Die Bedeutung von Tierkämpfen in der mittelalterlichen Literatur im Vergleich mit Harry Potter

Am Ende des zweiten Buches der Harry-Potter-Reihe mit dem Titel Harry Potter and the Chamber of Secrets  kommt es zu einem entscheidenden Kampf zwischen dem Phönix Fawkes, dem Haustier des Schulleiters Albus Dumbledore, und dem Lord Voldemort gehorchenden Basilisken. Hierbei tragen die Tierwesen ihr Kräftemessen nicht nur stellvertretend für ihre Besitzer aus, vielmehr geht es dabei um den Kampf zwischen Gut und Böse. Dieses Phänomen besteht nicht erst seit der Veröffentlichung der britischen Fantasy-Reihe, sondern bedient sich vermutlich der zahlreichen abendländischen Vorlagen, in denen „gute“ oder „edle“ Wesen gegen „böse“ oder „niedere“ kämpfen und dabei als Metaphern auf den Antagonismus zwischen Gott und Teufel, Himmel und Hölle hinweisen.
So auch im klassischen höfischen Artusroman „Iwein“ des mittelhochdeutschen Dichters Hartmann von Aue, anhand dessen im nachfolgenden Blogeintrag in Hinblick auf den Kampf zwischen dem Löwen und dem Drachen ein Vergleich zu Joanne K. Rowlings Version in der Kammer des Schreckens gezogen wird.

Vogel gegen Schlange

Nachdem bereits im Blogeintrag zum Phönix dessen äußerliche Merkmale und wesensbeschreibenden Eigenschaften behandelt wurden, ist bekannt, dass Phönixe in der von Joanne K. Rowling geschaffenen Zaubererwelt als treue Haustiere fungieren können.
So entschloss auch Fawkes sich offenbar, bei Albus Dumbledore zu bleiben und wohnt seither im Büro des Schulleiters. Am Ende des Buches Harry Potter and the Chamber of Secrets stellt der Vogel dann seine Treue zu seinem Besitzer unter Beweis. Er erscheint in der Kammer des Schreckens, in dem Moment, als Harry Tom Riddle, der jugendlichen Version des später gefürchteten Zauberers Lord Voldemort, verbal die Stirn bietet, indem er verkündet, dass Albus Dumbledore der größte Zauberer aller Zeiten sei.[1] Damit beweist er ebenfalls seine unerschütterliche Treue zu seinem Mentor. Fawkes bringt ihm daraufhin den Sprechenden Hut (Sorting Hat)[2], in dem im weiteren Verlauf des vorletzten Kapitels des Buches ein Schwert erscheint, mit dem Harry sich verteidigen kann. Als Tom Riddle nach dem Auftauchen des Phönix‘ dann das in der Kammer wohnende Monster, den Basilisken, herbeiruft und ihm befielt, Harry zu töten[3], interveniert der Phönix und verletzt die Augen der Riesenschlange so sehr, dass sie erblindet und somit ihr tödlicher Blick Harry nichts mehr anhaben kann:

„Fawkes was soaring around its head, and the Basilisk was snapping furiously at him with fangs long and thin as sabres. Fawkes dived. His long golden beak sank out of sight and a sudden shower of dark blood spattered the floor. […] Harry looked straight into [the basilisks] face, and saw that its eyes […] had been punctured by the phoenix […].“[4]

Tom Riddle versucht daraufhin, die Aufmerksamkeit des Basilisken wieder auf die Beseitigung Harrys zu lenken und den Vogel zu ignorieren: „Leave the bird! Leave the bird! The boy ist behind you! You can still smell him! Kill him!“[5] Der Basilisk missachtet den Befehl und versucht, seines Augenlichts beraubt und verwirrt, sich gegen die andauernden Attacken des Vogels zu wehren, welcher unablässig seinen Kopf umkreist, und nun auch mit seinem Schnabel auf das Riechorgan des Kontrahenten einsticht. Bei genauerer Betrachtung dieser Szene fällt auf, dass nur Tom Riddle seinem ihm untergebenen Tierwesen Anweisungen gibt und es somit bewusst in seinem Namen kämpfen lässt. Harry hingegen wird von dem Phönix lediglich beschützt, gibt ihm seinerseits aber keine Befehle. Dies hängt, neben Harrys Überforderung in der Situation, vermutlich auch damit zusammen, dass der Vogel nicht ihm direkt untersteht. Er verteidigt Harry lediglich aufgrund seiner Treue zu Dumbledore.

Der Kampf in der Kammer des Schreckens, Jennie Huggins Illustration: https://www.deviantart.com/jenhuggybear/art/The-Chamber-of-Secrets-567376737 (zuletzt aufgerufen 10.09.2018)

Als Harry nun das besagte Schwert entdeckt, übernimmt er selbst den aktiv kämpfenden Part und Fawkes findet erst wieder Erwähnung, nachdem Harry den Basilisken getötet hat und an seiner im Kampf entstandenen Wunde durch einen Zahn der Schlange, zu sterben droht.
Der Phönix heilt die Verletzung durch seine Tränen: „[…] and there was Fawkes, still resting his head on Harry’s arm. A pearly patch of tears was shining all around the wound – except that there was no wound.“[6]

