Die Darstellung des Feindes im Rolandslied

Monströse Darstellung der ‚Heiden’ als Legitimation der Vernichtung?

Das Bild der Muslime aus Sicht des christlich-europäischen Menschen im Mittelalter ist äußerst negativ geprägt. Die Andersgläubigen werden in mittelalterlichen Texten oft als ‚Heiden’ stigmatisiert und mit dem Teufel im Verbund gesehen. Das Rolandslied des Pfaffen Konrad trägt zu dieser Wahrnehmung besonders bei: Hier werden Muslime dämonisiert und als das Böse dargestellt, während Christen antithetisch als das Gute und Richtige herausgestellt werden. Die sog. Sarazenen bilden hier also das Feindbild der Christen. Jedoch findet diese Gegenüberstellung von Gut und Böse im Rolandslied im Kontext der Kreuzzüge statt: Das Reich Karls des Großen soll erweitert werden – durch die Bekämpfung der spanischen Mauren. Das religiöse Feindbild steht also in unmittelbarem Zusammenhang zu einem politischen Feindbild, daher soll sich in diesem Artikel der Frage gewidmet werden, ob im Rolandslied die monströse Darstellung des Feindes als Legitimation der Vernichtung zu verstehen ist.  Als Grundlage dieser These dienen die Annahmen von Cohen, welche später genauer erläutert werden sollen.

Zunächst wird der für diese Fragestellung nötige Kontext des Rolandsliedes geboten, d.h. eine Erläuterung der Entstehung und Gattungszugehörigkeit sowie der literaturhistorische Kontext (Kreuzzugsliteratur).  Daran anschließend soll betrachtet werden, wie Muslime und der islamische Glaube allgemein im christlich-europäischen Weltbild des Mittelalters empfunden und dargestellt sind, um darauf aufbauend die Darstellung im Rolandslied zu untersuchen.

Das Rolandslied – Kontext und Inhalt

Das Rolandslied des Pfaffen Konrad entstand um 1170 und stellt eine Adaption des altfranzösischen Chanson de Roland dar, wobei nicht genau bekannt ist, welche Quelle herangezogen wurde.1 Die mittelhochdeutsche Fassung wurde auf einen bestimmten Aspekt hin deutlich verändert bzw. angepasst: „Der Pfaffe Konrad hat, so der Forschungskonsens, seine altfranzösische Vorlage, […] mit seiner Tendenz zur ‚Vergeistlichung’ […] auf ihre religiöse Aussagekraft hin vereindeutigt.“2

Während der altfranzösische Text also der Gattung chanson de geste3zuzuordnen ist, lässt sich Das Rolandslied des Pfaffen Konrad zwischen Heldenepos und Kreuzzugsdichtung verorten.4 Wichtig ist dabei zu unterscheiden, dass der altfranzösische Text vordergründig das französische Nationalgefühl motivieren sollte,5 während die mittelhochdeutsche Adaption einen christlich-heilsgeschichtlichen Sinn verfolgt.6

Der Text handelt von den Kreuzzügen Karls des Großen gegen die spanischen Mauren. Roland kämpft an der Seite Karls für dessen Weltreich und damit für die Erfüllung des göttlichen Reiches. Er geht als Protagonist hervor, da er als Märtyrer „das treffendste Beispiel eines Miles christianius,jenes christlichen Kriegers, der das Kreuz nahm und gegen die Muslime zog“7 abgibt.

Die Wahrnehmung des Islams im Mittelalter aus europäisch-christlicher Perspektive

Das Rolandsliedillustriert die Mentalität und Motivation der Kreuzzüge sowie die Abneigung gegenüber den Muslimen im christlich-europäischen Denken des Mittelalters allgemein: „Der Islam machte Angst. Denn die Menschen dachten sich der christlichen Mappae-mundi-Tradition gemäß die größten Teile der Welt […] als von Muslimen besetzt.“8 Der europäische Mensch des Mittelalters verfügte nur über ein verzerrtes Bild des Islams.9 Der fremde Glaube wurde oft als ‚gewalttätige’ Religion bezeichnet und damit dem ‚friedlichen’ Christentum antithetisch gegenüber gestellt.10 Ihr Prophet Mohammed galt als Antichrist und Sohn Satans.11 Laut Frank Meier wurde „[d]er Prozeß der Abgrenzung […] aus dem Gefühl der Unterlegenheit in der Wissenschaft gespeist, das durch das Gefühl der Überlegenheit der eigenen Offenbarungsreligion kompensiert wurde.“12 Außerdem wurde der Islam aus christlicher Sicht „nicht als eigenständige Religion anerkannt, sondern als widergöttlicher Kult in die christliche Heilsgeschichte eingeordnet.“13

