Ein Vergleich der Drachen im Beowulf und in Tolkiens Hobbit

J.R.R. Tolkien ist vor allem durch seine Werke wie Herr der Ringe oder Der Hobbit bekannt. Doch Tolkien war auch Professor für englische Sprache und beschäftigte sich intensiv mit Beowulf. Auf die Frage nach der Beziehung zwischen Hobbit und Beowulf gibt er in einem Brief zur Antwort, dass Beowulf zu seinen wertvollsten Quellen gehört:

Beowulf is among my most valued sources; though it was not consciously present to the mind in the process of writing, in which the episode of the theft arose naturally (and almost inevitably) from the circumstances. 1

Tolkiens intensive Beschäftigung im Besonderen mit Drachen ist in einem weiteren Brief enthalten, in dem er seine Meinung über den Beowulf-Drachen äußert:

I find ‚dragons‘ a fascinating product of imagination. But I don’t think the Beowulf one is frightfully good. But the whole problem of the intrusion of the ‚dragon‘ into northern imagination and its transformation there is one I do not know enough about. Fáfnir in the late Norse versions of the Sigurd-story is better; and Smaug and his conversation is in debt there. 2

Aus seinem Aufsatz über das altenglische Epos „The Monsters and the Critics“ kann zudem herausgelesen werden, dass er einen besonderen Fokus auf die Ungeheuer der Erzählung gelegt hat, wozu auch der Feuerdrache gehört:

And dragons, real dragons, essential both to the machinery and the ideas of a poem or tale, are actually rare. [The Beowulf poet] esteemed dragons, as rare as they are dire, as some do still. He liked them – as a poet, not as a sober zoologist; and he had good reason.3

Geradezu naheliegend scheint da der Vergleich zwischen dem Drachen im Beowulf und dem Drachen im Hobbit; daher wird in diesem Artikel untersucht, in welchen Merkmalen sich die beiden Drachen ähneln oder unterscheiden, wie ihre Beziehungen zu anderen Figuren dargestellt werden und welche jeweiligen Rollen und Funktionen beide in der Erzählung haben.

Vergleich der Drachen

Im Vergleich der Merkmale und des Verhaltens beider Drachen sieht man mehrere Punkte, in denen sich die Drachen stark ähneln.  Es gibt im Beowulf keine ausführliche Beschreibung des Drachens,  er erscheint  in der Handlung ohne jedwede Hinführung, wie auch Gwyn Jones schreibt: „Admittedly one would be troubled to draw the dragon in any detail“4. Durch bestimmte Verhaltensweisen und Handlungen lassen sich jedoch einige Informationen ableiten.

Tolkien hingegen beschreibt den Drachen im Hobbit ausführlich. Der Drache Smaug wird eingehend dargestellt, einmal aus einer auktorialen Erzählperspektive, die den Drachen visuell vorstellt, ein weiteres Mal durch mehrere Passagen, in denen Smaug selbst die Erzählperspektive einnimmt. So tritt Smaug als „rotgoldner[…] Drache“5 mit einem langen mächtigen Schwanz (H vgl.S. 217) auf und wird bei der Beschreibung seiner Flügel mit einer „Fledermaus“ (H S. 217) verglichen.

Stellt man die hier gewonnenen Informationen zusammen, ergeben sich erkennbare Verbindungen: Sowohl Smaug als auch der Drache im Beowulf sind nachtaktiv; Beowulfs Drache zeichnet sich genau durch dieses Verhalten aus, es wird explizit sein Bezug zur Nacht betont.

Der Tag war endlich vergangen / Nach Wunsch des wütenden Drachen.6

Zum Hort floh er zurück, / Zum geheimen Höhlenraum, vor hellem Tagesanbruch (B V. 2319f.)

Auch Smaug verbreitet sein Unglück nachts. Bereits zu Anfang der Erzählung bei der ersten Vorstellung Smaugs als das Monster, welches es zu bezwingen gilt, wird sein Erscheinen in der Nacht betont:

Die Kiefern rauschten auf der Höhe  und die Winde stöhnten in der Nacht. Das Feuer war rot und barst wie ein Glutball.  Die Bäume brannten hell wie Fackeln.  (H S.21)