Bei dem Kampf zwischen dem Phönix und dem Basilisken handelt es sich, wie nun ersichtlich geworden ist, um einen stellvertretenden Kampf, den die Tierwesen im Namen ihrer Besitzer austragen. Hierbei nimmt der Basilisk, welcher direkte Anweisungen seines Gebieters erhält, die angreifende, der Phönix hingegen die verteidigende Rolle ein. Übergeordnet handelt es sich darüber hinaus um ein Kräftemessen zwischen der guten und der bösen Seite der Zaubererschaft. Fawkes steht für die Zaubererwelt, welche sich als nach ethischen und moralischen Grundsätzen handelnd versteht. Die Gestalt des Phönix steht, wie bereits aus dem vorangegangen Artikel über den Phönix bekannt, in der mittelalterlichen und antiken Anschauung überdies auch für die Erlösung und die Auferstehung Christi.[7] Sie stellt also ein Symbol des Guten und der Hoffnung dar. Der Basilisk kämpft im Namen Tom Riddles, also der dunklen Seite. In der christlichen Tradition gilt der Basilisk als eine Verkörperung des Bösen und als Sinnbild für Ungerechtigkeit, Lüge und Bosheit,[8] was auch seine Funktion in J.K. Rowlings Geschichte unterstreicht. Sie beabsichtigt zudem beim Leser durch die Beschreibungen der Kreatur klare Antipathien zu wecken.[9] Dies wird zum Beispiel dadurch deutlich, dass der Basilisk keinen Namen bekommt, wie der Phönix Fawkes, sondern bei seiner bloßen Bezeichnung genannt wird. Hierdurch wird klar, dass Riddle kein emotionales Verhältnis zu der Riesenschlange hat, sondern sie lediglich für seine Zwecke nutzen möchte. Im Gegensatz dazu, hat Dumbledore seinem Vogel einen Namen gegeben, weil er in ihm einen Weggefährten, und kein ihm unterstelltes Machtinstrument sieht.

Löwe gegen Drachen

Im Iwein stößt der gleichnamige Hauptprotagonist zu einem Kampf zwischen einem Löwen und einem Drachen hinzu. Zuvor hatte der Artusritter das Angebot ausgeschlagen, Herr des Landes der Dame von Narison zu werden. Iwein sucht Zuflucht in einem nahegelegenen Wald und hört schmerzerfüllte und zornige Laute in der Nähe. Er vermutet dahinter bereits einen Drachen oder ein wildes Tier und folgt den Geräuschen bis auf eine Waldlichtung. Iweins Verdacht bewahrheitet sich, als er Zeuge eines Kampfes zwischen einem Löwen und besagtem Drachen wird. Zunächst ist er unentschlossen, wem er helfen soll, entscheidet sich dann aber für das „edlere“ Tier.[10] Trotzdem zögert er, einzuschreiten, da er fürchtet, der Löwe könnte ihn nach Besiegen des Drachen dennoch angreifen:

wan alsô ist ez gewant,
als ez ouch under den liuten stât:
sô man aller beste gedient hât
dem ungewissen manne,
sô heute sich danne
daz er in iht beswîche.[11]

Französische Buchmalerei aus dem 15. Jahrhundert, Künstler unbekannt. Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Yvain-dragon.jpg (zuletzt abgerufen 13.08.2018)

Schließlich überwindet sich Iwein und erschlägt den Drachen, woraufhin der Löwe sich zu seinen Füßen niederwirft. Damit vollzieht er die höfischen Gesten der Dankbarkeit:

„er antwuorte sich in sîne pflege,
wander in sît alle wege
mit sînem dienst êrte
und volget im swar er chêrte.“[12]

Der Kampf zwischen dem Löwen und dem Drachen und Iweins Einschreiten werden in nur 40 Versen abgehandelt. Trotz der Kürze dieses Textbeispiels lassen sich einige Auffälligkeiten und Parallelen zum Kampf in Harry Potter herausarbeiten. Zunächst einmal handelt es sich ebenfalls um zwei Tiere, welche in der mittelalterlichen Auffassung klar als positiv und negativ konnotiert werden. Der Drache gilt laut Isidor von Sevilla als größtes Lebewesen auf der Erde und wird eng mit dem Feuer in Verbindung gebracht.[13] Im christlichen Mittelalter besteht eine starke Verbindung zwischen dem Drachen und dem Teufel.[14] Dem Löwen hingegen wird stets eine edle und ehrenvolle Rolle zugewiesen.[15] So wird auch im Millstätter Physiologus der Löwe[16]  als erstes Tier gewählt und nicht nur als „König aller Könige“ (chunich aller chunige[17]) sondern als Gott selbst bezeichnet.[18] Dies ist auch der Grund, warum Iwein sich für die Seite dieses Tiers entscheidet und der Löwe sich ihm anschließt.[19] Eine weitere Parallele zu Harry Potter besteht außerdem dahingehend, als dass die Gestalt des Drachen im frühmittelalterlichen Verständnis oftmals einer riesigen Schlange glich, wodurch sich auch die mittelhochdeutsche Bezeichnung wuorm erklärt. Neben der Parallele zum Basilisken als Riesenschlange sei außerdem das Haus Slytherin erwähnt, aus dem Tom Riddle stammt und welches das Symbol einer Schlange trägt.[20]
Der Phönix Fawkes bringt Harry außerdem das Schwert Godric Gryffindors, dem Gründer des Hauses Gryffindor, welches durch einen Löwen verkörpert wird.[21] Im weitesten Sinne handelt es sich also beim Kampf in der Kammer des Schreckens auch um einen zwischen Schlange und Löwe. Somit sind diese Symbolik und ihre Bedeutung mit der aus von Hartmanns Iwein nahezu gleichzusetzen.

