königshalle eindringt. In dieser Nacht hat Beowulf einen vermeintlichen Traum, in dem ihm die dänische Königin Wealtheow erscheint und wie ein Geist über seiner Brust schwebt. Unter dem Aspekt der eben beschriebenen schnittlosen Kameraführung wird klar, dass es sich dabei um eine Täuschung der Mutter Grendels handelt, die offenbar wie ein Mahr „vielfältige Verwandlungsgestalten“11 annehmen kann, und die hier eventuell bereits versucht, Beowulf zu verführen, was ihr später gelingen wird.

Funktionen der Neuinterpretation

Ein großer, für die Handlung folgenschwerer Unterschied zum Epos besteht darin, dass Beowulf Grendels Mutter nicht besiegt, sondern sich mit ihr vereint. In der betreffenden stark sexuell aufgeladenen Szene, in der Grendels Mutter erstmals ganz zu sehen ist und ihre menschenähnliche Gestalt annimmt, verführt sie den Helden dazu, ihr dafür, dass er Grendel getötet hat, einen neuen Sohn zu schenken. Zu späterem Zeitpunkt wird sich herausstellen, dass das aus dieser Mahrtenehe stammende Wesen der Drache ist, den Beowulf am Filmende besiegt, allerdings nur zum Preis seines eigenen Lebens. Ebenso wird im Verlauf des Filmes deutlich, dass es sich bei Grendel um den Sohn Hrothgars, des dänischen Königs, handelt, der also ebenso von Grendels Mutter verführt worden ist.

Both powerful men, Hrothgar and Beowulf, decline morally and physically and place their folk in danger after their sexual dalliance: they create more powerful, more monstrous, and less scrupulous versions of themselves.12

Grendels Mutter erscheint dadurch als ein skrupelloses, weibliches Mischwesen aus Wassermonster und Mensch, dessen Stärke unkontrolliertes Begehren der Männer darstellt. Beide vermeintlichen Helden verfallen ihr und verlieren dabei ihre Heldenhaftigkeit, „both begat upon a stunning, seductive, powerful, and perhaps immortal female of uncertain origins“13 und diese „uncertain origins“ lassen sich durch das Motiv der Mahrtenehe, das im Film wie erläutert in unterschiedlicher Form auftritt, erschließen. Es entsteht das für eine Mahrtenehe typische „exakte Gegenbild einer Happy-End-Verbindung“14, indem beide Männer gegen Grendels Mutter machtlos sind, was zum Scheitern ihrer Beziehungen und letzten Endes für beide zum Tod führt.

In essence, what we have in Beowulf(2007) is an interpretive reading of Beowulf, with material added to smooth over aspects that the writers saw as impediments to storytelling. Their most effective and dramatic intervention is to have Grendel’s mother seduce Hrothgar to create Grendel and then Beowulf to create the dragon. This device creates a structural unity that the poem lacks and allows them to explore their theme of unchecked male desire engendering a cycle of suffering and betrayal for the promise of power leading to an impotence that rots all.15

Zusammenfassend dient die Neuinterpretation und Aufwertung der Figur durch die Filmemacher dazu, Grendels Mutter als ein neues, unbesiegbar schönes Monster einzuführen, welches durch seine geheimnisvolle Herkunft und Verwandlungsfähigkeit Faszination weckt und das Heldenepos in eine tragische und neu verstrickte Erzählung mit genealogischer Thematik umzukehren. Gerade die letzte Szene, in der Grendels Mutter in Beowulfs treuen Gefährten Wiglaf ein neues Opfer anstrebt, unterstreicht erneut die Dominanz der Figur. Nachdem Wiglaf sich von seinem sterbenden Freund Beowulf verabschieden musste, blickt er auf das Meer hinaus, aus dem Grendels Mutter auf einmal hervorkommt. Wiglaf scheint sich von ihrem Blick und ihrer schönen Gestalt in den Bann ziehen und anlocken zu lassen; nur die RezipientInnen wissen um die monströse Anziehungskraft der Mutter Grendels und um sowohl Beowulfs als auch Hrothgars folgenschwere Verbindung mit ihr. So endet der Film mit der fatalen Vorahnung, dass sich die tragischen Ereignisse wiederholen werden.