Sogar die Reaktionen der mit den Drachen verbundenen Menschen ähneln sich stark in ihrer Wortwahl. Demnach heißt es bei Beowulf: „Der helle Feuerschein / Flößte den Leuten im Land Entsetzen ein“ (B V. 2313f.) und Tolkien schreibt in dem Lied der Zwerge: „[…] und die Menschen schauten mit fahlen Gesichtern herauf:  der Zorn des Drachen entbrannte noch heller als Feuer“ (H S. 22). Beide Drachen, wie man den gerade genannten Textstellen entnehmen kann, können Feuer speien und sind flugfähig. Feuer geht mit dem Bild des Drachen einher, es ist das erste Anzeichen für einen Drachen und die Methode seiner Zerstörung, „the monster and the fire turn out to be the same thing“7. Außerdem zeichnen sich die Drachen durch ihre außerordentlich starken Panzer aus. Am Kopf des Beowulf-Drachen zerbricht Beowulfs Schwert Nägeling (vgl. B V. 2680). Allerdings besitzt der Panzer eine verwundbare Stelle: „Indem [Wiglaf] den Kampffeind am Körper weiter unten traf / […]. Das ruhmreiche Schwert drang ein“ (B V. 2269f.). Auch Smaug wird durch einen starken Panzer geschützt; aber er ist im Vergleich zum Beowulf-Drachen noch weiter gestärkt und geschmückt:

[…] versprühte [Smaugs] untere Panzerseite im Mondlicht weißes Edelsteingeglitzer – aber ein einzelner Fleck blieb stumpf. […] Der Pfeil schlug ein […] (H S.251-252)

Anhand der Analyse der Kenningar von Hertha Marquardt wird der Beowulf-Drache nämlich sowohl „Schatzhüter“8  als auch „Hüter des Berges“9 bezeichnet, Begriffe die auch auf Smaug zutreffen. Ferner erreichen beide Drachen ein hohes Alter, im Beowulf heißt es: „So bewohnte der gewalttätige Volksfeind dreihundert Winter lang […]“ (B V.2278). Während im Hobbit Smaug spricht:

Ich brachte die alten Krieger um, und solche Krieger gibt es heute in der Welt nicht mehr. Und damals war ich noch jung und zart. Jetzt aber bin ich alt und stark, stark, stark […] (H S.229)

Beziehung zu anderen Figuren

Um die Charakterisierung fortzusetzen, sollen nun die Verknüpfungen der Drachen mit anderen Figuren betrachtet werden. Beide Drachen kommen mit nur einer kleinen Anzahl an Figuren in Berührung. Smaug trifft auf Bilbo Beutlin, den Meisterdieb, der den Pokal entwendete und seinen Bewacher damit aus dem Schlaf holte; und auf Bard den Bogenschützen, der ihn mit einem gezielten Schuss an seiner Schwachstelle trifft und tötet. Mit ähnlich vielen Personen tritt der Drache im Beowulf in Kontakt. Vor allem der Held Beowulf selbst setzt sich mit dem Drachen auseinander; dazu kommt Wiglaf, der den Drachen durch einen gezielten Stoß in seine Schwachstelle zum Tod verhilft. Dieser Drache trifft auch auf ‚seinen‘ Dieb. Der Dieb ist hier ebenso der Grund für das Aufwachen des Drachens.

Der Beowulf-Drache kommt im Wesentlichen aber nur mit einer Figur in Berührung: König Beowulf. Dieser Kampf, in dem der Drache mit Feuer und voller Wut versucht, Beowulf zu töten, ist die einzige Auseinandersetzung. Gegenüber anderen Figuren reagiert der Drache nur mit Wut und Zorn. Den Dieb sucht er „[k]ochend vor Wut“ (B V. 2296) in der Umgebung; gegenüber Beowulf wird „sein Zorn entzündet“ (B V. 2555), sobald er Beowulf hört. Der Drache ist in diesem Moment nur auf einen Kampf aus (vgl. B V. 2561).

Ein weiterer Mensch, der insbesondere für den Tod des Drachen eine große Rolle spielt, ist Wiglaf. Dieser lenkt den Drachen durch einen geschickten Stoß, in eine sich am Bauch befindende Schwachstelle (vgl. B V. 2269-70), ab, sodass Beowulf den Drachen töten kann, bevor er selbst kurze Zeit später – an einer von dem Drachen zugefügten Wunde – stirbt. „Wiglaf ist der eigentliche Überwinder des Drachens, stellt aber seine Hilfe ganz bescheiden dar […]“10, da der Tod des Drachens zu Gunsten Beowulfs geschieht.