Miniaturzeichnung aus dem 13. Jahrhundert. Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Yvainlion.JPG (zuletzt abgerufen 13.08.2018)

Fazit

Sowohl in der mittelalterlichen Epik als auch in modernen Fantasyromanen verfolgen Kämpfe zwischen zwei Tieren oder Fabelwesen mehrere und häufig ähnliche Ziele.
Zum einen dienen diese natürlich immer als spannungsgebende Szene in der Erzählung und lassen den Leser beim Kampf zwischen den meist offensichtlich erkennbaren Parteien mitfiebern. Zum anderen können dadurch aber auch unterschwellig weitere Bedeutungen transportiert werden, wie die Symbolik der kämpfenden Tierarten. Diese kann mitunter in Hinblick auf den vorangegangenen oder nachfolgenden Erzählstrang oder aber auch auf einen übergeordneten (zum Beispiel christlichen) Kontext von großer Relevanz sein. In jedem Fall lohnt es sich, unabhängig vom Erscheinungszeitraum der Werke, einen genaueren Blick auf Tierkämpfe in der vorliegenden Literatur zu werfen. Oftmals halten Metaphorik und Symbolik hier noch mehr interessante Informationen bereit, als es oberflächlich scheint.

——

[1] Vgl. Rowling, Joanne K.: Harry Potter and the Chamber of Secrets, London, 1998, S. 232.

[2] Details zum Sprechenden Hut siehe: Rowling, Joanne K.: The Sorting Hat, unter: https://www.pottermore.com/explore-the-story/the-sorting-hat [zuletzt abgerufen  27.07.2018].

[3] „Then he heard Riddle’s hissing voice: ‚Kill him.‘ The Basilisk was moving towards Harry […].“,
Rowling, Joanne K.: Harry Potter and the Chamber of Secrets, S. 234.

[4] Rowling, Joanne K.: Harry Potter and the Chamber of Secrets, S. 235.

[5] Ebd.

[6] Rowling, Joanne K.: Harry Potter and the Chamber of Secrets, S. 236f.

[7] Vgl. Obermaier, Sabine: Tiere und Fabelwesen im Mittelalter, Berlin, 2009, S. 181.

[8] Liess, Kathrin: Basilisk, unter: http://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/basilisk/ch/9e5f445d919214cd6a0116619af7b233/ [zuletzt abgerufen 27.07.2018].

[9] Vgl. Rowling, Joanne K.: Harry Potter an the Chamber of Secrets, S. 234-236.

[10] „dem hern Îwein tet der zwîfel wê | wederm er helfen solde, | doch gedâhter daz er wolde | helfen dem edeln tiere“, Hartmann von Aue: Iwein, Übers. Krohn, Rüdiger, Stuttgart, 2012, V. 3846-3849.

[11] Hartmann von Aue: Iwein,  V. 3854-1859.

[12] Hartmann von Aue: Iwein,  V. 3877-3880.

[13] Möller, Lenelotte (Übers.): Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla, Wiesbaden, 2008, S. 463.

[14] Hünemorder, Ch.: Dragons – Late ancient and medieval tradition, aus: Lexikon des Mittelalters, unter: http://apps.brepolis.net.00578dpl0d80.emedien3.sub.uni-hamburg.de/lexiema/test/Default2.aspx [zuletzt abgerufen 29.07.2018] und Graf von Nayhauss-Cormons-Holub, Hans-Christoph: Die Bedeutung und Funktion der Kampfszenen für den Abenteuerweg der Helden im „Erec“ und „Iwein“ Hartmanns von Aue, Freiburg, 1967, S. 178.

[15] Vgl. Wolf, Jürgen: Einführung in das Werk Hartmanns von Aue, Darmstadt, 2007, S. 87.

[16] Zur Symbolik des Löwens im Früh- und Hochmittelalter siehe auch: Jäckel, Dirk: Der Herrscher als Löwe, Köln, 2006, S. 144.

[17] Schröder, Christian: Der Millstätter Physiologus. Text, Übersetzung, Kommentar, Würzburg, 2005, S. 64, 6.

[18] Vgl. Schröder, Christian: Der Millstätter Physiologus, S. 64, 7.

[19] Vgl. hierzu auch Sieverding, Norbert: Der ritterliche Kampf bei Hartmann und Wolfram, Heidelberg, 1985, S. 147-150.

[20] Vgl. Rowling, Joanne K.: Hogwarts houses: Slytherin, unter: https://www.pottermore.com/collection/all-about-slytherin, [zuletzt abgerufen 29.07.2018].

[21] Vgl. Rowling, Joanne K.: Hogwarts houses: Gryffindor, unter: https://www.pottermore.com/collection/all-about-gryffindor, [zuletzt abgerufen 29.07.2018].

Von Potter bis Physiologus – Der Phönix in moderner, abendländischer und antiker Literatur

Einleitung

Der Phönix aus Harry Potter zählt bei den Fans zu den beliebtesten Fabelwesen der Fantasy-Reihe. Dies lässt sich zweifelsohne auf sein anmutiges Äußeres und seine liebenswürdigen Eigenschaften zurückführen, welche ihn besonders in zwei der sieben Bücher, Harry Potter and the Chamber of Secrets und Harry Potter and the Order of the Phoenix, zu einer Schlüsselfigur im Plot werden lassen. Dass er sogar namensgebend für eine wichtige Zauberervereinigung in der Geschichte und somit auch für den Titel des fünften Bandes ist, unterstreicht seine Bedeutung in diesem Kontext.

Was viele Fans nicht wissen: Bei diversen Fantastic Beasts bediente sich die Autorin antiker oder abendländischer Vorbilder, deren Aussehen und Eigenschaften sie häufig zu großen Teilen für ihre Geschichte übernahm. So sind der Basilisk, Zentauren und Einhörner, ja selbst der dreiköpfige Hund keineswegs neue Erfindungen, sondern waren bereits in der mittelalterlichen Literatur verbreitet.

Dieser Artikel wird sich  mit der Frage beschäftigen, inwiefern sich die Darstellungen des Phönix‘ in Harry Potter und dem ergänzenden Lexikon Fantastic Beasts and where to find them von denen in mittelalterlichen Werken wie dem Millstätter Physiologus unterscheiden oder sich gleichen.