Die Mentalität der Kreuzzüge und deren Ausarbeitung im Rolandslied

Der Islam stellt folglich ein negatives Gegenbild zum Christentum dar, dementsprechend gelten die Kreuzzüge als heilige Kriege, welche Meier in einem Zug als Vernichtungskriege bezeichnet.14 Für die Mentalität der Kreuzzüge, sowie dessen Ausarbeitung im Rolandslied, gilt: „[…] Die Kreuzritter bewähren sich im Blutvergießen als Krieger wie als Christ, auch als tötende Heroen können sie, sollten sie im Kampf gegen die Feinde des Glaubens umkommen, sich ihres Platzes im Himmelreich sicher sein.“15

Dies zeigt sich zum Beispiel, nachdem die Fürsten nach Karls Ansprache zum Kriegszug beteuern, dass sie alle treu an seiner Seite kämpfen würden und Roland diese Treue kommentiert:

wie sælec der geborn wart,
der nû diese hervart
gevrumet williclîche!
Dem lônet got mit sînem rîche,
des mag er grôzen trôst hân. (R: V147ff.)16

Die Kriegszüge Karls des Großen stehen folglich im Ideal der militia Dei, dem Krieg im Dienste Gottes.  Christen und ‚Heiden’ stellen folglich die irdischen Stellvertreter von Gott und Teufel dar, zumindest aus der Sicht des christlich-europäischen Menschen des Mittelalters. Diese Antithetik – Christ und Muslim, Gott und Teufel, Gut und Böse – wird im Rolandsliedbesonders hervorgehoben:

So werden etwa […] die spanischen Mauren zu den heidnischen Gegnern Karls und als schwarz und hässlich, Kinder des Teufels, hinterhältig, verräterisch und feige charakterisiert, die christlichen Kämpfer dagegen gerne als ihr genaues Gegenteil: Als mutig, treu, schön, siegreich im Kampf oder, sollte letzteres ausnahmsweise nicht zutreffen, siegreich zumindest in der Gewissheit ihrer endgültigen Erlösung beim Jüngsten Gericht.17

Die Vernichtung des Feindes (also der ‚Heiden’) wird durch die Verbreitung des Christentums bzw. den Dienst an Gott legitimiert: „die haidenscaft zestœren/ die cristenhait gemêren.“ (R: V85f.) Denn der Krieg an sich steht nicht im Sinne Gottes, erst durch die Stigmatisierung der Muslime als Heiden und Verbündete des Teufels wird der Krieg erlaubt oder sogar als von Gott gewollt dargestellt.

Bedeutung der monströsen Darstellung der ‚Heiden’

Die Darstellung des Feindes als Monster verfolgt dabei den gleichen Sinn. Um dies genauer zu erläutern, hilft eine wichtige Annahme Cohens: „representing an anterior culture as monstrous justifies its displacement or extermination by rendering the act heroic.“18

Diese Aussage lässt sich auch auf das Rolandslied beziehen. Die gegnerische Kultur wird von den ‚Heiden’ repräsentiert. Ihre Vernichtung, durch die Streitmacht Karls wird als heldenhaft markiert, da im Sinne Gottes gehandelt wird: Die christlichen Krieger sind mutig, tugendhaft und handeln folglich richtig. Dies hängt vor allem auch mit der christlichen Bedeutung des Monsters zusammen, auf die im weiteren Verlauf noch Bezug genommen werden soll.

Jedoch muss dabei zunächst erwähnt werden, dass die ‚Heiden’ nicht durchgängig als ein monströses Volk dargestellt werden. Es liegt allerdings eine deutliche Tendenz vor, in der die Sarazenen oft mit Hunden verglichen oder kynokephal dargestellt werden:

„der künc von Funde -/ ir houbet scain sam der hunde.“ (R: V2655f.) Ein Teil der Streitmacht des Königs Marsilie bzw. die Männer des Königs von Funde werden von dem Dichter als hundsköpfige Gestalten beschrieben.19 Die Darstellung erinnert sehr an das Wundervolk der Kynokephalen, da im Besonderen nur der Kopf als hundeartig beschrieben wird und nicht der gesamte Körper. Die Armee des Königs von Funde wird folglich als monströs beschrieben. Dies hat vor allem den Hintergrund, dass das mittelalterliche Monster ein Zeichen der Sünde darstellt: „Ihre körperlichen und sozialen Unzulänglichkeiten […] erklärte man sich zumindest im theologischen Bereich mit der Ferne vom paradiesischen Urzustand, mit dem Sündenfall und dem Ungehorsam gegenüber Gottes Geboten.“20

Durch die monströse Darstellung des Feindes wird seine Gottlosigkeit untermauert und illustriert, ganz im Sinne des Kreuzzugsgedankens. Die kynokephale Gestalt bedeutet eine Entfernung des paradiesischen Urzustands, die Vernichtung einer solchen Gestalt erscheint folglich als besonders legitim, da hier kein Mensch, sondern ein Monster getötet wird. Jedoch stellt diese Textstelle eher eine Ausnahme einer derartig monströsen Gestaltung der ‚Heiden’ dar. Der Feind wird allerdings sehr oft mit Hunden verglichen:

An einer Stelle der Racheschlacht wird der Kampf gegen den Feind durch die Figuren Naimes und Ansgis folglich beschrieben: „si sluogen si an dem wal/ alsô die hunde ze tal.“ (R: V8309f.) In der Schlacht von Ronceval findet sich ein ähnlicher Verweis, in dem der Bischof Turpin gegen die Sarazenen kämpft und sie zu Boden schlägt: „[…] die haiden allenthalben sîn/ vielen in daz wal/ sam die hunde ze tal.“ (R: V5156 ff.) Ebenfalls in der Schlacht von Ronceval werden die zahlreich herumliegenden Leichen der ‚Heiden’ beschrieben als ‚räudige21 Hunde’: „diu ir scar alsô dicke/ gelâgen an dem gewicke/ sam die hunte unraine.“ (R: V4527)

An diesen Stellen (und vier weiteren)22 wird deutlich, dass die Bezeichnung hund oderhunt als Vergleich für den Feind eingesetzt wird, z.B. durch die Präpositionen alsô oder sam. In der Racheschlacht bezeichnet Karl, im Gespräch bzw. Gebet zu Gott, seine Feinde sogar direkt als Hunde: „erlœse uns von den hunden“ (R: V8420).

Sabel schreibt, dass die Bezeichnung „Hund […] schon im Mittelalter eines der häufigsten Schimpfworte [war], der Ausdruck konnte aber auch speziell Juden oder Heiden bezeichnen.“23

Interessanterweise spricht Paligan, der König der ‚Heiden’, in seiner Ansprache, in der er sein Heer gegen den Kaiser für die Racheschlacht aufstellt, von dreißigtausend Helden, die Borsten wie Schweine auf dem Rücken tragen: „an dem rücke tragent si borsten sam swîn.“ (R: V8046)

Diese Beschreibung wird als Zitat bzw. direkte Rede Paligans markiert. Da er davor davon spricht, wie tapfer die Helden seien (vgl. R: 8045), ist der monströs anmutende Vergleich mit einem Schwein positiv konnotiert. Die Schweineborsten stehen für eine Art schützende Überlegenheit im Kampf. Durch die direkte Rede Paligans gilt die positive Bedeutung jedoch nur für eine ‚heidnische’ Perspektive, für die christlich-europäische Perspektive bleibt eine derartige Darstellung monströs und steht damit im Zeichen des Bösen und Sündhaften.

Conclusio

Die negative Darstellung der ‚Heiden’ im Rolandsliedverfolgt einen christlich-heilsgeschichtlichen Sinn, deswegen liegt es nahe, dass auch die Ausgestaltung als Monster hier seinen Platz findet, um den Feind zu dämonisieren. Jedoch zeigt sich diese Darstellungsmethode nicht als stringent und taucht eher selten auf. Häufiger treten jedoch Beschreibungen auf, in denen der Feind direkt mit dem Teufel in Verbindung gesetzt wird. Die kynokephale Gestalt zeigt sich hier also eher metaphorisch, um das Böse und Sündhafte zu illustrieren. Außerdem wurde in diesem Artikel nicht auf die äußerliche und innere Beschreibung der Helden und dessen Feinde eingegangen. Dabei soll zuletzt noch erwähnt werden, dass dem Feind auch (jedoch eher selten) eine positive äußerliche Beschreibung zukommen kann. Diese wird jedoch den christlichen, inneren Werten diametral gegenüber gestellt24 und durch den falschen Glauben wieder relativiert.