Grendel und Gollum – Ein Vergleich zweier Monster

J.R.R. Tolkien war Philologe und hat sich im Zuge dessen viel mit altenglischer Literatur beschäftigt. Dass ihn einige der Werke beim Schreiben seiner eigenen Bücher und der Erschaffung seiner eigenen Welt, Mittelerde, stark beeinflusst haben und ihm teils als Quelle für Ideen dienten, ist also nicht sonderlich verwunderlich. Da Tolkien sich im Besonderen mit dem altenglischen Epos Beowulf auseinandergesetzt hat, wurde in der Forschung wiederholt die These aufgestellt, dass ganze Handlungsstränge von Tolkiens Hobbit oder der Herr der Ringe-Trilogie von Beowulf beeinflusst sind. Auf diese umfassenderen Vergleiche wird dieser Artikel nicht näher eingehen. Stattdessen sollen die Ähnlichkeiten eines bestimmten Aspekts genauer beleuchtet werden. Tolkiens Welt Mittelerde ist reich an unterschiedlichsten Fabelwesen. Darunter findet man auch Monster. Monster gibt es wiederum auch im Beowulf einige und die spielen keine kleine – laut Tolkien sogar die größte – Rolle in den Handlungssträngen dieser Geschichte.[1] Zwischen den Monstern in Tolkiens Werken und denen im Beowulf gibt es einige Überschneidungen, darunter teilweise sogar sehr große Ähnlichkeiten, wie beispielsweise zwischen dem namenlosen Drachen aus Beowulf und dem Drachen Smaug im Hobbit.  In diesem Artikel sollen die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen zwei dieser Monster untersucht werden: Zum einen Grendel aus Beowulf, welcher den ersten großen Gegner für den namensgebenden Helden des Werkes darstellt und somit die Handlung des ersten Drittels des Buches maßgeblich beeinflusst. Zum anderen Gollum, aus Tolkiens Mittelerde, der für viele Leser zu den faszinierendsten Figuren dieser Welt zählt und der ebenfalls einen großen Teil zur Geschichte des Hobbits und der Herr der Ringe Bücher beiträgt.

Gemeinsamkeit Lebensraum

Gollums ersten Auftritt findet man im Hobbit, als Bilbo allein durch die Dunkelheit eines Höhlensystems in den Bergen irrt.[2] Das erste Auftreten der Figur wird also stark von der Umgebung, von Gollums Wohnort, mitgezeichnet. Er lebt auf einer „slimy island of rock“[3], die in der Mitte eines kleinen Sees liegt. Dieser See befindet sich sehr tief innerhalb des Berges, was dadurch klar wird, dass Bilbo von seinem ohnehin schon orientierungslosen Standort durch einen langen abschüssigen Gang immer tiefer in den Berg hinein wandert, bevor er an dem See ankommt.[4] Der ganze Ort ist vollkommen dunkel, sodass Bilbo zunächst absolut nichts sieht. Gollum dagegen, der hier zuhause ist, hat große, helle Augen, die als „lamp-like“[5] beschrieben werden, also in schwachem Licht strahlen. Scheinbar kann er mit ihnen auch sehr gut sehen, da er in der Dunkelheit von seiner kleinen Insel aus problemlos erkennt, dass Bilbo, der am Ufer des Sees steht, kein Ork ist.[6]