Der Phönix als treues Haustier: Fawkes

„Professor, […] your bird – I couldn’t do anything – he just caught fire“[1]

Der Phönix Fawkes taucht erstmalig im zwölften Kapitel des zweiten Bandes Harry Potter and the Chamber of Secrets auf. Während der Zauberschüler auf den Schulleiter wartet, entdeckt er infolge eines „eigenartige[n], würgende[n] Geräusch[es] hinter ihm“ („strange, gagging noise behind him“[2]) einen heruntergekommen aussehenden Vogel, welcher einem halb-gerupften Truthahn ähnelt[3] und auf einer goldenen Stange sitzt. Er wird als kränklich aussehendes Geschöpf mit ausdruckslosen Augen und einem permanent an Volumen verlierendem Federkleid vorgestellt, als er auch schon wenige Zeilen im Anschluss in Flammen aufgeht. Inmitten eines lodernden Feuerballs gibt der Vogel einen lauten Schrei von sich, bevor er zu einem Haufen Asche auf dem Boden zusammenfällt. Wie sich schnell herausstellt, hat Harry jedoch gerade nicht dem dramatischen Feuertod des Haustieres seines Schulleiters beigewohnt, sondern wurde lediglich Beobachter eines regelmäßigen Spektakels. Als Albus Dumbledore bei seinem Eintreffen den aufgelösten Zwölfjährigen vorfindet, erklärt er ihm, dass Phönixe in Flammen aufgingen, wenn es Zeit für sie sei, zu sterben um aus der Asche wiedergeboren zu werden. Dies geschieht sogleich im nächsten Moment:
„A tiny, wrinkled, new-born bird poked its head out of the ashes. It was quite as ugly as the old one.“[4]

Dumbledore fährt fort, dass Fawkes, abgesehen von der Zeit vor und an seinem „Burning Day“, mit seinem wundervollen roten und goldenen Gefieder sehr stattlich aussehe. Außerdem erwähnt er im Folgenden, dass Phönixe faszinierende Geschöpfe seien, aufgrund ihrer Fähigkeiten, ungemein schwere Lasten tragen zu können und Tränen mit heilenden Kräften zu besitzen. Zudem seien sie sehr treue Haustiere.

Phönixdarstellung[5]
Dies beweist sich vor allem im fünften Buch Harry Potter and the Order of the Phoenix, als Fawkes einen für Dumbledore bestimmten Todesfluch mit dem Schnabel auffängt. Offenbar kann dem Vogel neben einem natürlichen und endgültigen Tod auch ein solcher Fluch nichts anhaben, da er zwar nach der Rettung seines Besitzers in Flammen aufgeht, jedoch auch im Anschluss einfach wieder aus der Asche aufersteht.[6]

Gegen Ende des Buches erfährt der Leser dann noch einige zusätzliche Eigenschaften des Vogels, dessen Namen J.K. Rowling vermutlich in Anlehnung an einen Sprengstoff-Attentäter aus dem Jahre 1605 und die gleichzeitige Symbolfigur der alljährlichen Bonfire Night gewählt hat.[7] So ist der Phönix scheinbar in der Lage, eine Musik zu erzeugen, welche als „schaurig, den Rücken kalt herunterlaufend, überirdisch“ („eerie, spine-tingling, unearthly“[8]) beschrieben wird. Sie wirkt ergreifend auf Harry, der das Gefühl hat, sein Herz würde auf die doppelte Größe anschwellen. Die Melodie erreicht eine solche Tonlage, dass er sie als Vibration in seinem Körper spüren kann. Offenbar kann sie auch allein durch ihre Frequenz Feuer entfachen.[9] Im von Joanne K. Rowling ergänzend zur Geschichte verfassten Bestiarien-Lexikon Fantastic Beasts and where to find them wird hierzu erklärt, dass der magische Gesang des Vogels den Mut in reinen Herzen steigere und Angst in unreinen Herzen sähen würde.[10] Der Phönix hat die Größe eines Schwans, einen glitzernden goldenen Schwanz, dessen Federn die Länge von Pfauenfedern haben und sich „seltsam heiß“ („strangely hot[11]) anfühlen. Des Weiteren besitzt er goldene Krallen, verfügt über einen scharfen langen Schnabel und wachsame schwarze Augen. In Harry Potter and the Order of the Phoenix wird zudem deutlich, dass der Phönix fähig ist, zu apparieren.[12] Dies schreibt Joanne K. Rowling auch in ihrem Nachschlagewerk. Dort steht außerdem, dass der Phönix sein Nest auf Bergspitzen in Äqypten, Indien oder China zu bauen pflegt und eine sanftmütige Art besitzt. Da er nicht tötet, besteht seine Nahrung ausschließlich aus Kräutern.

Der Phönix als Ebenbild Gottes

Im Millstätter Physiologus, welcher wahrscheinlich um 1200 abgefasst wurde, wird der Phönix mit Gott höchstpersönlich in Verbindung gebracht, der sich mit dem Vogel vergleicht:

Ich han gewalt, minen lip ze lazzene unde widir ze nemene |
andir nieman hat ubir mich gewalt[13]

So stünde der Vogel selbst für Christus, seine Flügel für das Alte und das Neue Testament.[14] Auch hier wird als Heimat des Vogels Indien[15] genannt. Während Joanne K. Rowling nur davon schreibt, dass der Phönix ein hohes Alter erreichen könne, geht der unbekannte vermutlich geistliche Verfasser des Naturlehrbuches mehr ins Detail.
Mit dem Erreichen seines fünfhundertsten Lebensjahres, beginnt der Phönix hiernach im März mit den Vorbereitungen für seine Auferstehung. Er fliegt in einen Wald mit dem Namen Libanus und baut aus den dort gesammelten duftenden Kräutern ein Nest, unter das er viel Holz legt. Anschließend fliegt er mit einem Hölzchen zur Sonne und fängt dadurch Feuer. Danach begibt er sich in sein Nest und verbrennt darin. Aus seiner Asche entsteht am ersten Tag ein Wurm, welcher sich im Verlaufe des zweiten Tages zu einem Vogel entwickelt und „am dritten sieht er aus wie vorher, nämlich bewundernswert“.[16] Was dieses Erscheinungsbild im Detail ausmacht, wird nicht beschrieben. Im Text der Ebstorfer Weltkarte ist dafür aber von neun Tagen die Rede, die es braucht, bis der Phönix sich wieder als ein Vogel aus der Asche erheben kann.

