Wirnts von Grafenberg Roman Wigalois hat seinen Ursprung um 1210/1220 und gehört zu den wichtigsten Artusromanen des Mittelalters.1 Gabriela Antunes betont die herausragende Stellung in der mittelalterlichen deutschen Literatur und seine enorme Bedeutung für die Entwicklung des Artusromans.2 Wigalois ist Ritter der Tafelrunde und der Sohn Gaweins. Im Verlauf der Erzählung soll Wigalois das Land Korntin von teuflischen Kreaturen befreien. In einem Kampf besiegt er den Drachen Pfetan. Als christlicher Held vertraut er dabei auf die Unterstützung von Gott und wird so zum Gottesstreiter.3Der Drache Pfetan wird in Wirnts von Grafenberg Wigalois als deheine crêature4 dargestellt. Für den Verlauf der Geschichte steht er in einem direkten Zusammenhang mit der Befreiung Korntins, denn Pfetan repräsentiert das Chaos und das Böse, welches die Gesellschaft in seiner Ordnung bedroht. Ihn zu bezwingen gilt als Bekämpfung des Bösen – Wigalois, von Gott auserwählt, bezwingt den Drachen und ist in der Lage die (höfische) Ordnung wieder herzustellen.5
Im Folgenden soll darauf eingegangen werden, wie der Drache Pfetan als teuflische Kreatur oder gar als Teufel selbst dargestellt wird.
Definition
Der Definition nach ist ein Drache
„zumeist […] von echsenartiger, mit Schuppen bedeckter Gestalt mit fledermausartigen Flügeln und zwei oder vier raubtierartigen Krallenfüßen, […] er kann mehrköpfig sein, […] speit Feuer, hat einen giftigen Atem und den bösen Blick.“ 6
Dem Drachen werden durchaus auch positive Attribute zugeschrieben, so erzählt Hildegard von Bingen, dass das Drachenblut eine heilende Wirkung besitzt7 und ein Drachenherz, welches im Ackerboden vergraben wird, vor Schaden bewahrt.8 Allerdings gilt er in der abendländischen Tradition „als Verkörperung von Zerstörung und Chaos“9, als „die Inkarnation des Bösen in der Welt, des Teufels Gesellen“.10Claude Lecouteux definiert einen Drachen als jedes Wesen, dass im Originaltext als Drache bzw. mit einem synonymen Begriff, wie Wurm, Wyrm, Draca, Lint, Lintdrache, Lintwurm oder dergleichen bezeichnet wird.11
Darstellung des Drachens im Wigalois
In Wirnts von Grafenberg Wigalois wird der Drache Pfetan detailliert und facettenreich beschrieben.
Er wird als riesenhafte Gestalt dargestellt; die Haut seines Körpers ist geschuppt, Kopf und Beine sind behaart. Vom Kopf bis zum Schwanz sitzt eine scharfe, gelbe, feste Schuppenreihe, die laut Erzähler an die Gestalt eines Krokodils erinnert. Eine weitere Darstellung seines Äußeren vervollständigen das Bild des Drachen: Er trägt einen Hahnenkamm, hat Greifenbeine, Flügel, die wie Pfauenfedern schillern und die Ohren eines Maultiers. Sein Leib ist kerzenförmig, sein Hals knorrig und er besitzt einen langen Schwanz, der drachenspezifische Eigenschaften aufweist, auf die Isidor von Sevilla näher eingeht.