In dieser Beschreibung findet man die erste starke Ähnlichkeit zu Grendel. Auch Grendels erste Erwähnung beinhaltet seinen Wohnort. Gleich im ersten Grendel beschreibenden Satz heißt es: „[…] der gräßliche Unhold, der in der Finsternis hauste […]“[7]. Spezifischer wird beschrieben, dass Grendel in einem angrenzenden Moor lebt.[8] Im zweiten Teil der Geschichte, in dem Beowulf Grendels Mutter nach ihrem Rachezug zu ihrem Heim zurückverfolgt, wird die Behausung der beiden Monster näher beschrieben. Die Heldenschar kommt im Moor an ein Gewässer, das sie als Heimat des Monsters erkennen. Beowulf springt ins Wasser und wird von Grendels Mutter in Halle geführt, die sich unter Wasser befindet, in die aber kein Wasser eindringt.[9]  Sowohl Gollum, als auch Grendel, leben also in einer Art unterirdischen Höhle und werden mit Dunkelheit in Verbindung gebracht. Sie scheinen ebenfalls beide lichtscheu zu sein. Grendel greift in der ganzen Geschichte nur nachts an[10] und in Gollums Werdegang, den Gandalf in Die Gefährten Frodo beschreibt, gibt es einen Moment, in dem die Wärme und das Licht der Sonne anfangen, Gollum Schmerz zuzufügen und er sich bewusst in die Dunkelheit der Berge zurückzieht.[11] Auch der Bezug zu Wasser ist bei beiden Monstern gegeben. Grendel lebt im Moor in einem See und Gollum auf der schlammigen Insel in der Mitte des Bergsees. Gollums Bezug zum Wasser wird durch sein früheres Leben als Mitglied eines Hobbitvolkes, der seinerseits ein sehr wasserverbundenes Leben führte, noch verstärkt.[12] Auch die in der Dunkelheit leuchtenden Augen Gollums finden sich bei Grendel wieder. Im Beowulf heißt es: „Aus seinen Augen flammte, der Lohe gleich, ein gräßliches Licht.“[13]. Anders als bei Gollum lässt sich in Grendels Fall jedoch nicht sagen, ob dieses Licht zur Verbesserung seines Sehvermögens beiträgt.

Gemeinsamkeit Kain

Neben diesen charakteristischen Ähnlichkeiten gibt es eine weitere sehr deutliche Verbindung, auf die in der Forschung eingegangen wird, wenn es um die Gemeinsamkeiten zwischen Beowulf und Tolkiens Werken geht.[14] Sie besteht im Bezug zu der biblischen Geschichte von Kain. Im Fall von Grendel wird dieser Bezug direkt im Werk hergestellt. Grendel ist, wie andere Monster auch, ein Nachfahre Kains.[15] Er hat das Böse vererbt bekommen und lebt, wie sein Vorfahre, außerhalb der menschlichen Zivilisation im Exil. Gollum wird dagegen in kein Verwandtschaftsverhältnis zu Kain gesellt, sondern begeht den Sündenfall selbst. Sméagol, wie Gollum heißt, bevor er seine Wandlung zum Monster durchgemacht hat, angelt zusammen mit seinem Freund Déagol. Als Déagol dabei ins Wasser fällt, findet er den Ring. Sméagol möchte den Ring selbst gerne haben und tötet Déagol, als dieser ihm den Ring nicht freiwillig übergibt.[16] In der Erzählung ist zwar nicht die Rede von einer brüderlichen Verwandtschaft zwischen den beiden, aber aufgrund der Ähnlichkeit der Namen kann man zumindest vermuten, dass die beiden in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zueinander stehen.[17] Sméagol, der daraufhin zu seiner Familie zurückkehrt, erfährt durch den Einfluss des Ringes eine stetige Wesensveränderung, die dazu führt, dass er ins Exil verbannt wird.[18] Sméagols beziehungsweise Gollums Geschichte erinnert sehr stark an die biblische Erzählung Kains.

Obwohl Grendel das Böse nur durch Kain geerbt hat und Gollum die böse Tat selbst verübt hat, sind die Parallelen durch den Bezug auf dieselbe biblische Geschichte doch deutlich.

Unterschiede

Trotz dieser deutlichen Parallelen zwischen den beiden Monstern gibt es auch grundlegende Unterschiede. Diese betreffen zum einen das Aussehen: Von den leuchtenden Augen abgesehen bestehen keine nennenswerten Ähnlichkeiten. Gollum wird als „a small slimy creature“[19] beschrieben. Grendel dagegen wird als „Riese“[20] bezeichnet. Die Größe wird durch das spätere tragen seines Kopfes, was nur von vier Männern zusammen möglich ist, besonders deutlich veranschaulicht.[21] Dazu hat Grendel Klauen,[22] die in Gollums Erscheinungsbild ebenfalls nicht auftauchen.

