Grendel und seine Mutter – Menschen mit monströsen Eigenschaften oder humanisierte Monster?

Grendel und seine Mutter sind zwei von drei Gegenspielern Beowulfs in dem altenglischen Heldenepos, welches denselben Namen trägt wie sein Held. Im Folgenden soll untersucht werden, was für menschliche und monströse Charakterzüge sich an den beiden Bösewichten finden lassen. 1

Genealogie

Zur Genealogie des Antagonisten Grendels lässt sich Folgendes anmerken: Einen Vater scheint Grendel nicht zu haben, zumindest ist dieser nicht bekannt 2, er kennt seine Mutter, deren einziger Nachkomme er ist. 3 Ob und was für potentielle Vorfahren bis auf Kain Grendel und seine Mutter haben, bleibt unklar.  4

Sowohl über Grendel als auch über seine Mutter wird die Information gegeben, dass sie dem Geschlecht Kains entstammen. Kain, der Sohn von Adam und Eva, verübte aus Eifersucht den ersten Mord der Geschichte an seinem eigenen Bruder Abel, daher entstammt alles Böse sowie alle Verbrechen auf der Welt dem Geschlecht Kains. 5

Menschliche sowie monströse Züge Grendels und seiner Mutter

Grendel wird als „gräßlicher Unhold“ 6 vorgestellt, der fernab der Gesellschaft ein einsames Leben in den „begrenzenden Mooren“ 7 führt. Als seine auszeichnenden Charaktereigenschaften werden Mordlust 8, Verbitterung und Verdruss 9 beschrieben, die Festlichkeiten in Heorot und die damit einhergehenden Fröhlichkeit der Beteiligten sind für ihn kaum zu ertragen.

Grendel wird als teuflisches, gegen Gott agierendes 10, unmenschliches Ungeheuer dargestellt, doch bei genauerer Betrachtung erschließen sich an ihm immer mehr und mehr menschliche Züge. Für die Beschreibung Grendels wird häufig der Begriff „Mann“ eingesetzt 11, optisch soll er den Menschen ähnlich sein, allerdings wird er als „gewaltiger“ als andere Menschen beschrieben 12. Die Tatsache, dass alleine Grendels Kopf von vier Männern auf einem Lanzenschaft zum Goldsaal nach Heorot getragen werden muss 13, lässt darauf schließen, dass er deutlich größer ist als ein gewöhnlicher Mensch. Der in der Abstammung Kains gefundene Indikator für die Boshaftigkeit und Ungeheuerlichkeit Grendels und seiner Mutter, scheint allerdings auch Anhaltspunkt für die Menschlichkeit der beiden zu sein: Kain war ein Mensch, somit müssen seine Nachfahren ebenfalls etwas Menschliches an sich haben.

Grendel erscheint wie ein im Exil lebender „Einzelgänger“ 14, der sich nicht in das soziale System der Dänen einfügen möchte15, indem er weder Frieden stiften, noch Wergeld oder Bußgeld zahlen möchte. 16 Somit führt er ein trauriges und einsames Leben, welches er im Abseits der Gesellschaft verbringen muss. 17. Die durch die Isolation entstanden Emotionen Grendels — Wut, Eifersucht, Einsamkeit, Aggression —sind alles menschliche Gefühle und Empfindungen.

Allerdings wird er sprachlich auch immer wieder von den Menschen abgegrenzt 18 indem er beispielsweise als „Der Feind des Menschengeschlechts“ 19 bezeichnet wird. Übermenschliche Fähigkeiten und Eigenschaften in Form von unglaublicher Stärke 20 sowie einem grässlich flammenden Licht, welches aus seinen Augen kommt 21 unterscheiden ihn ebenfalls von den normalen Menschen. Wie bereits erwähnt, lassen sich auch optische Unterschiede in seiner Riesenhaftigkeit feststellen. Auch die Tatsache, dass er durch jegliche Art von Waffen nicht verletzt werden kann, ist eine übernatürliche Eigenschaft Grendels. Das wohl signifikanteste Indiz dafür, dass Grendel nicht komplett menschlich sein kann, stellt das Schwert dar, welches durch den Kontakt mit Grendels Blut schmilzt, als Beowulf dem bereits toten Grendel den Kopf abschlägt. Als Ursache hierfür wird im Text Grendels giftiger Geist, sowie sein zu heißes Blut genannt. 22