Wichtig ist noch zu erwähnen, dass das Rolandslied einen deutlichen Anti-Islamismus propagiert und damit ein extrem verzerrtes Bild dieser Religion wiedergibt, allerdings sollte dabei gleichzeitig die Frage gestellt werden, inwiefern dies auch noch heute stattfindet. Das Medium der Darstellung mag sich verändert haben, jedoch ist Islamfeindlichkeit (auch als Antithetik) auch noch heute in der westlichen Gesellschaft präsent und wird oft durch ein einseitiges Bild dieser Kultur und Religion vermittelt.

  1. Vgl.  Stephanie Seidl: Narrative Ungleichheiten. Heiden und Christen, Helden und Heilige in der Chanson de Roland und im Rolandslied des Pfaffen Konrad. In: Integration oder Desintegration? Heiden und Christen im Mittelalter. Goerlitz, Uta et.al (Hg.):  Stuttgart: Metzler 2009, S. 46-64 (hier S.51).
  2.  Ebd., S. 56f.
  3.  Zählt zu den ältesten Gattungen der französischen Literatur, das chanson (bzw. Lied) war nicht zur schriftlichen Verbreitung gedacht, sondern wurde frei vorgetragen und war an alle Bevölkerungsgruppen gerichtet.
  4. Vgl.  Seidl, 2009, S.56f.
  5. Vgl. Schäfer-Maulbetsch, Rose Beate: Studien zur Entwicklung des mittelhochdeutschen Epos. Die Kampfschilderung in „Kaiserchronik“, „Rolandslied“, „Alexanderlied“, „Eneide“, „Liet von Troye“ und „Willehalm“. Göppingen: Alfred Kümmerle 1972, S. 379.
  6.  Vgl. ebd., S. 380.
  7. Krause, Arnulf: Europa im Mittelalter. Wie die Zeit der Kreuzzüge unsere moderne Gesellschaft prägt. Frankfurt am Main: Campus Verlag 2008, S. 17.
  8. Meier, Frank: Gefürchtet und bestaunt. Vom Umgang mit dem Fremden im Mittelalter. Ostfildern: Thorbecke 2017, S. 76.
  9. Über das aktuelle Bild des Islams aus europäischer Sicht ließe sich jedoch auch streiten, ob es nicht als verzerrt gilt.
  10. Vgl. Meier, 2017, S. 79.
  11. Vgl. ebd.
  12. Ebd. S. 76.
  13.  Sabel, Barbara: Toleranzdenken in mittelhochdeutscher Literatur. In: Brunner, Horst et.al.: Imagines medii aevi. Interdisziplinäre Beiträge zur Mittelalterforschung. Wiesbaden: Reichert Verlag 2013, S. 63.
  14. Vgl. Meier, S. 83.
  15.  Seidl, 2009, S.47f.
  16.  Sigle R: Das Rolandslied des Pfaffen Konrad. Stuttgart: Reclam 1993.
  17. Seidl, 2009, S. 48f.
  18.  Cohen, Jeffrey Jerome: Monster Culture (Seven Theses). In: Ders.: Monster theory: reading culture. Minneapolis: University of Minnesota Press 1996, S.3-26 (hier: S.7f).
  19. In der Übersetzung der hier benutzen Ausgabe des Rolandslieds lautet der Satz „Seine Leute hatten Hundsköpfe“ (R: S.191, V2656), obwohl das Adverb sam auch einen Vergleich anzeigen könnte.
  20.  imek, Rudolf: Monster im Mittelalter. Die phantastische Welt der Wundervölker und Fabelwesen. Köln: Böhlau 2015, S.14.
  21. unrainekann laut Lexer auch nicht gut, böse, treulosetc. bedeuten.
  22. Rolandslied des Pfaffen Konrad, 1993: V4837, V5423, V7138, V7276.
  23.  Sabel, 2013, S.85.
  24. Brinker-von der Heyde, Claudia: Redeschlachten – Schlachtreden. Verbale Kriegsführung im Rolandslied. Unter: https://kobra.bibliothek.uni-kassel.de/bitstream/urn:nbn:de:hebis:34-2006101114998/1/Burger-FS%201%20bis%2026.pdf [gesehen: 16.07.2018]. S.5f.

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