Die Bedeutung von Tierkämpfen in der mittelalterlichen Literatur im Vergleich mit Harry Potter

Am Ende des zweiten Buches der Harry-Potter-Reihe mit dem Titel Harry Potter and the Chamber of Secrets  kommt es zu einem entscheidenden Kampf zwischen dem Phönix Fawkes, dem Haustier des Schulleiters Albus Dumbledore, und dem Lord Voldemort gehorchenden Basilisken. Hierbei tragen die Tierwesen ihr Kräftemessen nicht nur stellvertretend für ihre Besitzer aus, vielmehr geht es dabei um den Kampf zwischen Gut und Böse. Dieses Phänomen besteht nicht erst seit der Veröffentlichung der britischen Fantasy-Reihe, sondern bedient sich vermutlich der zahlreichen abendländischen Vorlagen, in denen „gute“ oder „edle“ Wesen gegen „böse“ oder „niedere“ kämpfen und dabei als Metaphern auf den Antagonismus zwischen Gott und Teufel, Himmel und Hölle hinweisen.
So auch im klassischen höfischen Artusroman „Iwein“ des mittelhochdeutschen Dichters Hartmann von Aue, anhand dessen im nachfolgenden Blogeintrag in Hinblick auf den Kampf zwischen dem Löwen und dem Drachen ein Vergleich zu Joanne K. Rowlings Version in der Kammer des Schreckens gezogen wird.

Vogel gegen Schlange

Nachdem bereits im Blogeintrag zum Phönix dessen äußerliche Merkmale und wesensbeschreibenden Eigenschaften behandelt wurden, ist bekannt, dass Phönixe in der von Joanne K. Rowling geschaffenen Zaubererwelt als treue Haustiere fungieren können.
So entschloss auch Fawkes sich offenbar, bei Albus Dumbledore zu bleiben und wohnt seither im Büro des Schulleiters. Am Ende des Buches Harry Potter and the Chamber of Secrets stellt der Vogel dann seine Treue zu seinem Besitzer unter Beweis. Er erscheint in der Kammer des Schreckens, in dem Moment, als Harry Tom Riddle, der jugendlichen Version des später gefürchteten Zauberers Lord Voldemort, verbal die Stirn bietet, indem er verkündet, dass Albus Dumbledore der größte Zauberer aller Zeiten sei.[1] Damit beweist er ebenfalls seine unerschütterliche Treue zu seinem Mentor. Fawkes bringt ihm daraufhin den Sprechenden Hut (Sorting Hat)[2], in dem im weiteren Verlauf des vorletzten Kapitels des Buches ein Schwert erscheint, mit dem Harry sich verteidigen kann. Als Tom Riddle nach dem Auftauchen des Phönix‘ dann das in der Kammer wohnende Monster, den Basilisken, herbeiruft und ihm befielt, Harry zu töten[3], interveniert der Phönix und verletzt die Augen der Riesenschlange so sehr, dass sie erblindet und somit ihr tödlicher Blick Harry nichts mehr anhaben kann:

„Fawkes was soaring around its head, and the Basilisk was snapping furiously at him with fangs long and thin as sabres. Fawkes dived. His long golden beak sank out of sight and a sudden shower of dark blood spattered the floor. […] Harry looked straight into [the basilisks] face, and saw that its eyes […] had been punctured by the phoenix […].“[4]

Tom Riddle versucht daraufhin, die Aufmerksamkeit des Basilisken wieder auf die Beseitigung Harrys zu lenken und den Vogel zu ignorieren: „Leave the bird! Leave the bird! The boy ist behind you! You can still smell him! Kill him!“[5] Der Basilisk missachtet den Befehl und versucht, seines Augenlichts beraubt und verwirrt, sich gegen die andauernden Attacken des Vogels zu wehren, welcher unablässig seinen Kopf umkreist, und nun auch mit seinem Schnabel auf das Riechorgan des Kontrahenten einsticht. Bei genauerer Betrachtung dieser Szene fällt auf, dass nur Tom Riddle seinem ihm untergebenen Tierwesen Anweisungen gibt und es somit bewusst in seinem Namen kämpfen lässt. Harry hingegen wird von dem Phönix lediglich beschützt, gibt ihm seinerseits aber keine Befehle. Dies hängt, neben Harrys Überforderung in der Situation, vermutlich auch damit zusammen, dass der Vogel nicht ihm direkt untersteht. Er verteidigt Harry lediglich aufgrund seiner Treue zu Dumbledore.