Die Auferstehung des Phönix‘ auf der Ebstorfer Weltkarte [17]
Die Regenerationszeit scheint also nicht festgelegt zu sein. Bei Harry Potter handelt es sich sogar nur um wenige Minuten. Für diese Zeitkürzung könnte sich die Autorin aber auch wider besseren Wissens aus dramaturgischen Gründen entschieden haben.
Isidor von Sevilla geht in Ethymologiae auf die Namensgebung des Vogels ein. Diese ergebe sich in Anlehnung an seine purpurne, also phönizische Farbe „oder weil er auf der ganzen Welt einzig und einmalig ist. Denn die Araber meinen mit phoenix einzigartig“.[18] Dieser Fakt findet sich in zahlreichen Schriftstücken aus dem Mittelalter.[19] Hier und da wird er zwar nicht explizit als solcher genannt, jedoch ist in der abendländischen Literatur nahezu immer von „dem Phönix“ in der Einzahl die Rede. Auch wird nirgendwo beschrieben, wann und auf welche Weise der Phönix zum ersten Mal geboren wird, was darauf hindeutet, dass er sich nicht mit einem Artgenossen fortpflanzen und Eier legen kann, sondern vermutlich eher ein gottgeschaffenes Wesen ist, was seit jeher existiert. In einigen Schriften ist jedoch   einem Vater die Rede, den der neugeborene Phönix zur Stadt Hyperions bringt.[20] Orientiert man sich auch an antiker Literatur, wie beispielsweise Metamorphosen Ovids, klingt es eher danach, als würde alle 500 Jahre ein neuer Phönix aus der Asche seines Vorgängers geboren werden.[21] Ovid schreibt:

Hierauf, heißt es, entsteht aus dem Körper des Vaters ein kleiner Phönix, dem ebenso viele Jahre zu leben bestimmt sind. Hat ihm das Alter die Kraft, die Bürde zu tragen, verliehen, hebt von den Ästen des hohen Baums er die Last seines Nests und trägt seine Wiege getreulich davon und das Grab seines Vaters, kommt durch die leichten Lüfte zur Stadt Hyperions und legt das Nest im Haus Hyperions ab vor der heiligen Pforte.[22]

Dies stünde im Gegensatz zu der Darstellung bei Harry Potter, wo schon allein durch die Weiterverwendung desselben Namens „Fawkes“ suggeriert wird, dass es sich auch um denselben Vogel handelt. Da ein Vatervogel[23] aber zumeist in vormittelalterlichen Texten seine Erwähnung findet, ist anzunehmen, dass sich die Ansichten diesbezüglich mit der Zeit geändert haben, oder der Vorgänger aus anderen Gründen weggelassen wurde, beispielsweise um die Einmaligkeit des Phönix‘ stärker hervorzuheben.

Fazit

Die heutige Darstellung des Phönix‘ bei Harry Potter gleicht der mittelalterlichen und der antiken im Wesentlichen in der Beschreibung des Äußeren und der Eigenschaft, aus der eigenen Asche wieder aufzuerstehen. In der mittelalterlichen Darstellung findet sich außerdem ein deutlicher Gottesbezug, welcher in J. K. Rowlings Erzählung keine Erwähnung findet. Hier hingegen werden für den Phönix magische Attribute, wie die heilenden Tränen oder der wesensverändernde Gesang, als Merkmale angeführt.
Es deutet sich zudem eine Gemeinsamkeit der Darstellungen bezüglich der Fähigkeit an, schwere Lasten tragen zu können, wenn man sein Augenmerk verstärkt auf die antike Überlieferung legt. Unklar ist, ob es in der Zaubererwelt nur einen einzigen Phönix gibt. Dagegen spräche, dass Phönixfedern auch als Kerne von Zauberstäben verwendet werden und der Zauberstabmacher Olivander Harry einmal erklärt, dass der Phönix, dessen Feder in Harrys Zauberstab verarbeitet ist, nur eine weitere Feder für diese Zwecke gegeben habe.[24] Dies wiederum würde zum einen Fawkes als der Spender dieser Federn bedeuten und zum anderen, dass es nur zwei Zauberstäbe in der gesamten magischen Welt mit einem Phönixfederkern gäbe. Dann müssten allerdings alle verbleibenden Zauberstäbe aus Einhornhaar oder Drachenherzfaser bestehen.[25]


[1] Rowling, Joanne K.: Harry Potter and the Chamber of Secrets, London, 1998, S. 155

[2] Ebd.

[3] „a decrepit-looking bird which resembled a half-plucked turkey“, ebd.

[4] Ebd.