Außerdem wird ihm durch seine grausamen Angriffe auf Heorot und die damit zusammenhängenden barbarischen und blutigen Handlungen seine Menschlichkeit abgesprochen, beispielsweise verschlingt er gierig Leichname und trinkt das Blut aus den Adern der leblosen Körper. 23 Die Dimensionen seiner Angriffe sind so monströs, dass sie für einen Menschen kaum auszurichten sind, während seines ersten Angriffes alleine verschleppt er 30 Krieger 24, über Jahre hinlang greift er Heorot regelmäßig an, kann von den stärksten Kriegern nicht überwältigt werden und verlangt viele Opfer.

Ebenso die Tatsache, dass Beowulf Grendel im Kampf unter den gleichen Voraussetzungen gegenübertreten möchte, ebenfalls unbewaffnet, erhebt Grendel in gewisser Weise vom bloßen Ungeheuer oder Tier zu einem respektablen Gegner. 25 Der Drache, gegen den Beowulf nach seiner Heimkehr kämpfen muss (obgleich dieser natürlich Feuer speien kann, und somit auch als bewaffnet gelten kann), genießt dieses Privileg nicht, gegen ihn setzen Beowulf und schließlich auf Wiglaf ohne zu zögern Schwert und Dolch ein. 26

Grendels Mutter

Ähnliches lässt sich auch bei Grendels Mutter beobachten, auch bei ihr sind die Grenzen zwischen Ungeheuer und Mensch relativ unklar. Häufig wird sie als „Weib“ bezeichnet 27, auch ihre Kampfkraft wird als „Frauenkraft“, dem Mann unterlegen, bezeichnet. 28 Auch die Benennung als Mutter führt zu einer Wahrnehmung als menschenähnliches Wesen, allerdings wird sie ebenso als Ungeheuer 29 bezeichnet. Durch die Tatsache, dass von Grendels Mutter teilweise in der 3. Person Singular fem. gesprochen wird 30, aber auch in der 3. Person Singular mask. 31, wird ihre Einordnung  besonders erschwert.

Genau wie Grendel ist sie durch eine einfache Waffe nicht verwundbar, diese versagt sobald sie gegen Grendels Mutter eingesetzt wird. 32 Erst mit dem gigantischen Riesenschwert aus ihrer eigenen Behausung kann sie getötet werden. Das grelle Licht, welches erleuchtet, als Beowulf Grendels Mutter besiegt, scheint ebenso auf ihre Übermenschlichkeit hinzuweisen. 33

Grendel und seine Mutter leben beide in einer Behausung, die, obwohl sie fernab der Gesellschaft in dem Grendelsee liegt, und anscheinend für einen normalen Menschen schwer zu erreichen ist, der Halle in Heorot sehr ähnlich ist, was beide wiederum aufs Neue menschlich beziehungsweise ansatzweise zivilisiert wirken lässt. Die Halle ist ebenso eingerichtet durch z.B. das kostbare, alte von Riesenhand gefertigte Schwert 34, es ist dort aufgrund eines Daches trocken, obwohl die Halle mitten im Grendelsee liegt 35, außerdem ist der Saal belichtet, da dort ein loderndes, fast schon gemütliches Feuer brennt. 36 Also wirkt der Wohnort Grendels und seiner Mutter nicht wie eine modrige Sumpfhöhle, sondern wie eine recht zivilisierte Behausung.

Besonders nachzuvollziehen sind Trauer und Wut, die Grendels Mutter verspürt, als ihr Sohn Grendel durch Beowulf getötet wird. Erbittert und voll Zorn macht sie sich auf den gefährlichen Weg nach Heorot, um ihren Sohn zu rächen. 37 Es erscheint fast so, als sei diese Handlung impulsiv aus ihrem Zorn heraus entstanden, denn kurz nachdem sie dort ankommt und die Reaktion beziehungsweise Bewaffnung der zahlreichen Krieger sieht, ergreift sie schon wieder die Flucht um ihr Leben zu retten, nachdem sie hastig noch einen Krieger ergreift und Grendels abgetrennten Arm mitnimmt. 38