Der Kampf in der Kammer des Schreckens, Jennie Huggins Illustration: https://www.deviantart.com/jenhuggybear/art/The-Chamber-of-Secrets-567376737 (zuletzt aufgerufen 10.09.2018)

Als Harry nun das besagte Schwert entdeckt, übernimmt er selbst den aktiv kämpfenden Part und Fawkes findet erst wieder Erwähnung, nachdem Harry den Basilisken getötet hat und an seiner im Kampf entstandenen Wunde durch einen Zahn der Schlange, zu sterben droht.
Der Phönix heilt die Verletzung durch seine Tränen: „[…] and there was Fawkes, still resting his head on Harry’s arm. A pearly patch of tears was shining all around the wound – except that there was no wound.“[6]

Bei dem Kampf zwischen dem Phönix und dem Basilisken handelt es sich, wie nun ersichtlich geworden ist, um einen stellvertretenden Kampf, den die Tierwesen im Namen ihrer Besitzer austragen. Hierbei nimmt der Basilisk, welcher direkte Anweisungen seines Gebieters erhält, die angreifende, der Phönix hingegen die verteidigende Rolle ein. Übergeordnet handelt es sich darüber hinaus um ein Kräftemessen zwischen der guten und der bösen Seite der Zaubererschaft. Fawkes steht für die Zaubererwelt, welche sich als nach ethischen und moralischen Grundsätzen handelnd versteht. Die Gestalt des Phönix steht, wie bereits aus dem vorangegangen Artikel über den Phönix bekannt, in der mittelalterlichen und antiken Anschauung überdies auch für die Erlösung und die Auferstehung Christi.[7] Sie stellt also ein Symbol des Guten und der Hoffnung dar. Der Basilisk kämpft im Namen Tom Riddles, also der dunklen Seite. In der christlichen Tradition gilt der Basilisk als eine Verkörperung des Bösen und als Sinnbild für Ungerechtigkeit, Lüge und Bosheit,[8] was auch seine Funktion in J.K. Rowlings Geschichte unterstreicht. Sie beabsichtigt zudem beim Leser durch die Beschreibungen der Kreatur klare Antipathien zu wecken.[9] Dies wird zum Beispiel dadurch deutlich, dass der Basilisk keinen Namen bekommt, wie der Phönix Fawkes, sondern bei seiner bloßen Bezeichnung genannt wird. Hierdurch wird klar, dass Riddle kein emotionales Verhältnis zu der Riesenschlange hat, sondern sie lediglich für seine Zwecke nutzen möchte. Im Gegensatz dazu, hat Dumbledore seinem Vogel einen Namen gegeben, weil er in ihm einen Weggefährten, und kein ihm unterstelltes Machtinstrument sieht.

Löwe gegen Drachen

Im Iwein stößt der gleichnamige Hauptprotagonist zu einem Kampf zwischen einem Löwen und einem Drachen hinzu. Zuvor hatte der Artusritter das Angebot ausgeschlagen, Herr des Landes der Dame von Narison zu werden. Iwein sucht Zuflucht in einem nahegelegenen Wald und hört schmerzerfüllte und zornige Laute in der Nähe. Er vermutet dahinter bereits einen Drachen oder ein wildes Tier und folgt den Geräuschen bis auf eine Waldlichtung. Iweins Verdacht bewahrheitet sich, als er Zeuge eines Kampfes zwischen einem Löwen und besagtem Drachen wird. Zunächst ist er unentschlossen, wem er helfen soll, entscheidet sich dann aber für das „edlere“ Tier.[10] Trotzdem zögert er, einzuschreiten, da er fürchtet, der Löwe könnte ihn nach Besiegen des Drachen dennoch angreifen:

wan alsô ist ez gewant,
als ez ouch under den liuten stât:
sô man aller beste gedient hât
dem ungewissen manne,
sô heute sich danne
daz er in iht beswîche.[11]

Französische Buchmalerei aus dem 15. Jahrhundert, Künstler unbekannt. Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Yvain-dragon.jpg (zuletzt abgerufen 13.08.2018)