Ein anderer Unterschied liegt darin, dass Grendel wie erwähnt als Monster geboren wurde und durch sein Erbe vollständig böse zu sein scheint. Gollum war dagegen früher mal ein Wesen, das einem Hobbit ähnlich ist.[23] Ob man Hobbits als Monster bezeichnen kann oder nicht, ist eine Frage auf die auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll. Aber sie sind in Tolkiens Welt zumindest recht eindeutig keine bösen Wesen. Sméagol wird erst ab dem Zeitpunkt, an dem der Ring in seinem Leben auftaucht und er Déagol tötet, böse. Und selbst nach all den Jahren in der Dunkelheit, in denen sein ehemaliges Wesen immer mehr verschwunden ist, scheint der gute Teil im Kontakt mit Frodo und Sam teils wieder ein wenig hervorzukommen.[24] Gollum scheint, im Gegensatz zu Grendel, also nicht von Natur aus böse zu sein.

Vielleicht ist es auch diese Wesensverschiebung, die dafür sorgt, dass die beiden Monster eine unterschiedliche Rolle in der Geschichte einnehmen. Während Grendel einen klaren Gegner des Helden darstellt, wechselt Gollums Rolle zwischen Gegner und Konkurrent um den Besitz des Ringes und Verbündetem der Helden, der ihnen hilft ihre Aufgabe zu erfüllen ­– wenn auch teils eher widerwilli­g –, hin und her.

Fazit

Gollum kann aufgrund der beschriebenen Parallelen und trotz, beziehungsweise vielleicht auch wegen der Unterschiede, als moderne Interpretation von Grendel gesehen werden. Von beiden entsteht zunächst der Eindruck eines Ungeheuers, welches  in einiger Entfernung zur menschlichen Zivilisation, und in der Dunkelheit lebt und eine starke Verbindung zum Wasser hat. Die Ähnlichkeit wird durch den Sündenfall des Bruder- beziehungsweise Verwandtschaftsmordes aus Eifersucht und die anschließende Verbannung ins Exil noch vertieft. Diese Tat wird in Tolkiens Werken nicht von einem Vorfahren verübt, sodass Gollum nicht als geborenes Böses dasteht. Stattdessen kann man ihn als eine Figur betrachten, deren seelischer Verfall nachvollziehbar ist und die den Zugang zu ihrer guten Seite vielleicht nicht vollständig verloren hat. Damit kann man Gollum als eine im Äußeren etwas umgestaltete Neuinterpretation von Grendel sehen, die einem einen tieferen Einblick in das Innenleben des Monsters gewährt.
Die These, dass Tolkien bei der Erschaffung der Figur Gollums tatsächlich so stark von Grendel beeinflusst wurde wie eben dargestellt, lässt sich nicht mit endgültiger Sicherheit beweisen, da Tolkien selbst dazu keine ausführliche Auskunft gegeben hat.[25] Aber die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Monstern und die Tatsache, dass Tolkien sich selbst stark mit Beowulf auseinandergesetzt hat, lässt zumindest die Vermutung auf einen gewissen Einfluss von der Figur Grendel auf die Entstehung von Gollum nicht unplausibel erscheinen.


[1]    Vgl. Tolkien, John R. R.: The Monsters and the Critics. In: The Monsters and the Critics and other Essays. Hg. v. Christopher Tolkien. London: HarperCollins, S. 5-48.

[2]    Vgl. Tolkien, J.R.R.: The Hobbit, London 2006, S. 81ff.

[3]    Ebd. S. 85.

[4]    Ebd. S. 83f.

[5]    Ebd. S. 85.

[6]    Ebd. S. 85.

[7]    Beowulf: Ein altenglisches Heldenepos. Übersetzt und herausgegeben von Martin Lehnert. Reclam, Stuttgart 2004 S. 32, Vers 86f.

[8]    Vgl. ebd. S. 33, Vers 103f.

[9]    Vgl. ebd. S. 94ff., Vers 1398ff.

[10]  Vgl. ebd.

[11]  Vgl.Tolkien, John R.R.: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, London 1999, S. 71.

[12]  Ebd. S. 69.

[13]  Beowulf,  S. 60, Vers 726f.

[14]  Siehe zum Beispiel Nelson, Brent: Cain-Leviathan Typology in Gollum and Grendel. In: Extrapolation: A Journal of Science Fiction and Fantasy 49/3 (2008)

[15]  Beowulf, S. 33, Vers 106ff.