Als Beowulf in die Behausung der Mutter eindringt, schlägt er, nachdem er die Mutter getötet hat, dem auf dem Totenbett liegenden Grendel den Kopf ab. Die Tatsache, dass die Mutter für Grendel anscheinend eine Art Ruhestätte konzipiert hat, und dementsprechend wahrscheinlich um ihren Sohn trauert, lässt sich nicht mit dem animalischen Dasein eines Ungeheuers vereinen, diese Handlung könnte man durchaus als menschlich bezeichnen. 39

Gerade die Handlungen und Emotionen der Mutter, die Wut über den Tod ihres Sohnes und die damit verbundene Rachsucht, lassen sich auf gewisse Art und Weise nachvollziehen, man könnte sogar fast von Mitleid und Verständnis für Grendels Mutter sprechen.

 Wenig günstig war der Tausch,/
Daß auf beiden Seiten bar bezahlen sollten/
/Mit dem Leben ihrer Lieben. 40

An dieser Textstelle wird deutlich, dass die Mutter offensichtlich Liebe und Zuneigung für ihren Sohn empfunden haben muss, dies ist absolut nicht kompatibel mit der Vorstellung, sie sei ausschließlich ein böses, teuflisches Ungeheuer.

Fazit

Generell ist es schwer, Grendel oder seine Mutter den Kategorien Mensch oder Monster zuzuordnen, da beiden sowohl sprachlich als auch durch zugeschriebene Eigenschaften und beschriebene Handlungen sowohl monströse, als auch menschliche Charakterzüge zugewiesen bekommen. Grade Grendel vereint definitiv Mann und Monster.

Obwohl Grendel und seine Mutter Groll gegen die in Heorot lebenden Menschen hegen und fürchterliche Taten vollbringen, lässt sich die Motivation einiger Taten, wie zum Beispiel der Rache Grendels durch seine Mutter, ansatzweise nachvollziehen. Zusätzlich wird der Anschein erweckt, dass die beiden im Stande sind Emotionen zu verspüren, zum Beispiel Zuneigung füreinander oder auch Trauer. Dies wird zum Beispiel daran deutlich, dass Grendels Mutter für ihren Sonn eine Ruhestätte gestaltet. Definitiv werden beide durch übermenschliche Fähigkeiten und Eigenschaften von der Kategorie Mensch abgegrenzt, allerdings leben sie zum Beispiel, obwohl diese sich fernab von Heorot in einem See befindet, in einer ansatzweise zivilisierten Behausung.  Nicht zuletzt die Tatsache, dass sie von Kain abstammen, der zwar Wurzel alles Bösen ist, aber letztendlich auch ein Mensch, verdeutlicht die Problematik der Kategorisierung besonders.


 

Die thematische Opposition im Beowulf – Ein Blick auf die Grendel-Figur und ihre Opposition zum Guten

Die thematische Opposition Grendels – Die methodische Vorgehensweise

Dieser Artikel widmet sich der thematischen Opposition der Grendel-Figur.[1] Die Untersuchungsgegenstände dieses Artikels sind Robert Zemeckis 2007 erschienener Film Die Legende von Beowulf und der altenglische Primärtext Beowulf. Untersucht werden beide Gegenstände unter folgender Frage: Inwiefern unterscheidet sich die thematische Opposition der Grendel-Figur im altenglischen Beowulf vom im Jahr 2007 erschienenen Film Die Legende von Beowulf? Es wird postuliert, dass Grendel ein thematisches Gegenstück im Film sowie im Primärtext darstellt. Diese Antibeziehung unterscheidet sich jedoch stark im Film und Buch. Im Primärtext stellt Grendel das Gegenstück zur christlichen Ordnung der Dänen dar und ist somit die Verkörperung der metaphysischen Abwesenheit des Guten.[2] Dieses metaphysisch-theologische Konzept der Grendel-Figur wird im Film in eine postmoderne Interpretation übertragen. Grendel stellt somit im Film die Schattenseite der menschlichen Seele, genauer der Seele Hrothgars, dar. Um dieses Postulat zu untersuchen muss zuerst die Abstammungsgeschichte der Grendel-Figur in beiden Werken genauer dargelegt werden. Der Fokus der Untersuchung im Primärtext liegt dabei auf der Dichotomie der Dänen und ihren Werten, wohingegen in der Analyse des Films der Fokus auf die Dichotomie zwischen Hrothgar und Grendel gerichtet wird.