Schließlich überwindet sich Iwein und erschlägt den Drachen, woraufhin der Löwe sich zu seinen Füßen niederwirft. Damit vollzieht er die höfischen Gesten der Dankbarkeit:

„er antwuorte sich in sîne pflege,
wander in sît alle wege
mit sînem dienst êrte
und volget im swar er chêrte.“[12]

Der Kampf zwischen dem Löwen und dem Drachen und Iweins Einschreiten werden in nur 40 Versen abgehandelt. Trotz der Kürze dieses Textbeispiels lassen sich einige Auffälligkeiten und Parallelen zum Kampf in Harry Potter herausarbeiten. Zunächst einmal handelt es sich ebenfalls um zwei Tiere, welche in der mittelalterlichen Auffassung klar als positiv und negativ konnotiert werden. Der Drache gilt laut Isidor von Sevilla als größtes Lebewesen auf der Erde und wird eng mit dem Feuer in Verbindung gebracht.[13] Im christlichen Mittelalter besteht eine starke Verbindung zwischen dem Drachen und dem Teufel.[14] Dem Löwen hingegen wird stets eine edle und ehrenvolle Rolle zugewiesen.[15] So wird auch im Millstätter Physiologus der Löwe[16]  als erstes Tier gewählt und nicht nur als „König aller Könige“ (chunich aller chunige[17]) sondern als Gott selbst bezeichnet.[18] Dies ist auch der Grund, warum Iwein sich für die Seite dieses Tiers entscheidet und der Löwe sich ihm anschließt.[19] Eine weitere Parallele zu Harry Potter besteht außerdem dahingehend, als dass die Gestalt des Drachen im frühmittelalterlichen Verständnis oftmals einer riesigen Schlange glich, wodurch sich auch die mittelhochdeutsche Bezeichnung wuorm erklärt. Neben der Parallele zum Basilisken als Riesenschlange sei außerdem das Haus Slytherin erwähnt, aus dem Tom Riddle stammt und welches das Symbol einer Schlange trägt.[20]
Der Phönix Fawkes bringt Harry außerdem das Schwert Godric Gryffindors, dem Gründer des Hauses Gryffindor, welches durch einen Löwen verkörpert wird.[21] Im weitesten Sinne handelt es sich also beim Kampf in der Kammer des Schreckens auch um einen zwischen Schlange und Löwe. Somit sind diese Symbolik und ihre Bedeutung mit der aus von Hartmanns Iwein nahezu gleichzusetzen.

Miniaturzeichnung aus dem 13. Jahrhundert. Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Yvainlion.JPG (zuletzt abgerufen 13.08.2018)

Fazit

Sowohl in der mittelalterlichen Epik als auch in modernen Fantasyromanen verfolgen Kämpfe zwischen zwei Tieren oder Fabelwesen mehrere und häufig ähnliche Ziele.
Zum einen dienen diese natürlich immer als spannungsgebende Szene in der Erzählung und lassen den Leser beim Kampf zwischen den meist offensichtlich erkennbaren Parteien mitfiebern. Zum anderen können dadurch aber auch unterschwellig weitere Bedeutungen transportiert werden, wie die Symbolik der kämpfenden Tierarten. Diese kann mitunter in Hinblick auf den vorangegangenen oder nachfolgenden Erzählstrang oder aber auch auf einen übergeordneten (zum Beispiel christlichen) Kontext von großer Relevanz sein. In jedem Fall lohnt es sich, unabhängig vom Erscheinungszeitraum der Werke, einen genaueren Blick auf Tierkämpfe in der vorliegenden Literatur zu werfen. Oftmals halten Metaphorik und Symbolik hier noch mehr interessante Informationen bereit, als es oberflächlich scheint.

——

[1] Vgl. Rowling, Joanne K.: Harry Potter and the Chamber of Secrets, London, 1998, S. 232.

[2] Details zum Sprechenden Hut siehe: Rowling, Joanne K.: The Sorting Hat, unter: https://www.pottermore.com/explore-the-story/the-sorting-hat [zuletzt abgerufen  27.07.2018].

[3] „Then he heard Riddle’s hissing voice: ‚Kill him.‘ The Basilisk was moving towards Harry […].“,
Rowling, Joanne K.: Harry Potter and the Chamber of Secrets, S. 234.