[16]  Tolkien: The Fellowship of the Ring, S. 70.

[17]  Vgl. Brent: Cain-Leviathan Typology in Gollum and Grendel, S. 467.

[18]  Tolkien: The Fellowship of the Ring, S. 70f.

[19]  Tolkien,: The Hobbit, S. 84.

[20]  Beowulf, S. 61, Vers 761.

[21]  Ebd., S. 104, Vers 1635ff.

[22]  Ebd., S. 60, Vers 738.

[23] Tolkien: The Fellowship of the Ring, S. 69.

[24]  Vgl. Tolkien, J.R.R.: The Lord of the Rings. The Two Towers, London 2007.

[25]  Vgl. Brent: Cain-Leviathan Typology in Gollum and Grendel., S. 466.

Ein Vergleich der Drachen im Beowulf und in Tolkiens Hobbit

J.R.R. Tolkien ist vor allem durch seine Werke wie Herr der Ringe oder Der Hobbit bekannt. Doch Tolkien war auch Professor für englische Sprache und beschäftigte sich intensiv mit Beowulf. Auf die Frage nach der Beziehung zwischen Hobbit und Beowulf gibt er in einem Brief zur Antwort, dass Beowulf zu seinen wertvollsten Quellen gehört:

Beowulf is among my most valued sources; though it was not consciously present to the mind in the process of writing, in which the episode of the theft arose naturally (and almost inevitably) from the circumstances. 1

Tolkiens intensive Beschäftigung im Besonderen mit Drachen ist in einem weiteren Brief enthalten, in dem er seine Meinung über den Beowulf-Drachen äußert:

I find ‚dragons‘ a fascinating product of imagination. But I don’t think the Beowulf one is frightfully good. But the whole problem of the intrusion of the ‚dragon‘ into northern imagination and its transformation there is one I do not know enough about. Fáfnir in the late Norse versions of the Sigurd-story is better; and Smaug and his conversation is in debt there. 2

Aus seinem Aufsatz über das altenglische Epos „The Monsters and the Critics“ kann zudem herausgelesen werden, dass er einen besonderen Fokus auf die Ungeheuer der Erzählung gelegt hat, wozu auch der Feuerdrache gehört:

And dragons, real dragons, essential both to the machinery and the ideas of a poem or tale, are actually rare. [The Beowulf poet] esteemed dragons, as rare as they are dire, as some do still. He liked them – as a poet, not as a sober zoologist; and he had good reason.3

Geradezu naheliegend scheint da der Vergleich zwischen dem Drachen im Beowulf und dem Drachen im Hobbit; daher wird in diesem Artikel untersucht, in welchen Merkmalen sich die beiden Drachen ähneln oder unterscheiden, wie ihre Beziehungen zu anderen Figuren dargestellt werden und welche jeweiligen Rollen und Funktionen beide in der Erzählung haben.

Vergleich der Drachen

Im Vergleich der Merkmale und des Verhaltens beider Drachen sieht man mehrere Punkte, in denen sich die Drachen stark ähneln.  Es gibt im Beowulf keine ausführliche Beschreibung des Drachens,  er erscheint  in der Handlung ohne jedwede Hinführung, wie auch Gwyn Jones schreibt: „Admittedly one would be troubled to draw the dragon in any detail“4. Durch bestimmte Verhaltensweisen und Handlungen lassen sich jedoch einige Informationen ableiten.

Tolkien hingegen beschreibt den Drachen im Hobbit ausführlich. Der Drache Smaug wird eingehend dargestellt, einmal aus einer auktorialen Erzählperspektive, die den Drachen visuell vorstellt, ein weiteres Mal durch mehrere Passagen, in denen Smaug selbst die Erzählperspektive einnimmt. So tritt Smaug als „rotgoldner[…] Drache“5 mit einem langen mächtigen Schwanz (H vgl.S. 217) auf und wird bei der Beschreibung seiner Flügel mit einer „Fledermaus“ (H S. 217) verglichen.

Stellt man die hier gewonnenen Informationen zusammen, ergeben sich erkennbare Verbindungen: Sowohl Smaug als auch der Drache im Beowulf sind nachtaktiv; Beowulfs Drache zeichnet sich genau durch dieses Verhalten aus, es wird explizit sein Bezug zur Nacht betont.