Grendel und Kain – Grendel als Verkörperung der Abwesenheit des Guten im Beowulf

Die Einführung der Grendel-Figur bringt bereits viele Hinweise auf die dämonische Natur Grendels. Grendel sei „ein Feind aus der Hölle“[3], ein „grimmer Geist“[4] und ein „gräßlicher Markgänger“ [5] . Die Abstammungslinie der Grendel-Figur geht im Primärtext direkt auf Kain zurück, jedoch nicht auf die vorsintflutlichen Giganten.[6] Orchard weist in seinen Studien des Manuskriptes darauf hin, dass der Verfasser des Werkes diese Unterscheidung bewusst gewählt hat. Jesaja 26,14 gigantes non resurgent (The Giants shall not rise again) ist dabei die Bezugsstelle des Verfassers, die das Weiterexistieren vorsintflutlicher Giganten verneint und die vom Verfasser des Textes übernommen wurde.[7] Tatsächlich handelt es sich bei Grendel vielmehr um einen antitypischen Abkömmling Kains, da Grendel ebenso wie Kain, ein Mal trägt:

In Beowulf we are told that Cain went ‚guilty‘ or ‘marked’ (fag) into the wastes […] Grendel too, of course, is fag and is explicitly described as the ‘enemy of mankind’ (feond mancynnes; mancynnes feond), shortly after each of the passages on Cain (lines 164 and 1276), so underlining the parallel still further.[8]

Die Abstammung von Kain erklärt jedoch nicht, warum Monster wie Grendel weiterhin die Erde heimsuchen und wie genau die Abstammung Grendels nach der Flut gesichert ist. Ein Hinweis findet sich in der Abstammung des Schwertes, welches Beowulf in der Unterwasserhöhle Grendels und seiner Mutter findet und mit dessen Hilfe er die beiden erschlagen kann. „Ein scharfes altes Schwert von Riesenhand“ [9] deutet auf die Geschichte Hams hin, einem der biblischen Söhne Noahs. Ham wird laut Orchard immer wieder in verschiedenen altenglischen Texten und theologischen Auseinandersetzungen als „zweiter Kain“ und als Grund für das Weiterexistieren des Bösen in der Welt gesehen.[10] Durch ihn überlebten die verdorbenen Künste der Giganten und so wurde auch er von Gott verflucht. Es gibt jedoch noch deutlich mehr Abstammungsgeschichten, auf die sich der Verfasser des Beowulf bezieht, auf die hier nicht weiter eingegangen werden.

Grendel stammt also vermutlich von Kain bzw. Ham ab. Diese Genealogie Grendels, die der Verfasser des Textes direkt mit der Einführung der Figur vollbringt, stellen diesen in ein oppositionelles Verhältnis mit den Dänen und Gauten, Nachkommen Japhets. Der Verfasser hört jedoch hier nicht auf und führt dieses Verhältnis im Verlauf des Werkes weiter aus, um zu unterstreichen, dass Grendel mehr als nur ein Antityp ist, denn Grendel ist die dichotomische Gegenposition zum Guten schlechthin und seine Opposition zu den Dänen ist eine Weiterführung des Kampfes Kains gegen Gott.[11]  Die erste Erwähnung Grendels bringt diesen in die thematische Opposition zum „hellen Gesang des Skops“,[12] einem Gesang über die Erschaffung der Welt, der Menschen und eine Lobpreisung Gottes. „Grollend erduldete“ [13] Grendel, „der in der Finsternis hauste“[14], dieses Lied, was ihn in Opposition zum „lauten Jubel“[15] und dem „fröhlichen Treiben“[16] der Dänen setzt. Seine Aversion der Sonne gegenüber wird hier auch erklärt, da diese als Siegeszeichen Gottes gesetzt wurde.[17] Das darauffolgende kannibalistische Massaker Grendels wird von Anderson als Weiterführung dieser thematischen Opposition gesehen. Denn nachdem die Dänen ihr eigenes Festmahl bei Anbruch der Nacht beendeten, fing Grendel seines an.[18] Das Massaker sowie die nächtliche Besetzung der Halle durch Grendel sieht Anderson als Grendels thematische Opposition zum dänischen Hof: „light versus darkness, joy versus misery, music versus noise, companionship versus slaughter, sleep versus night-stalking, feasting versus cannibalism, community versus solipsism.”[19] Ein weiteres Beispiel für die thematische Opposition findet sich in Beowulfs Kampf mit Grendel. Der Kampf mit Beowulf zeigt seine thematische Opposition zum nordischen Ideal des ehrenhaften Kampfs und der Tapferkeit. Grendels Immunität Waffen gegenüber ist magischer Natur; er verzauberte sich selber mit einem Schutzzauber. Dies ist außerdem ein Hinweis auf die verbotenen Künste der Giganten.[20]  Dieser Mangel an Ritterlichkeit bringt ihm nur Spott von Seiten Beowulfs ein.[21]  Doch sobald der Zweikampf zwischen ihm und Beowulf ausbricht und Grendel feststellen muss, dass Beowulf ihm gleichauf ist, verfällt dieser in Panik und flieht, nicht interessiert und zu feige für einen Kampf auf Augenhöhe.[22]