Im Hobbit ist es insbesondere Bilbo, der durch den Dialog mit dem Drachen und den Beobachtungen, die er währenddessen anstellt, Smaug mehr Tiefe verleiht. Bilbo hat bei seinem zweiten Gang in die Höhle eine lange Unterhaltung mit Smaug. Smaug kann sprechen und sich mit Bilbo unterhalten, was einen bedeutenden Unterschied zwischen beiden Drachen darstellt. Smaug entwickelt sich zu mehr als einer gewalttätigen Bestie, die es zu erschlagen gilt. Denn, obgleich der Beowulf-Drache nicht vollständig einem Tier bezüglich seiner Intelligenz gleicht, ist er doch weit entfernt von der geistigen Auseinandersetzung zwischen Bilbo und Smaug.

Bilbo schleicht unsichtbar durch die Halle und lenkt Smaug mit Schmeicheleien und Rätseln ab. Der Drache bemerkt das zwar sofort (vgl. H  S.2 25) und hält „kein einziges Wort Bilbos für wahr“ (H S. 225), lässt sich aber trotzdem auf die Rätsel und Komplimente ein. Im Laufe der Unterhaltung entlockt er Bilbo mehrere Details über seine Herkunft und Gruppe (vgl. H S. 225), oftmals durch kleine Fehler des Hobbits, die der Drache sofort bemerkt. Es gelingt ihm sogar, Bilbo zu verunsichern, indem er auf seine bereits bestehenden Zweifel eingeht, wodurch dieser tatsächlich beginnt, die Zwerge zu verdächtigen (vgl. H  S. 228). Damit hat Smaug einen Konflikt in Bilbo erkannt, von dem dieser selbst noch nicht einmal wusste. „Drachenzauber“ (H S. 228) wird Smaugs Einfluss genannt, seine Persönlichkeit ist so „überwältigend“ (H S. 228), dass Bilbo dagegen ankämpfen muss. Während der gesamten Unterhaltung kommt Smaugs Arroganz zum Vorschein, sein Stolz über seine Kraft und seinen Besitz; diese Arroganz verleitet ihn jedoch dazu, auf Bilbos Bitte einzugehen, seine Unterseite zu offenbaren, und seine Schwachstelle zu entblößen:

[…] und daß es [Bilbo] aus ganz besonderen Gründen gelüstete, noch einmal genauer nachzuschauen. Der Drache rollte sich herum. „Schau“, sagte er. „Was meinst du dazu?“

[…] Aber im Innern dachte er: Alter Narr! Da ist doch ein leerer Fleck an seiner linken Brust, so nackt wie eine Schnecke ohne Haus! (H S. 229f.)

Funktion in der Handlung

Die Funktion und Rolle der Drachen ist anhand der Handlung klar auszumachen: Smaug ist der Antagonist des Hobbits, und wird schon im ersten Kapitel vorgestellt. Der Drache im Beowulf ist auch das zu bezwingende Monster,  wird allerdings erst sehr spät in Vers 2211 eingeführt. Trotz der Tatsache, dass sich beide Handlungen in nur scheinbar wenigen Details unterscheiden, haben Smaug und der Beowulf-Drache zwei grundlegend unterschiedliche Positionen in der Handlung.

Der erste große Unterschied zwischen beiden Werken findet sich in den Vorstellungen der Drachen, und der damit erzeugten Wirkung. Der Drache im Beowulf wird nur so weit präsentiert, als dass der König Beowulf einen Anlass, hat gegen das Monster zu kämpfen, „the dragon was in his right place, fulfilling his proper function“11, während Smaug genaustens beschrieben wird und  in der Gesamthandlung einen deutlich größeren Platz einnimmt. Die bereits erwähnten wiederholten Treffen mit Bilbo ermöglichen ein konkretes Bild des Drachens.

An genau dieser unterschiedlichen Gewichtung ist die Bedeutung der Drachen für die Erzählung festzumachen; Smaug begründet den Rahmen, in dem einerseits die Erzählung stattfindet, und den es andererseits zu brechen gilt. Der Beowulf-Drache dagegen dient im Schlusskapitel als Mittel zum Zweck für ein glorreiches Ende des Königs (vgl. B V.2842f.), und wie William Lawrence schreibt: „The dragon fits Beowulf as any dragon fits any hero.“12

Zweitens werden durch die längere Zeitspanne, die die Erzählung dem Drachen widmet, die tatsächlichen Begegnungen mit Smaug mit mehr Bedeutung beladen. Außerdem ist die Konfrontation das Resultat einer Erwartungshaltung, die während des gesamten Romans Kapitel für Kapitel gesteigert wurde: Die Handlung strebte von Anfang an auf das Treffen und Überwältigen Smaugs zu.