Der Tag war endlich vergangen / Nach Wunsch des wütenden Drachen.6

Zum Hort floh er zurück, / Zum geheimen Höhlenraum, vor hellem Tagesanbruch (B V. 2319f.)

Auch Smaug verbreitet sein Unglück nachts. Bereits zu Anfang der Erzählung bei der ersten Vorstellung Smaugs als das Monster, welches es zu bezwingen gilt, wird sein Erscheinen in der Nacht betont:

Die Kiefern rauschten auf der Höhe  und die Winde stöhnten in der Nacht. Das Feuer war rot und barst wie ein Glutball.  Die Bäume brannten hell wie Fackeln.  (H S.21)

Sogar die Reaktionen der mit den Drachen verbundenen Menschen ähneln sich stark in ihrer Wortwahl. Demnach heißt es bei Beowulf: „Der helle Feuerschein / Flößte den Leuten im Land Entsetzen ein“ (B V. 2313f.) und Tolkien schreibt in dem Lied der Zwerge: „[…] und die Menschen schauten mit fahlen Gesichtern herauf:  der Zorn des Drachen entbrannte noch heller als Feuer“ (H S. 22). Beide Drachen, wie man den gerade genannten Textstellen entnehmen kann, können Feuer speien und sind flugfähig. Feuer geht mit dem Bild des Drachen einher, es ist das erste Anzeichen für einen Drachen und die Methode seiner Zerstörung, „the monster and the fire turn out to be the same thing“7. Außerdem zeichnen sich die Drachen durch ihre außerordentlich starken Panzer aus. Am Kopf des Beowulf-Drachen zerbricht Beowulfs Schwert Nägeling (vgl. B V. 2680). Allerdings besitzt der Panzer eine verwundbare Stelle: „Indem [Wiglaf] den Kampffeind am Körper weiter unten traf / […]. Das ruhmreiche Schwert drang ein“ (B V. 2269f.). Auch Smaug wird durch einen starken Panzer geschützt; aber er ist im Vergleich zum Beowulf-Drachen noch weiter gestärkt und geschmückt:

[…] versprühte [Smaugs] untere Panzerseite im Mondlicht weißes Edelsteingeglitzer – aber ein einzelner Fleck blieb stumpf. […] Der Pfeil schlug ein […] (H S.251-252)

Anhand der Analyse der Kenningar von Hertha Marquardt wird der Beowulf-Drache nämlich sowohl „Schatzhüter“8  als auch „Hüter des Berges“9 bezeichnet, Begriffe die auch auf Smaug zutreffen. Ferner erreichen beide Drachen ein hohes Alter, im Beowulf heißt es: „So bewohnte der gewalttätige Volksfeind dreihundert Winter lang […]“ (B V.2278). Während im Hobbit Smaug spricht:

Ich brachte die alten Krieger um, und solche Krieger gibt es heute in der Welt nicht mehr. Und damals war ich noch jung und zart. Jetzt aber bin ich alt und stark, stark, stark […] (H S.229)

Beziehung zu anderen Figuren

Um die Charakterisierung fortzusetzen, sollen nun die Verknüpfungen der Drachen mit anderen Figuren betrachtet werden. Beide Drachen kommen mit nur einer kleinen Anzahl an Figuren in Berührung. Smaug trifft auf Bilbo Beutlin, den Meisterdieb, der den Pokal entwendete und seinen Bewacher damit aus dem Schlaf holte; und auf Bard den Bogenschützen, der ihn mit einem gezielten Schuss an seiner Schwachstelle trifft und tötet. Mit ähnlich vielen Personen tritt der Drache im Beowulf in Kontakt. Vor allem der Held Beowulf selbst setzt sich mit dem Drachen auseinander; dazu kommt Wiglaf, der den Drachen durch einen gezielten Stoß in seine Schwachstelle zum Tod verhilft. Dieser Drache trifft auch auf ‚seinen‘ Dieb. Der Dieb ist hier ebenso der Grund für das Aufwachen des Drachens.