Grendel und Hrothgar – Grendel als Verkörperung des Bösen im Menschen

Robert Zemeckis Film präsentiert eine andere, postmoderne Interpretation der Grendel-Figur. Die männliche Abstammungslinie Grendels geht in Zemeckis Film nicht auf Kain, sondern auf Hrothgar, den dänischen König, zurück:

Wealthow: […] Grendel. Our curse. He is my husband’s shame.
Beowulf: Not a shame, but a curse.
Wealthow: Shame. Hrothgar has no…other sons…
And he will have no more, for all his talk. [23]

Dieser Unterschied hat auf die thematische Opposition Grendels einen starken Einfluss. Anders als im Primärtext ist Grendels thematische Opposition nun nicht der externe Kampf zwischen Gutem und Bösem. Es ist nun vielmehr ein interner Kampf. Aus diesem Grund soll sich in diesem Abschnitt der Fokus auf die thematische Opposition und Überspitzung der schlechten Eigenschaften Hrothgars in der Grendel-Figur richten. Die erste Konfrontation zwischen Grendel und Hrothgar findet ebenso wie im Primärtext aufgrund der Geräusche aus der Festhalle Heorot statt. Anders als im Primärtext jedoch ist es nicht der „Gesang des Skops“ dessen Inhalt Grendel aus seiner Höhle lockt, sondern der Lärm eines ausschweifenden Festes.[24] Hrothgar wird hierbei als nackter, maßloser Saufbold dargestellt, dessen Überspitzung im darauffolgenden kannibalischen Festmahl des ebenfalls nacktem Grendels seine Spiegelung findet.[25] Das Motiv des kannibalischen, nächtlichen Festmahls wurde aus dem Primärtext übernommen und transponiert. Die charakterlichen Oppositionen hören dort jedoch nicht auf. Die Lärmempfindlichkeit Grendels und die Lautstärke Hrothgars stellen eine weitere Opposition dar: er wird direkt mit seiner lauten Stimme vorgestellt: „The King is happy, shouting loudly enough to be heard by the furthest dog” [26] und “ Hrothgar is laughing loudly at some dirty joke.”[27] Besonders der letzte Abschnitt deutet bereits auf die nächste Opposition hin; das Kleinkindlich-Unschuldige Grendels versus das Alte-Verruchte Hrothgars:

While Grendel is not human, if he were human, he would be retarded, perhaps brain-damaged. He is honestly a sweet and gentle person, except in the matter of eating people, and then only when driven mad with noise.
Grendel begins to play with the spear (and the head on it) as if it were a puppet. [28]

Dieses Kindlich-Unschuldige Grendels bringt eine dichotomische Spannung zwischen seiner Asexualität, er wird ohne Geschlechtsteile dargestellt, und der Hypersexualität der Mutter Grendels samt Verführung Hrothgars. An verschiedenen Punkten im Film wird gezeigt, dass in der Beziehung zwischen Hrothgar und Wealthow kein sexueller Verkehr stattfindet. Der Grund hierfür scheint der Betrug an seiner Frau mit Grendels Mutter zu sein. Eine Deutung in diesem Sinne, könnte die asexuelle Natur Grendels mit der Beziehung Hrothgar-Wealthow in Verbindung bringen.[29]