[5] Rowling, Joanne K.: Fantastic Beasts and where to find them, London, 2017, S. 69

[6] „Fawkes […] opened his beak wide and swallowed the jet of green light whole: he burst into flame and fell to the floor, small, wirnkled and flightless […] and the baby phoenix Fawkes croaking feebly on the floor“, Rowling, Joanne K.: Harry Potter and the Order oft he Phoenix, London, 2003, S. 719

[7] Der englische Offizier Guy Fawkes (1570-1606) scheiterte 1605 bei dem Versuch, das englische Parlament mit Sprengstoff zu zerstören. Zur Feier des misslungenen Plots wird heute jedes Jahr am 5. November vielerorts in England im Rahmen der Bonfire Night mit Fackelumzügen und dem Verbrennen einer Guy-Fawkes-Puppe des Ereignisses gedacht.

[8] Rowling, Joanne K: Harry Potter and the Chamber of Secrets, S. 232

[9] Vgl. Rowling, Joanne K: Harry Potter and the Chamber of Secrets, S. 232

[10] Rowling, Joanne K.: Fantastic Beasts and where to find them, London, 2017, S. 68f.

[11] Rowling, Joanne K: Harry Potter and the Chamber of Secrets, S. 239

[12] Entlehnt aus dem englischen „appear“ „disappear, Fähigkeit, an einem Ort zu verschwinden, um an einem willentlich gewählten wieder zu erscheinen.

[13]„Ich habe Macht, mein Leben zu lassen und es wieder zu nehmen. Niemand anderer hat über mich Gewalt.“ Schröder, Christian: Der Millstätter Physiologus. Text, Übersetzung, Kommentar, Würzburg, 2005, S. 140-143

[14] Der Phönix steht des Weiteren für die Menschwerdung Christi, die Erlösung, Auferstehung, Taufe und Eucharistie.

[15] Oftmals ist aber auch von Arabien oder Ägypten die Rede.

[16] Schröder, Christian: Der Millstätter Physiologus – Text, Übersetzung, Kommentar, Würzburg, 2005, Vers 179

[17] http://www.uni-lueneburg.de/hyperimage/EbsKart/start.html, zuletzt abgerufen 26.07.2018

[18] Aus Möller, Lenelotte (Übers.): Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla, Wiesbaden, 2008, S. 480

[19] Vgl. Ebstorfer Weltkarte, siehe http://www.uni-lueneburg.de/hyperimage/EbsKart/start.html

[20] Vgl. Suchier, E: Ovid Metamorphosen aus: http://www.gottwein.de/Lat/ov/met15de.php, 15, V. 391-407, zuletzt abgerufen 05.08.2018

[21] In einigen Darstellungen wird auch beschrieben, dass der Vorgänger vom neuen Phönix in einer Kugel aus Myrrhe in den Tempel der Sonne gebracht und begraben wird,  Vgl. hierzu auch Herodotus [Verf.]; Nesselrath, Heinz-Günther [Übers.] [Herausg.]: Historien, Stuttgart, 2017, Buch 2

[22] Ovidius Naso, Publius [Verf.]; Holzberg, Niklas [Hrsg.]/[Übers.]: Metamorphosen: lateinisch-deutsch, Berlin, 2017, 15, 401-407

[23] Von einem weiblichen Vorgänger ist nie die Rede. Es ist also davon auszugehen, dass der Phönix immer männlichen Geschlechts ist.

[24] Vgl. Rowling, Joanne K.: Harry Potter and the Philosopher’s Stone, London, 1997, S. 56

[25] Siehe hierzu: https://www.pottermore.com/writing-by-jk-rowling/wand-cores

Der Basilisk – Intertextuelle Bezüge in J.K. Rowlings Harry Potter-Universum und mittelalterlichen Literaturen

Der Basilisk in J.K. Rowlings Harry Potter-Universum

Im zweiten Teil der Harry Potter-Fantasy-Romanreihe von J.K. Rowling, Harry Potter and the Chamber of Secrets (1998), spielt ein monströses Schlangenwesen eine zentrale Rolle: der Basilisk. Auf der zusammengeknüllten Buchseite, die Ron und Harry in Hermines versteinerter Faust finden, wird der Basilisk wie folgt beschrieben:

Of the many fearsome beasts and monsters that roam our land, there is none more curious or more deadly than the Basilisk, known also as the King of Serpents. This snake, which may reach gigantic size, and live many hundreds of years, is born from a chicken’s egg, hatched beneath a toad. Its methods of killing are most wondrous, for aside from its deadly and venomous fangs, the Basilisk has a murderous stare, and all who are fixed with the beam of its eye shall suffer instant death. Spiders flee before the Basilisk, for it is their mortal enemy, and the Basilisk flees only from the crowing of the rooster, which is fatal to it.1

In Rowlings fiktionaler Enzyklopädie magizoologischer Kreaturen Fantastic Beasts and Where to Find Them (2001) ist ihm darüber hinaus ebenfalls ein Eintrag gewidmet, der die fiktiven Eigenschaften des schlangenähnlichen Monsters beschreibt:

The first recorded Basilisk was bred by Herpo the Foul, a Greek Dark wizard and Parselmouth […]. The Basilisk is a brilliant green serpent that may reach up to fifty feet in length. The male has a scarlet plume upon its head. It has exceptionally venomous fangs but its most dangerous means of attack is the gaze of its large yellow eyes. Anyone looking directly into these will suffer instant death. If the food source is sufficient (the Basilisk will eat all mammals and birds and most reptiles), the serpent may attain a very great age. Herpo the Foul’s Basilisk is believed to have lived for close on nine hundred years. The creation of Basilisks has been illegal since medieval times although the practice is easily concealed by simply removing the chicken egg from beneath the toad when the Department for the Regulation and Control of Magical Creatures comes to call. 2

J.K. Rowling bediente sich an tradierten Vorstellungen vom Basilisken, die über das Mittelalter bis in die Antike zurückreichen. Im Folgenden sollen Kontinuitäten innerhalb Rowlings Basilisken-Darstellung und der abendländischen Bedeutungsgeschichte des Basilisken aufgezeigt werden. Dabei sollen mittelalterliche naturgeschichtliche Quellen und ihre antiken Vorbilder sowie exemplarisch mittelalterliche erzählende Literatur berücksichtigt werden.