[4] Rowling, Joanne K.: Harry Potter and the Chamber of Secrets, S. 235.

[5] Ebd.

[6] Rowling, Joanne K.: Harry Potter and the Chamber of Secrets, S. 236f.

[7] Vgl. Obermaier, Sabine: Tiere und Fabelwesen im Mittelalter, Berlin, 2009, S. 181.

[8] Liess, Kathrin: Basilisk, unter: http://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/basilisk/ch/9e5f445d919214cd6a0116619af7b233/ [zuletzt abgerufen 27.07.2018].

[9] Vgl. Rowling, Joanne K.: Harry Potter an the Chamber of Secrets, S. 234-236.

[10] „dem hern Îwein tet der zwîfel wê | wederm er helfen solde, | doch gedâhter daz er wolde | helfen dem edeln tiere“, Hartmann von Aue: Iwein, Übers. Krohn, Rüdiger, Stuttgart, 2012, V. 3846-3849.

[11] Hartmann von Aue: Iwein,  V. 3854-1859.

[12] Hartmann von Aue: Iwein,  V. 3877-3880.

[13] Möller, Lenelotte (Übers.): Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla, Wiesbaden, 2008, S. 463.

[14] Hünemorder, Ch.: Dragons – Late ancient and medieval tradition, aus: Lexikon des Mittelalters, unter: http://apps.brepolis.net.00578dpl0d80.emedien3.sub.uni-hamburg.de/lexiema/test/Default2.aspx [zuletzt abgerufen 29.07.2018] und Graf von Nayhauss-Cormons-Holub, Hans-Christoph: Die Bedeutung und Funktion der Kampfszenen für den Abenteuerweg der Helden im „Erec“ und „Iwein“ Hartmanns von Aue, Freiburg, 1967, S. 178.

[15] Vgl. Wolf, Jürgen: Einführung in das Werk Hartmanns von Aue, Darmstadt, 2007, S. 87.

[16] Zur Symbolik des Löwens im Früh- und Hochmittelalter siehe auch: Jäckel, Dirk: Der Herrscher als Löwe, Köln, 2006, S. 144.

[17] Schröder, Christian: Der Millstätter Physiologus. Text, Übersetzung, Kommentar, Würzburg, 2005, S. 64, 6.

[18] Vgl. Schröder, Christian: Der Millstätter Physiologus, S. 64, 7.

[19] Vgl. hierzu auch Sieverding, Norbert: Der ritterliche Kampf bei Hartmann und Wolfram, Heidelberg, 1985, S. 147-150.

[20] Vgl. Rowling, Joanne K.: Hogwarts houses: Slytherin, unter: https://www.pottermore.com/collection/all-about-slytherin, [zuletzt abgerufen 29.07.2018].

[21] Vgl. Rowling, Joanne K.: Hogwarts houses: Gryffindor, unter: https://www.pottermore.com/collection/all-about-gryffindor, [zuletzt abgerufen 29.07.2018].

2 Antworten auf „Die Bedeutung von Tierkämpfen in der mittelalterlichen Literatur im Vergleich mit Harry Potter“

  1. Zunächst einmal guten Morgen und vielen Dank für diesen interessanten wie aufschlussreichen Beitrag!

    Leider kann ich den Beitrag aber nicht ganz in das ‚Wissenschaftsgefüge‘ einordnen: Handelt es sich hierbei um eine Rohfassung eines publizierten Artikels? Inwiefern ist der Beitrag im Sinne eines wissenschaftlichen Textes zitierfähig (hier würde eine etwas genauere Autorenangabe meines Erachtens schon weiterhelfen)?

    Ich danke im Voraus für Ihre freundliche Mithilfe.

    1. Vielen Dank für den Kommentar! Die Autorin heißt Franziska Lieder. Es handelt sich um studentische Arbeiten, die im Rahmen eines Seminars der Uni Hamburg entstanden sind: Im Prinzip ist es also eine kurze Hausarbeit, die als Inspiration dient aber nicht im klassischen Sinne als wissenschaftlicher Aufsatz gilt. Mehr Infos zum Zitieren aus Blogs: https://www.wissenswerkstatt.net/2007/eine-wissenschaft-fuer-sich-wie-man-blogs-wissenschaftlich-korrekt-zitiert-werkstattnotiz-xlii/

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