Monster und der kulturelle Perspektivenwechsel auf diese

Die zeitgenössische Aufarbeitung mittelalterlicher Texte und derer Monster muss zwangsweise eine neue Sichtweise mit sich bringen. In diesem Artikel wurde versucht dies an der Grendel-Figur im Beowulf zu untersuchen. In beiden Versionen der Sage, stellt Grendel eine Hürde und eine thematische Opposition dar, jedoch ist diese Hürde in beiden Werken anders verortet. Der Primärtext des Beowulfs scheint das Monströse als thematische Opposition zum Guten zu sehen. Die Identität Grendels als Troll ist dabei nebensächlich.[30] Er wird nicht durch das charakterisiert, was er ist, sondern durch seine Opposition zum Guten. Diese Darstellung des Bösen in personifizierter Form bildet im Primärtext ein Hindernis, das überkommen werden muss in der Aufgabe Beowulfs, einem Streben nach Ruhm und dem Heroischen. Risden beschreibt diese Suche nach Ruhm als externes Suchen nach Sinn, Anerkennung etc.[31] Das Monster ist so eine Repräsentation der Hürden, die der Mensch auf der Suche nach Sinn und nach einer Möglichkeit, etwas zu erschaffen, das größer als er selbst ist und seinen eigenen Tod überdauern kann, überwinden muss.[32] Dieser externe Fokus der Monster weicht der Freud’schen Revolution. Indem das christliche Motiv im Film aus dem Fokus genommen wird, erscheint die Opposition individuell.  Der Fokus der Monster rückt intern; epische Schlachtfelder weichen dem inneren Kampf der Psyche. Das Monster als Hürde bleibt bestehen. Die Untersuchung des Films Zemeckis scheint auf diesen Wechsel hinzuweisen. Nicht mehr nur als die Verkörperung des Bösen, das überwunden werden muss, wird die Grendel-Figur zur Charakterisierung der Schwächen Hrothgars und des Menschen verwendet. Seine Schwäche im Angesicht der verführerischen Mutter Grendels zeigt einen Kampf mit sich selbst und den Konsequenzen seines Handelns.


[1]     Literaturverzeichnis

Primärliteratur

Beowulf. Ein altenglisches Heldenepos. Lehnert, Martin (Hg.); Stutt-gart: Reclam 2004.

Sekundärliteratur

Anderson, Earl R.: Understanding Beowulf as an Indo-European epic: a study in comparative my-thology. Lewiston [u.a.]: Edwin Mellen 2010.

Becker, Ernest: The Denial of Death. New York: Simon & Schuster 1973

Gaiman, Neil & Avary, Roger: Beowulf. The Script Book. With in-sights form the authers, their early concept art, and the first and last drafts of the script for the film. New York: HarperCollins 2007.

Haydock, Nickolas; Risden, E.L.: Beowulf on Film. Adaptations and Variations. London: McFarland 2013

Orchard, Andy: Pride and Prodigies. Studies in the Monsters of the Be-owulf-Manuscript. Cambridge: Brewer 1995.

[2]     Diese Formulierung für das Wort „böse“ wird bewusst gewählt, da Böses im theologisch-mittelalterlichen Sinne nicht existiert, da man so unterstellen würde Gott könnte Böses erschaffen.

[3]     Siehe Beowulf. Ein altenglisches Heldenepos. Lehnert, Martin (Hg.); Stuttgart: Reclam 2004, S.33. V. 101.

[4]     Beowulf V. 102.

[5]     Beowulf V. 103.

[6]     Vgl. Beowulf V. 103-108.

[7]     Orchard, Andy: Pride and Prodigies. Studies in the Monsters of the Beowulf-Manuscript. Cambridge: Brewer 1995, S.58.

[8]     Orchard 1995, S. 61.

[9]     Beowulf S.101 V. 1556.

[10]   Orchard 1995, S.70.

[11]   Anderson, Earl R.: Understanding Beowulf as an Indo-European epic: a study in comparative mythology. Lewiston [u.a.]: Edwin Mellen 2010, S.95.

[12]   Beowulf S.32 V. 90.

[13]   Beowulf S.32 V. 86.

[14]   Beowulf S.32 V. 87.

[15]   Beowulf S.32 V. 88.

[16]   Beowulf S.33 V. 99.

[17]   Vgl. Beowulf S.33 V. 94.