Der Beowulf-Drache kommt im Wesentlichen aber nur mit einer Figur in Berührung: König Beowulf. Dieser Kampf, in dem der Drache mit Feuer und voller Wut versucht, Beowulf zu töten, ist die einzige Auseinandersetzung. Gegenüber anderen Figuren reagiert der Drache nur mit Wut und Zorn. Den Dieb sucht er „[k]ochend vor Wut“ (B V. 2296) in der Umgebung; gegenüber Beowulf wird „sein Zorn entzündet“ (B V. 2555), sobald er Beowulf hört. Der Drache ist in diesem Moment nur auf einen Kampf aus (vgl. B V. 2561).

Ein weiterer Mensch, der insbesondere für den Tod des Drachen eine große Rolle spielt, ist Wiglaf. Dieser lenkt den Drachen durch einen geschickten Stoß, in eine sich am Bauch befindende Schwachstelle (vgl. B V. 2269-70), ab, sodass Beowulf den Drachen töten kann, bevor er selbst kurze Zeit später – an einer von dem Drachen zugefügten Wunde – stirbt. „Wiglaf ist der eigentliche Überwinder des Drachens, stellt aber seine Hilfe ganz bescheiden dar […]“10, da der Tod des Drachens zu Gunsten Beowulfs geschieht.

Im Hobbit ist es insbesondere Bilbo, der durch den Dialog mit dem Drachen und den Beobachtungen, die er währenddessen anstellt, Smaug mehr Tiefe verleiht. Bilbo hat bei seinem zweiten Gang in die Höhle eine lange Unterhaltung mit Smaug. Smaug kann sprechen und sich mit Bilbo unterhalten, was einen bedeutenden Unterschied zwischen beiden Drachen darstellt. Smaug entwickelt sich zu mehr als einer gewalttätigen Bestie, die es zu erschlagen gilt. Denn, obgleich der Beowulf-Drache nicht vollständig einem Tier bezüglich seiner Intelligenz gleicht, ist er doch weit entfernt von der geistigen Auseinandersetzung zwischen Bilbo und Smaug.

Bilbo schleicht unsichtbar durch die Halle und lenkt Smaug mit Schmeicheleien und Rätseln ab. Der Drache bemerkt das zwar sofort (vgl. H  S.2 25) und hält „kein einziges Wort Bilbos für wahr“ (H S. 225), lässt sich aber trotzdem auf die Rätsel und Komplimente ein. Im Laufe der Unterhaltung entlockt er Bilbo mehrere Details über seine Herkunft und Gruppe (vgl. H S. 225), oftmals durch kleine Fehler des Hobbits, die der Drache sofort bemerkt. Es gelingt ihm sogar, Bilbo zu verunsichern, indem er auf seine bereits bestehenden Zweifel eingeht, wodurch dieser tatsächlich beginnt, die Zwerge zu verdächtigen (vgl. H  S. 228). Damit hat Smaug einen Konflikt in Bilbo erkannt, von dem dieser selbst noch nicht einmal wusste. „Drachenzauber“ (H S. 228) wird Smaugs Einfluss genannt, seine Persönlichkeit ist so „überwältigend“ (H S. 228), dass Bilbo dagegen ankämpfen muss. Während der gesamten Unterhaltung kommt Smaugs Arroganz zum Vorschein, sein Stolz über seine Kraft und seinen Besitz; diese Arroganz verleitet ihn jedoch dazu, auf Bilbos Bitte einzugehen, seine Unterseite zu offenbaren, und seine Schwachstelle zu entblößen:

[…] und daß es [Bilbo] aus ganz besonderen Gründen gelüstete, noch einmal genauer nachzuschauen. Der Drache rollte sich herum. „Schau“, sagte er. „Was meinst du dazu?“

[…] Aber im Innern dachte er: Alter Narr! Da ist doch ein leerer Fleck an seiner linken Brust, so nackt wie eine Schnecke ohne Haus! (H S. 229f.)

Funktion in der Handlung

Die Funktion und Rolle der Drachen ist anhand der Handlung klar auszumachen: Smaug ist der Antagonist des Hobbits, und wird schon im ersten Kapitel vorgestellt. Der Drache im Beowulf ist auch das zu bezwingende Monster,  wird allerdings erst sehr spät in Vers 2211 eingeführt. Trotz der Tatsache, dass sich beide Handlungen in nur scheinbar wenigen Details unterscheiden, haben Smaug und der Beowulf-Drache zwei grundlegend unterschiedliche Positionen in der Handlung.