einen kamp hêt er als ein han,
wan daz er ungevüege was;
sîn bûch was grüene alsam ein gras,
diu ougen rôt, sîn sîte gel;
der wurm der was sinwel
als ein kerze hin zetal;
sîn scharfer grât der was val;
zwei ôren hêt er als ein mûl;
sîn houbt was âne mâze grôz,
swarz, rûch; sîn snabel blôz,
eins klâfters lanc, wol ellen breit,
vor gespitzet, unde sneit
als ein niuwesliffen sper;
in sînem giele hêt er
lange zene als ein swîn;
breite schuopen hürnîn
wâren an im über al;
von dem houbet hin ze tal
stuont ûf im ein scharfer grât,
als der kokodrille hât,
dâ er die kiele kliubet mit12
Laut Claude Lecouteux sind die an Pfetan beschriebenen Maultierohren ein eher untypisches Drachenattribut, werden jedoch in der Teufelsdarstellung angewendet und könnten ein Indiz dafür sein, dass Pfetan eine Teufelsfigur darstellen soll.13 Lecouteux betont, dass die umfangreiche Beschreibung Pfetans nicht nur einmalig für die mittelhochdeutsche Literatur sei, sondern überdies auch an den naturkundlichen Quellen von Isidor von Sevilla14, Hildegard von Bingen15 und Konrad von Megenberg 16 anzuknüpfen scheint.17Der Drache Pfetan ist durchaus als Schlüsselfigur im Wigalois zu betrachten. Der tapfere Held Wigalois befreit die Menschheit von dem Bösen, das durch den Drachen Pfetan verkörpert wird. Der Drache scheint zunächst unverwundbar und ist nur mit Hilfe von magischen Hilfsmitteln zu besiegen.18Der faulige Atem des Drachens ist sogar in der Lage ein ganzes Heer zu vernichten und verdeutlicht die von Pfetan ausgehende Gefahr. Dazu steht im Wigalois „von sînem stanke verdürbe ein her der im ûz dem halse gêt“19Pfetan wird an mehreren Stellen als Verbündeter des Teufels „tievels bot“20 oder sogar als der „tievel“21 selbst begriffen. Stephan Fuchs bezeichnet den Drachen als „Wurzel des Chaotischen“22, was er unter anderem damit belegt, dass Roaz selbst den Drachen nicht vernichten kann und auch Wigalois durch den Drachen in einen (vorübergehenden) chaotischen, ungeordneten, außergesellschaftlichen Urzustand geworfen wird.23
Darstellung des Drachens in der christlichen Überlieferung
Schon im neuen Testament finden sich Hinweise auf den Drachen als ein Bote des Teufels.
Dort wird er in der Offenbarung des Johannes als Wesen mit sieben Köpfen und zehn Hörnern beschrieben.24 Auf jedem Haupt sitzt eine Krone. Durch seine Zerstörung schlägt er mit seinem Schwanz ein Drittel aller Sterne vom Himmel auf die Erde.25
Es wird von einem Drachen berichtet, der am Himmel erscheint und das Kind einer gebärenden Frau verschlingen will. Mit Gottes Hilfe gelingt es der Frau jedoch, sich zu retten und einen Sohn zu gebären, dem die Herrschaft über alle Völker verheißen ist. Doch währenddessen entbrennt im Himmel ein Kampf zwischen dem bedrohlichen Drachen und dem Erzengel Michael und seinen Engeln, infolgedessen der Drache zur Erde gestürzt wird.
Michael und seine Engel erhoben sich, um mit dem Drachen zu kämpfen. Der Drache und seine Engel kämpften, aber sie konnten sich nicht halten und verloren ihren Platz im Himmel. Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt; der Drache wurde auf die Erde gestürzt, und mit ihm wurden seine Engel hinabgeworfen.26
Diese Passage ist prägend für das europäische Drachenverständnis, da der Drache hier mit der Figur des Teufels in Verbindung gebracht wird.
Die Offenbarung wird als Endzeitgeschichte dargestellt.Auch im Wigalois ist eine deutliche Verbindung zwischen dem Weltlichen und Geistlichen zu finden ist. Als Wigalois den Drachen sieht, betet er zu Gott, er möge ihm helfen:
nu hilf, keiser, herre got,
daz mich dirre tievels bot
iht scheide vin dem lîbe,
daz ich dem süezen wîbe
erledige ir gesellen.
du solt den tievel vellen,
wand er der werlte schaden tuot.27
Der Drachenkampf steht hier sinnbildlich für die Auseinandersetzung mit Satan, dem Bösen schlechthin. Der Sieg über ihn wird gleichgesetzt mit dem Sieg über alles Lebens- und Gottesfeindliche. Andreas Hammer bezeichnet Wigalois als einen vollkommenen Held, der in seinem eigenen Seelenheil unerschütterlich wirkt. Weiter bemerkt Hammer, dass die starke Besinnung auf christliche Symbole im Wigalois, die sich auch im Aufgreifen der Zweifelsthematik zeigt, die Identifikation des Drachen mit dem Teufel im Sinne der biblischen Offenbarung oder der mittelalterlichen Tierallegorien gestattet.28Allerdings darf dabei die Bedeutung und Herkunft der Schlangen nicht außer Acht gelassen werden, da die Schlange als biblisches Geschöpf eine besondere Stellung einnimmt. Auch im alten Testament dient sie als Instrument des Teufels, indem durch sie durch Hinterlist und Tücke die Menschen aus dem Paradies treibt.29
Darstellung des Drachen bei Isidor von Sevilla
Isidor von Sevilla versucht zunächst eine neutralere Betrachtung des Drachen; so bezeichnet er in seinen Etymologiae Drachen als eine Unterart der Schlangen (serpentes).30 Damit erhalten sie den Stellenwert eines real existierenden Lebewesens, das mit einer Seele ausgestattet ist.8Laut Isidor von Sevilla ist ein Drache gewaltig und mit seinem Schwanz in der Lage Elefanten zu töten, indem er sie damit umwickelt, um sie dann zu strangulieren.31
Hier findet sich eine deutliche Parallele zu Pfetan, der seine Beute ähnlich zu jagen scheint.
