Der Held Beowulf muss sich im gleichnamigen altenglischen Epos gegen drei Gegenspieler behaupten: das Monster Grendel, dessen Mutter und einen Drachen. Die unter der Regie von Robert Zemeckis entstandene Filmadaption Beowulf (2007) des über 1000 Jahre alten Stoffes unterscheidet sich in der Darstellung dieser drei Monster und der mit ihnen zusammenhängenden Figurenkonstellation stellenweise deutlich von der literarischen Vorlage. Besonders interessant ist dabei die Rolle der Mutter Grendels, deren äußeres Erscheinungsbild im Original nicht beschrieben und die im Film von der US-Schauspielerin Angelina Jolie verkörpert wird. Sowohl auf visueller als auch inhaltlicher Ebene deutet der Film an, dass Grendels Mutter eine Mahrte ist, die ihre Opfer verführt und mit ihnen eine Mahrtenehe eingeht, also eine „Verbindung eines Menschen mit einem übernatürlich-jenseitigen Wesen“1. Im Folgenden soll diese These überprüft und die Funktion der Neuinterpretation und Aufwertung der Figur untersucht werden.
Aspekte einer Mahrtenehe im Beowulf (2007)
Grendels Mutter wird in der literarischen Vorlage als „Das Schreckensweib […] / Welche die Wasserwüsten bewohnen mußte“2 beschrieben. Außer der Erwähnung von „scheußlichen Krallen“3 finden sich keinerlei Aussagen bezüglich ihres Phänotyps. Eine solch lückenhafte Beschreibung der Figur bietet den Filmemachern großen Spielraum und dient als Anlass, Grendels Mutter in dem Film eine stärkere Bedeutung für den Handlungsverlauf zukommen zu lassen als in der literarischen Vorlage vorgesehen. Zunächst ist das Ungeheuer nur in Spiegelungen und niemals in ganzer Gestalt zu sehen. So wirkt es auf die RezipientInnen erst so, als handle es sich um ein außergewöhnliches Wasserwesen mit einem fischartigen Kopf, beweglichen Tentakeln und langen Fingern mit Schwimmhäuten.
Später erscheint sie außerhalb des Wassers jedoch als Frau in attraktiver Gestalt mit goldfarbener, schimmernder Haut und einem Schwanz, der aus ihrem Unterleib wächst und noch als einziger Hinweis darauf dient, dass es sich bei Grendels Mutter um ein unmenschliches Wesen handelt.
Diese Verwandlung und die vielen menschlichen Attribute sind Hinweise darauf, dass es sich bei der Figur um eine besondere Form eines Mischwesens, eine sogenannte Mahrte, handelt. Der damit verknüpfte Begriff Mahrtenehe wird im weiteren Sinn „zur Umschreibung jeglicher erotischen oder sexuellen Verbindung eines Menschen mit einem übernatürlich-jenseitigen Wesen“4 verwendet. Die Darstellung der Mutter Grendels weckt dabei Assoziationen zu weiblichen Wassermonstern wie zum Beispiel den Sirenen, die einen Fischschwanz besitzen und „meist mit entblößten Brüsten dargestellt werden“5. „[D]as Motiv der Mahrtenehe mit der zur Meerjungfrau mutierten Sirene ist ein liter[arischer] und kinematographischer Dauerbrenner.“6 Es ist also nicht erstaunlich, dass eines dieser „erotisch-monströsen Mischwesen“7 im Film in einer Erinnerung Beowulfs auftaucht, was ein weiterer Hinweis auf das Motiv der Mahrtenehe sein könnte. In der entsprechenden Szene wird angedeutet, dass Beowulf sich von dem mysteriösen Wesen hat verführen lassen und eventuell eine Mahrtenehe mit ihm eingegangen ist. Im Manuskript des Films wird dieses Wesen beschrieben als „a beautiful golden woman […] not a mermaid, but there is something inhuman about her“8.
Diese und die folgende weitere Beobachtung stärkt die These, dass Grendels Mutter eine Mahrte ist, die sowohl Eigenschaften eines Menschen als auch eines Wassermonsters in sich vereint und so ein neues, besonders mächtiges Monstergeschlecht darstellt. Im engeren Sinn wird mit dem Begriff der Mahrtenehe vor allem eine ehe-ähnliche oder erotische Verbindung mit einem Mahr (auch: Nachtmahr, Mart oder weiblich Mahrte) bezeichnet, also einem sogenannten Druckgeist, der nachts „durch das Schlüsselloch, ein Astloch oder durch irgendeine kleine Öffnung in der Tür“9 eindringt und seinem schlafenden Opfer das Gefühl gibt, es würde von einem Wesen auf seiner Brust erstickt.10 Anspielungen auf dieses Motiv finden sich im Film in der Szene, in der Grendels Mutter nach der Ermordung ihres Sohnes durch Beowulf diesen offenbar nachts im Schlaf heimsucht und zahlreiche Dänen auf brutale Weise kampflos tötet. Die Kameraführung stellt diese Szene aus der Sicht von Grendels Mutter dar, die soeben ihren toten Sohn in den Händen hielt, nun nach Rache sinnt und durch einen schmalen Spalt zwischen zwei Holzpfeilern in die dänische Königshalle eindringt. In dieser Nacht hat Beowulf einen vermeintlichen Traum, in dem ihm die dänische Königin Wealtheow erscheint und wie ein Geist über seiner Brust schwebt. Unter dem Aspekt der eben beschriebenen schnittlosen Kameraführung wird klar, dass es sich dabei um eine Täuschung der Mutter Grendels handelt, die offenbar wie ein Mahr „vielfältige Verwandlungsgestalten“11 annehmen kann, und die hier eventuell bereits versucht, Beowulf zu verführen, was ihr später gelingen wird.