Naturgeschichtliche Basilisken-Darstellungen

Zu Beginn sollen zunächst die antiken Berichte von Plinius dem Älteren aus dem 1. Jahrhundert in der Naturalis Historiae und der Reisebericht des von Plinius abhängigen Solinus, vermutlich aus dem 4. Jahrhundert, hinsichtlich intertextueller Bezüge analysiert werden, da diese Werke zum Kanon der mittelalterlichen Schullektüre zählten und deshalb allgemein bekannt waren.3 Plinius schreibt im 8. Buch seiner Naturkunde Folgendes über den Basilisken:

Dieser [der Katoblepas] ist daher immer zur Erde hinabgebeugt; wäre es anders, so würde das Menschengeschlecht vernichtet werden, da alle, die ihm in die Augen sehen, auf der Stelle den Tod finden. Die gleiche Kraft besitzt auch der Basilisk, eine Schlangenart. Er ist heimisch in der Provinz Kyrenaika [eine Küstenlandschaft in Nordafrika mit der Hauptstadt Kyrene, Anm. d. V.], ist nicht länger als zwölf Finger [etwa 24 cm, Anm. d. V.] und hat am Kopf einen weißen Fleck, der ihn wie ein Diadem schmückt. Durch sein Zischen verjagt er alle Schlangen und bewegt nicht, wie die anderen, seinen Körper durch vielfache Windungen, sondern geht stolz und halb aufgerichtet einher. Er läßt die Sträucher absterben, nicht nur durch die Berührung, sondern auch schon durch den Anhauch, versengt die Kräuter und sprengt Steine: eine solche Stärke hat dieses Untier. Man glaubte, daß jemand ihn einst zu Pferde mit einem Speer erlegt habe und daß das wirkende Gift an diesem emporstieg und nicht nur dem Reiter, sondern auch dem Pferd den Tod brachte. 4

Das Motiv des tödlichen Blickes ist somit bereits bei Plinius zu finden. Darüber hinaus identifiziert Plinius den Basilisken als eine Schlangenart, die anderen Schlangen durch ihr Zischen und ihre aufrechte Fortbewegung überlegen ist. Es handelt sich nicht um eine Schlange überdurchschnittlicher Größe wie bei Rowling, jedoch zeichnet sie sich ebenfalls durch eine übernatürliche Stärke und Giftigkeit aus. Was ein Gegengift betrifft, ist in weiteren mittelalterlichen naturkundlichen Quellen von Bibergeil, ein Duftsekret des Bibers, die Rede5, jedoch nicht von Phönixtränen wie bei Rowling.6 Laut Solinus sollen nicht einmal die sterblichen Überreste des Basilisken ihr Gift verlieren.7 So weiß er von einem Apoll-Tempel zu berichten, den Spinnen und Vögel gleichermaßen mieden, seit man einen toten Basilisken in einem goldenen Netz darin aufgehängt hatte.8 Die Angst der Spinnen vor dem Basilisken ist wiederum eine Parallele zum Harry Potter-Universum.

Auf Grundlage der genannten antiken Quellen entwickelte Isidor von Sevilla im 7. Jahrhundert in seinen Etymologiae eine Definition des Basilisken, die für seine Bedeutungsgeschichte entscheidende Weichenstellungen enthält.9 Isidor definiert den Basilisken in Buch XII der Etymologiae wie folgt:

Der Basilisk [ist] griechisch [und] wird lateinisch mit regulus (kleiner König) übersetzt, weil er der König der Schlangen ist, so dass die, die ihn sehen, fliehen, weil er sie mit seinem Geruch tötet, denn auch wenn er einen Menschen ansieht, tötet er ihn. So geht aber auch an seinem Blick kein fliegender Vogel unversehrt vorüber, sondern er wird, wie fern er auch ist, durch seinen Blick verbrannt [ja] verzehrt.10

In Isidors Ausführungen werden die intertextuellen Bezüge zu den antiken Vorbildern deutlich. So taucht auch bei ihm das Motiv des tödlichen Blicks auf. Tötet der Basilisk bei Plinius noch durch Berührung bzw. durch seinen Anhauch, ist bei Isidor bereits der Geruch des Basilisken tödlich. Die Montage ‚tödlicher Blick – tödliche Luft‘ ist laut Sammer in den nachfolgenden Quellen sogar häufiger anzutreffen als die ursprüngliche Kombination von tödlichem Blick, tödlichem Anhauch und tödlicher Berührung.11 Folgenreich ist zudem, dass Isidor den Basilisken als König der Schlangen klassifiziert. Sammer schreibt von einem „Epitheton“, das „nicht wegzudenken“12 ist. Wie einflussreich Isidors Definition im Mittelalter war, zeigt Sammer noch einmal ausführlich durch die teils wortwörtliche Wiedergabe in mehreren mittelalterlichen Quellen.13 Die Klassifizierung Isidors wirkt darüber hinaus bis in die Neuzeit hinein und beeinflusst theologische Auslegungen und Metaphorisierungen, sowie bildliche Darstellungen als bekrönte Schlange oder als bekröntes schlangenartiges Mischwesen.14 Bei Rowling wird der Basilisk ebenfalls als „King of Serpents“15 bezeichnet.