der wurm hêt nâch wurmes sit
einen zagel langen;
dâ mit hêt er bevangen
vier rîter lussam,
die er vor dem walde nam,
als im diu vrouwe hêt geseit
durch die er nâch dem wurme reit.
vil kûme hêten si ir leben;
der zagel was umb si gegeben
wol mit drin valten;
sus hêt er si behalten,
als er si ezzen wolde32
Im Hinblick auf Isidor von Sevilla ist lediglich das christliche Drachenbild negativ in seiner Darstellung und basiert auf den Überlieferungen der Bibel. Naturkundlich betrachtet, wird der Drache ausschließlich als Tier wahrgenommen und nicht als böse.33 Denn obwohl Isidor von Sevilla den Begriff „monstrum“ nicht in Verbindung mit dem Drachen verwendet, impliziert er durchaus monströse Eigenschaften, indem er von der physischen Exorbitanz des Drachen spricht.34
Fazit
Viele der genannten Textstellen identifizieren den Drachen Pfetan mit dem Teufel. Da die mittelalterliche Literatur von einem starken christlichen Einfluss geprägt ist, scheint dies auch im Sinne der biblischen Offenbarung zu sein.35
Es ist anzunehmen, dass der Drache nicht für das absolute Böse, für den Teufel steht, sondern als ein Teufel zu betrachten ist, der durchaus auszutauschen oder zu ersetzen ist. Sabine und Ulrich Seelbach sehen im Wigalois eindeutige Parallelen zwischen Pfetan und dem Teufel, die durch das Gesamtkonzept des Romans unterstützt werden. Dabei ist zu bedenken,
dass der Roman sowohl „das Problem des Zweifels [als] Zentrum menschlicher Entwicklung und Bewährung“, wie es typisch für die Literatur im Grenzbereich zwischen geistlicher und weltlicher Sphäre ist, als auch die axiomatische Ethikkonzeption, wie sie an den dilemmatischen Situationen der Artusromane chretienscher Prägung präsent ist, kennt und beartet.36
Der Drache Pfetan scheint folglich eine literarische Rolle einzunehmen; der vermeidliche Held der Geschichte muss sich seinem übermenschlichen Gegner, der hier als Drache dargestellt wird, stellen und besiegen. Durch den Sieg erlangt der Held eine neue heldenhafte Identität und steigt in seinem Ansehen. Durch die detaillierte, furchteinflößende Beschreibung seines Aussehens, wirkt Pfetan noch bedrohlicher und mächtiger. Diese Attribute vervollständigen auch das Bild des vollkommenen Helden Wigalois. Schlussendlich ist dem Drachen Pfetan durch die Zuordnung zur Gattung der Schlangen, der Verbindung zum Christentum und der sprachlichen Zuordnung im Wigalois zwar eine begriffliche Nähe zum Teufel zuzusprechen, jedoch weist er am Ende keine dämonischen Eigenschaften auf, da er von Wigalois in einem ritterlichen Kampf bezwungen wird;37 Wigalois, der verschiedene Hilfsmittel zur Drachenbekämpfung mit sich führt, die zum einen aus übernatürlichen, christlichen Dimensionen zum anderen aus weltlichen Dimensionen bestehen, besiegt Pfetan nicht durch übernatürliche Kräfte, sondern mit dem Stich seiner Lanze.38
- Wirnt von Grafenberg: Wigalois. Text der Ausg. von J.M.N. Kapteyn, übers., erl. und mit einem Nachw. vers. von Sabine Seelbach und Ulrich Seelbach. Berlin/New York: de Gruyter, 2005.
- Vgl. Antunes, Gabriela: An der Schwelle des Menschlichen. Darstellung und Funktion des Mon-
strösen in mittelhochdeutscher Literatur. Trier: WVT Verlag, 2013. S. 225. - Beifuss, Helmut: Wigalois – ein Ritter Gottes?: Eine handlungsanalytische Studie. Hamburg: Verlag Dr. Kovac, 2016. S.142-163.
- Vgl. Wigalois Vers 5022.
- Vgl. Beifuss 2016 ebd.
- Wunderlich, Werner (Hg.): Dämonen, Monster, Fabelwesen. Eine kleine Einführung in Mythen und Typen fantastischer Geschöpfe. In: Mittelalter Mythen (Band 2). St.Gallen: UVK, Fachverlag für Wissenschaft und Studium, 1999, S.664.