Im Beowulf dagegen beschäftigt sich der Autor nur kurz mit dem Drachen, da dieser als Monster weithin bekannt war: „that a man fights a dragon is commonplace of story“13, wodurch eine ausführliche Vorstellung ausfällt:„The dragon was so well known on Germanic soil that the poet of Beowulf did not even give him a name.”14
Mit diesem Satz illustriert Lawrence noch eindringlicher den grundlegenden Unterschied zwischen beiden Drachen. Wie schon angedeutet wurde, sind die ‚Namen‘ der Drachen wichtig. Der Drache im Hobbit trägt einen Namen, der im Beowulf allerdings nicht, wodurch auch seine Rolle in der Erzählung beeinflusst wird.

Deutlich wird diese Betrachtung anhand des Todes beider Drachen: In Smaugs letzten Momenten ist der Drache nämlich selbst im Fokus der Erzählung; der Tod des Drachen im Beowulf ist eine Randhandlung für die ausführliche Schilderung des langsamen Todes des Königs.

Smaug wird wie eine Figur behandelt, zeigt ein komplexes Innenleben und besitzt eine eigene Erzählperspektive. Sein Agieren mit Bilbo zeigt im Weiteren eine fast menschliche Intelligenz und konkrete Charakterzüge: Er ist arrogant, gierig, aber auch überaus intelligent und geradezu intrigant in seiner Fähigkeit, Bilbos Unsicherheiten auszunutzen. Tolkiens Drache reagiert nicht nur auf seine Umwelt, er besitzt in der Geschichte einen starken Willen, um eigenständig zu handeln. Sein Verhalten ist eigenständig und den anderen Figuren im Hobbit gleichgestellt.

Der Drache im Beowulf hingegen bleibt namenlos, die Erzählperspektive betrachtet den Drachen distanziert und führt ihn nur zum Zweck der Machtdemonstration des Königs ein. Der Kampf König gegen Drachen vollzieht sich in kurzen Zügen, und dient dem „Heldentod“ (B V.2842f.) Beowulfs, als ehrenvoller Abschluss des „Heldenleben[s]“ 15. Smaugs Tod hingegen beschäftigt sich nur mit Smaug, und offenbart die unterschiedlichen Gewichtungen der Drachen in beiden Erzählungen; der Drache im Beowulf ist Beowulf untergeordnet, Smaug im Hobbit ist die Ordnung, der sich die Erzählung anpasst.

  1. Tolkien, J. R. R. (1981): Letters of J. R. R. Tolkien. a selection: Allen & Unwin; Brief 25
  2. Tolkien, J. R. R. (1981): Letters of J. R. R. Tolkien. a selection: Allen & Unwin; Brief 25
  3. Tolkien, John R. R.: The Monsters and the Critics: HarperCollins; S.12
  4. Jones, Gwyn: Kings Beasts and Heroes; Oxford University Press, 1972, London; S.19
  5. Tolkien, J. R. R. (1974): Der kleine Hobbit. München: Deutscher Taschenbuch Verlag; S.217
  6. Lehnert, Martin (2004): Beowulf. Ein altenglisches Heldenepos. Ditzingen: Reclam; V. 2306f.
  7. Bolton, W.F.: Alcuin and Beowulf, an eighth-century view; Edward Arnold, 1979, Great Britain; S.148
  8. Marquardt, Hertha: Die altenglischen Kenningar; Ein Beitrag zur Stilkunde altgermanischer Dichtung; Max Niemeyer Verlag, 1938, Halle[Saale]; S.191
  9. Marquardt, Hertha: Die altenglischen Kenningar; Ein Beitrag zur Stilkunde altgermanischer Dichtung; Max Niemeyer Verlag, 1938, Halle[Saale]; S.192
  10. Berendsohn, W.A.: Zur Vorgeschichte des „Beowulf“; Levin & Munksgaard, 1935, Kopenhagen; S.76-77
  11. Jones, Gwyn: Kings Beasts and Heroes; Oxford University Press, 1972, London; S.19
  12. Lawrence, William W.: Beowulf and Epic Tradition; Harvard University Press, 1928, Cambridge; S.205
  13. Jones, Gwyn: Kings Beasts and Heroes; Oxford University Press, 1972, London; S.15
  14. Lawrence, William W.: Beowulf and Epic Tradition; Harvard University Press, 1928, Cambridge; S.205
  15. Lawrence, William W.: Beowulf and Epic Tradition; Harvard University Press, 1928, Cambridge; S.229

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