Basilisken-Motiviken in der mittelalterlichen erzählenden Literatur

Der Basilisk findet sich nicht nur in mittelalterlichen naturkundlichen Texten, sondern auch in mittelalterlicher erzählender Literatur, so z.B. in Konrads von Würzburg Partonopier und Meliur (1277).16 Als der junge Partonopier sich während einer Eberjagd im Wald verirrt, betet er verängstigt zu Gott, er möge ihn vor all den gefährlichen Kreaturen, die im Wald lauern, beschützen.17 Darunter befindet sich auch der Basilisk, dem Partonopier folgende Eigenschaft zuschreibt: hie loset unde lûzel / der basiliske tougen, / der sterbet mit den ougen / den menschen, als er in gesiht.18 Auch Konrad von Würzburg verwendet somit die Motivik des Basilisken mit tödlichem Blick. Für Partonopier geht jedoch keine echte Bedrohung durch den Basilisken aus. Er imaginiert ihn lediglich, da er sich als Kind, das noch nie allein von zu Hause fort war, allein im Wald fürchtet.19

Eine weitere Motivik aus mittelalterlicher erzählender Literatur ist die Tötung des Basilisken durch einen Spiegel oder einen großen Kristall, wodurch der tödliche Blick des Basilisken auf ihn selbst zurückgeworfen und somit die Selbstzerstörung ausgelöst wird.20 Traditionsbildend war diesbezüglich die Alexanderschlacht.21  Sie wird im Alexanderroman Der Große Alexander aus dem 14. Jahrhundert, auch Wernigeroder Alexander genannt, beschrieben.22 Alexander ist mit seinem Heer auf dem Weg zu einem wolkenverhangenen Berg.23 Bei der Durchquerung eines Tales

Da sach man auf dem Berg stan
Büsch, die warn also dik
Daz weder weg noch stig
Dar uber ging dan ain
Klainer steig allain.
Da zoch er mit ungehag
Pizz an den sibenden tag.
Da begegnent in ain solich smak,
Da von ir manger töt lag
Die zu dem ersten dar zugent,
Und sprachent all: „wir mügent
Nit für, die göter sind wider uns.“
Allexander sprach sünß:
„Stet all still gar,
Ich will allain gann dar.
Rauch mir den schilt mein,
Der von gold und gestain fein
Leuht als ain spigel.
Lan schawen waz daz triegel
Sey oder daz künder.“
Der kunig parg sich under
Den schilt und slaich all dar.
Dez nam der basalistus war
Und warf seiner augen schein
Wider den schilt fein,
Dar ynnen er sich selber ersach:
Daz kom im ze ungemach,
Wann er da umb starb
Und zu stund all da verdarb.
Da Allexander vernam daz
Der basalistus töd waz,
Er rüft seinen dienern dar
Und sprach: „nempt all war,
Daz ist der uns ermordet hat.“
Sie lobten all die getat.24

Alexanders Heer wird durch einen üblen Geruch aufgehalten, der so stark ist, dass mehrere Männer zu Tode kommen. Alexander beschließt allein loszugehen, um den Ursprung des Gestanks zu ergründen, nimmt jedoch seinen schützenden, mit Edelsteinen besetzten, goldenen Schild mit. Ein Basilisk, die Ursache für den üblen, tödlichen Geruch, starrt in den spiegelnden Schild und wird so durch sein eigenes Spiegelbild getötet. Alexander ruft daraufhin seine Diener und zeigt ihnen das besiegte Monster.

In Seifrits Alexander aus dem Jahre 135225 ist die Motivik ebenfalls zu finden. Hier ist es jedoch nicht Alexander, sondern Aristoteles, der den Basilisken mit seinem eigenen Spiegelbild bekämpft.26

da sach er an dem gepirg siczen
ainen unkcht und gegen im gliczen,
das ist ain wuerm und haist alsus
zu latein basyliscus.
das ist ain wuerm nit zu klain,
der ist so giftig und so unrain
das im die giftig taugen
scheinet durich die augen.
alles das er ane siecht,
das mag lenger leben nicht,
es sey mensch oder tier,
das mues sterben also schier.27

Der Basilisk in Seifrits Alexander ist so giftig, dass bereits sein Blick tödlich für Mensch und Tier ist. Letztendlich wird er jedoch durch Aristoteles und 80 Krieger mit jeweils 80 Schildern aus poliertem Stahl getötet:28

do er sach in die schilt so dikch
und auch von dem wider plikch
das er sich selb dar inne sach,
die gift im das herez ab prach,
das er auf der stet starb
und von sein selbs gift verdarb.29

In Rowlings Harry Potter-Universum kann der Basilisk zwar nicht durch sein eigenes Spiegelbild vernichtet werden. Sein tödlicher Blick kann aber abgeschwächt werden, indem seine Opfer ihm nicht direkt in die Augen sehen, sondern ihn durch eine spiegelnde Oberfläche bzw. einen durchsichtigen Geist erblicken, woraufhin sie lediglich versteinert statt getötet werden.30

Wie zu Beginn konstatiert, weist Rowlings Konzeption des Basilisken zahlreiche intertextuelle Bezüge auf, die vom Mittelalter bis in die Antike zurückreichen. Dabei wurde insbesondere die Motivik des tödlichen Blicks, aber auch die extreme Giftigkeit aufgegriffen. So wird Tom Riddles Tagebuch, was sich im späteren Verlauf der Romanreihe als schwer zerstörbarerer Horkrux herausstellt, von Harry mit dem giftigen Zahn des Basilisken durchbohrt und somit vernichtet.31Zudem ist auch die Klassifizierung des Basilisken als König der Schlangen bei Rowling wiederzufinden. Motiviken wie die Tötung des Basilisken durch sein eigenes Spiegelbild sind in abgewandelter Form festzustellen. Nichtsdestotrotz bildet die abendländische Bedeutungsgeschichte des Basilisken die Folie für Rowlings monströses Schlangenwesen.