- Vgl. Hildegard von Bingen, Physica, 8,1,4: „Et quidquid in carne aut in ossibus eius est, contrarium ad medicamenta hominis existit, excepto sanguine eius [.]“
- ebd.
- Vgl. Jäger, Achim: Ein jüdischer Artusritter. Studien zum jüdisch-deutschen „Widuwilt“ („Artushof“) und zum „Wigalois“ des Wirnt von Gravenberc.Berlin/New York: de Gruyter 2000, S.174.
- Vgl. Jäger 2000 ebd.
- Vgl. Lecouteux, Der Drache, S.15-19
- Vgl. Wigalois V. 5055 – 5062 u. 5028 – 5040.
- Im Physiologus wird der Wildesel mit dem Teufel identifiziert. Vgl. Schönberger, Otto (Hg.): Physiologus, S.87.
- Vgl. Isidor von Sevilla,Etymologiarvm sie Originvm libri XX, recognovilt brevique adnotatione critica instrvxit W.M. Lindsay, 2 Bde., Oxford 1911 (Scriptorum Classicorum Bibliotheca Oxoniensis).
- Vgl. Hildegard von Bingen,Physica. Liber subtilitatum diversarum naturarum creaturarum. Textkritische Ausgabe, hgg. von Reiner Hildebrandt und Thomas Gloning, Bd.1: Text mit Berliner Fragment im Anhang, Berlin, New York 2010.
- Konrad von Megenberg, Das Buch der Natur. Die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache, hg. Von Franz Pfeiffer, Hildesheim 1962, ND der Ausgabe Stuttgart 1861.
- Vgl. Lecouteux, Der Drache. S. 23 – 29.
- Vgl. Wigalois, V. 4743 – 4750.
- Vgl. Wigalois, V. 4697 – 4698.
- Vgl. Wigalois, V. 5080.
- Vgl. Wigalois, V. 5084 und 5549.
- Fuchs, Stephan: Hybride Helden: Gwigalois und Willehalm, Beiträge zum Heldenbild und zur Poetik des Romans im frühen 13. Jahrhundert. Heidelberg: Winter 1997, S.149.
- Vgl.Fuchs 1997 ebd.
- Die Bibel: Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift; Psalmen und Neues Testament, ökumenischer Text (Gesamtausg.). Stuttgart: kbw, Bibelwerk, 2008. Offb. 12,3.Die Bibel: Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift; Psalmen und Neues Testament, ökumenischer Text (Gesamtausg.). Stuttgart: kbw, Bibelwerk, 2008. Offb. 12,3.
- Vgl. Die Bibel, Offenbarung 12,4.
- Vgl. Die Bibel, Offb. 12,7 -10.
- Vgl. Wigalois, V. 5079 – 5083.
- Hammer, Andreas: Ordnung durch Un-Ordnung: Der Zusammenschluss von Teufel und Monster in der mittelalterlichen Literatur. In: Mein, Georg und Geisenhanslüke (Hgg.). Monströse Ordnungen. Zur Typologie und Ästhetik des Anomalen. Bielefeld: transcript (Literalität und Liminalität 12) 2009, S. 236.
- Rebschloe, Timo: Der Drachen in der mittelalterlichen Literatur Europas. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2014. und Die Bibel, Offb. 13,5 (Einheitsübersetzung).
- Vgl. Isidor von Sevilla, Etymologiarvum sive originum , Bd. 2, 12, 1, 1:“Omnibus animantibus Adam primum vocabula indidit,appallans unicuique nomen ex praesenti institutione iuxta condicionem naturae cui serviret.“
- Isidor von Sevilla, Etymologiarvium sive originum, Bd.2, vgl. dazu die Übersetzung von Lenelotte Möller, in: Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla. Übersetzt und mit Anm. vers. von Lenelotte Möller (2008). Wiesbaden: Marix-Verlag. S.463
- Vgl. Wigalois, V. 5041 – 5052
- Vgl. Isidor von Sevilla, Etymologiarvium sive originum, Bd.2, vgl. dazu die Übersetzung von Lenelotte Möller, in: Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla. Übersetzt und mit Anm. vers. von Lenelotte Möller (2008).Wiesbaden: Marix-Verlag. S.517.
- Vgl. Isidor von Sevilla ebd.
- Vgl. Rebschloe, S. 113f.
- Seelbach, Sabine und Ulrich (Hg.): Nachwort, in: Wirnt von Grafenberg: Wigalois, S.280.
- Vgl. Hammer 2009, S. 154.
- Vgl. Wigalois, Vers 5090 – 5099.