Der erste große Unterschied zwischen beiden Werken findet sich in den Vorstellungen der Drachen, und der damit erzeugten Wirkung. Der Drache im Beowulf wird nur so weit präsentiert, als dass der König Beowulf einen Anlass, hat gegen das Monster zu kämpfen, „the dragon was in his right place, fulfilling his proper function“11, während Smaug genaustens beschrieben wird und  in der Gesamthandlung einen deutlich größeren Platz einnimmt. Die bereits erwähnten wiederholten Treffen mit Bilbo ermöglichen ein konkretes Bild des Drachens.

An genau dieser unterschiedlichen Gewichtung ist die Bedeutung der Drachen für die Erzählung festzumachen; Smaug begründet den Rahmen, in dem einerseits die Erzählung stattfindet, und den es andererseits zu brechen gilt. Der Beowulf-Drache dagegen dient im Schlusskapitel als Mittel zum Zweck für ein glorreiches Ende des Königs (vgl. B V.2842f.), und wie William Lawrence schreibt: „The dragon fits Beowulf as any dragon fits any hero.“12

Zweitens werden durch die längere Zeitspanne, die die Erzählung dem Drachen widmet, die tatsächlichen Begegnungen mit Smaug mit mehr Bedeutung beladen. Außerdem ist die Konfrontation das Resultat einer Erwartungshaltung, die während des gesamten Romans Kapitel für Kapitel gesteigert wurde: Die Handlung strebte von Anfang an auf das Treffen und Überwältigen Smaugs zu.

Im Beowulf dagegen beschäftigt sich der Autor nur kurz mit dem Drachen, da dieser als Monster weithin bekannt war: „that a man fights a dragon is commonplace of story“13, wodurch eine ausführliche Vorstellung ausfällt:„The dragon was so well known on Germanic soil that the poet of Beowulf did not even give him a name.”14
Mit diesem Satz illustriert Lawrence noch eindringlicher den grundlegenden Unterschied zwischen beiden Drachen. Wie schon angedeutet wurde, sind die ‚Namen‘ der Drachen wichtig. Der Drache im Hobbit trägt einen Namen, der im Beowulf allerdings nicht, wodurch auch seine Rolle in der Erzählung beeinflusst wird.

Deutlich wird diese Betrachtung anhand des Todes beider Drachen: In Smaugs letzten Momenten ist der Drache nämlich selbst im Fokus der Erzählung; der Tod des Drachen im Beowulf ist eine Randhandlung für die ausführliche Schilderung des langsamen Todes des Königs.

Smaug wird wie eine Figur behandelt, zeigt ein komplexes Innenleben und besitzt eine eigene Erzählperspektive. Sein Agieren mit Bilbo zeigt im Weiteren eine fast menschliche Intelligenz und konkrete Charakterzüge: Er ist arrogant, gierig, aber auch überaus intelligent und geradezu intrigant in seiner Fähigkeit, Bilbos Unsicherheiten auszunutzen. Tolkiens Drache reagiert nicht nur auf seine Umwelt, er besitzt in der Geschichte einen starken Willen, um eigenständig zu handeln. Sein Verhalten ist eigenständig und den anderen Figuren im Hobbit gleichgestellt.

Der Drache im Beowulf hingegen bleibt namenlos, die Erzählperspektive betrachtet den Drachen distanziert und führt ihn nur zum Zweck der Machtdemonstration des Königs ein. Der Kampf König gegen Drachen vollzieht sich in kurzen Zügen, und dient dem „Heldentod“ (B V.2842f.) Beowulfs, als ehrenvoller Abschluss des „Heldenleben[s]“ 15. Smaugs Tod hingegen beschäftigt sich nur mit Smaug, und offenbart die unterschiedlichen Gewichtungen der Drachen in beiden Erzählungen; der Drache im Beowulf ist Beowulf untergeordnet, Smaug im Hobbit ist die Ordnung, der sich die Erzählung anpasst.