Funktionen der Neuinterpretation
Ein großer, für die Handlung folgenschwerer Unterschied zum Epos besteht darin, dass Beowulf Grendels Mutter nicht besiegt, sondern sich mit ihr vereint. In der betreffenden stark sexuell aufgeladenen Szene, in der Grendels Mutter erstmals ganz zu sehen ist und ihre menschenähnliche Gestalt annimmt, verführt sie den Helden dazu, ihr dafür, dass er Grendel getötet hat, einen neuen Sohn zu schenken. Zu späterem Zeitpunkt wird sich herausstellen, dass das aus dieser Mahrtenehe stammende Wesen der Drache ist, den Beowulf am Filmende besiegt, allerdings nur zum Preis seines eigenen Lebens. Ebenso wird im Verlauf des Filmes deutlich, dass es sich bei Grendel um den Sohn Hrothgars, des dänischen Königs, handelt, der also ebenso von Grendels Mutter verführt worden ist.
Both powerful men, Hrothgar and Beowulf, decline morally and physically and place their folk in danger after their sexual dalliance: they create more powerful, more monstrous, and less scrupulous versions of themselves.12
Grendels Mutter erscheint dadurch als ein skrupelloses, weibliches Mischwesen aus Wassermonster und Mensch, dessen Stärke unkontrolliertes Begehren der Männer darstellt. Beide vermeintlichen Helden verfallen ihr und verlieren dabei ihre Heldenhaftigkeit, „both begat upon a stunning, seductive, powerful, and perhaps immortal female of uncertain origins“13 und diese „uncertain origins“ lassen sich durch das Motiv der Mahrtenehe, das im Film wie erläutert in unterschiedlicher Form auftritt, erschließen. Es entsteht das für eine Mahrtenehe typische „exakte Gegenbild einer Happy-End-Verbindung“14, indem beide Männer gegen Grendels Mutter machtlos sind, was zum Scheitern ihrer Beziehungen und letzten Endes für beide zum Tod führt.
In essence, what we have in Beowulf(2007) is an interpretive reading of Beowulf, with material added to smooth over aspects that the writers saw as impediments to storytelling. Their most effective and dramatic intervention is to have Grendel’s mother seduce Hrothgar to create Grendel and then Beowulf to create the dragon. This device creates a structural unity that the poem lacks and allows them to explore their theme of unchecked male desire engendering a cycle of suffering and betrayal for the promise of power leading to an impotence that rots all.15
Zusammenfassend dient die Neuinterpretation und Aufwertung der Figur durch die Filmemacher dazu, Grendels Mutter als ein neues, unbesiegbar schönes Monster einzuführen, welches durch seine geheimnisvolle Herkunft und Verwandlungsfähigkeit Faszination weckt und das Heldenepos in eine tragische und neu verstrickte Erzählung mit genealogischer Thematik umzukehren. Gerade die letzte Szene, in der Grendels Mutter in Beowulfs treuen Gefährten Wiglaf ein neues Opfer anstrebt, unterstreicht erneut die Dominanz der Figur. Nachdem Wiglaf sich von seinem sterbenden Freund Beowulf verabschieden musste, blickt er auf das Meer hinaus, aus dem Grendels Mutter auf einmal hervorkommt. Wiglaf scheint sich von ihrem Blick und ihrer schönen Gestalt in den Bann ziehen und anlocken zu lassen; nur die RezipientInnen wissen um die monströse Anziehungskraft der Mutter Grendels und um sowohl Beowulfs als auch Hrothgars folgenschwere Verbindung mit ihr. So endet der Film mit der fatalen Vorahnung, dass sich die tragischen Ereignisse wiederholen werden.
- Röhrich, Lutz: Mahrtenehe. In: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Bd. 9. Berlin/New York: de Gruyter 1999, Sp. 44-53, hier Sp. 45.
- Beowulf. Ein altengliches Heldenepos. Übersetzt und herausgegeben von Martin Lehnert. Ditzingen: Reclam 2004, V. 1259 f.
- ebd., V. 1502.
- Roehrich, Lutz: Mahrtenehe, Sp. 45.
- Simek, Rudolf: Monster im Mittelalter. Die phantastische Welt der Wundervölker und Fabelwesen. Köln: Böhlau 2015, S. 122.
- De Rachewiltz, Siegfried: Sirenen. In: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Bd. 12. Berlin/New York: de Gruyter 2007, Sp. 748-752, hier Sp. 751.
- Ebd., Sp. 750.
- Beowulf. The script book. New York: Paramount Pictures and Shangri La Entertainment LLC, S. 32.
- Roehrich, Lutz: Mahrtenehe, Sp. 45.
- Vgl. Roehrich, Lutz: Mahrtenehe, Sp. 45f.
- Roehrich, Lutz: Mahrtenehe, Sp. 45.
- Risden, E.L.: The Cinematic Sexualizing of Beowulf.In: Essays in Medieval Studies, Volume 26, 2010, S. 109-115, hier S. 111.
- Ebd.
- Roehrich, Lutz: Mahrtenehe, Sp. 50.
- Brookes, Stewart: From Anglo-Saxon to Angelina: Adapting Beowulf for Film. In: Medieval Afterlives In Contemporary Culture. Edited by Gail Ashton. London: Bloomsbury 2015, S. 81-92, hier S. 90.