[18]   Vgl. Anderson, Earl R.: Understanding Beowulf as an Indo-European epic: a study in comparative mythology. Lewiston [u.a.]: Edwin Mellen 2010, S.93.

[19]   Anderson S. 93.

[20]   Vgl. Beowulf S.62f V. 798-804.

[21]   Vgl. Beowulf S.57f V. 681-685.

[22]   Vgl. Beowulf S.63 V. 813-821.

[23]   Gaiman, Neil / Avary, Roger: Beowulf. The Script Book. With insights form the authers, their early concept art, and the first and last drafts of the script for the film. New York: HarperCollins 2007, S.35 Szene 54.

[24]   Vgl. Beowulf Script: S.5 Szene 15.

[25]   Vgl. Beowulf Script: S.7 Szene 20.

[26]   Beowulf Script: S.1 Szene 1.

[27]   Beowulf Script: S.2 Szene 4.

[28]   Beowulf Script: S.25 Szene 41.

[29]   Beowulf Script: S.11 Szene 24, S.35 Szene 54, S.2 Szene 4.

[30]   Anderson S.94.

[31]   Haydock, Nickolas; Risden, E.L.: Beowulf on Film. Adaptations and Variations. London: McFarland 2013, S.6.

[32]   In diesem Kontext die Untersuchung des Heroismus in Becker, Ernest: The Denial of Death. New York: Simon & Schuster 1973. Diese Art des Heroismus wird bei Becker als individueller Heroismus beschrieben, in der der Mensch versucht, durch individuelle Handlung, ein Vermächtnis zu erschaffen das diesen überdauert. Dies steht im Gegensatz zum kulturellen Heroismus, in dem versucht wird, durch soziale Rollen, das Gleiche zu schaffen. S. 7-13.

Unbesiegbar schön – Die Neuinterpretation der Mutter Grendels und das Motiv der Mahrtenehe im Film Beowulf (2007)

Der Held Beowulf muss sich im gleichnamigen altenglischen Epos gegen drei Gegenspieler behaupten: das Monster Grendel, dessen Mutter und einen Drachen. Die unter der Regie von Robert Zemeckis entstandene Filmadaption Beowulf (2007) des über 1000 Jahre alten Stoffes unterscheidet sich in der Darstellung dieser drei Monster und der mit ihnen zusammenhängenden Figurenkonstellation stellenweise deutlich von der literarischen Vorlage. Besonders interessant ist dabei die Rolle der Mutter Grendels, deren äußeres Erscheinungsbild im Original nicht beschrieben und die im Film von der US-Schauspielerin Angelina Jolie verkörpert wird. Sowohl auf visueller als auch inhaltlicher Ebene deutet der Film an, dass Grendels Mutter eine Mahrte ist, die ihre Opfer verführt und mit ihnen eine Mahrtenehe eingeht, also eine „Verbindung eines Menschen mit einem übernatürlich-jenseitigen Wesen“41. Im Folgenden soll diese These überprüft und die Funktion der Neuinterpretation und Aufwertung der Figur untersucht werden.

Aspekte einer Mahrtenehe im Beowulf (2007)

Grendels Mutter wird in der literarischen Vorlage als „Das Schreckensweib […] / Welche die Wasserwüsten bewohnen mußte“42 beschrieben. Außer der Erwähnung von „scheußlichen Krallen“43 finden sich keinerlei Aussagen bezüglich ihres Phänotyps. Eine solch lückenhafte Beschreibung der Figur bietet den Filmemachern großen Spielraum und dient als Anlass, Grendels Mutter in dem Film eine stärkere Bedeutung für den Handlungsverlauf zukommen zu lassen als in der literarischen Vorlage vorgesehen. Zunächst ist das Ungeheuer nur in Spiegelungen und niemals in ganzer Gestalt zu sehen. So wirkt es auf die RezipientInnen erst so, als handle es sich um ein außergewöhnliches Wasserwesen mit einem fischartigen Kopf, beweglichen Tentakeln und langen Fingern mit Schwimmhäuten.

Abbildung 1
Abb. 1.: Grendel und ein ihn streichelnder Tentakel seiner Mutter in ‚Beowulf‘ (2007, Robert Zemeckis). Screenshot (0:13:13).
Abbildung 2
Abb. 2.: Wasserspiegelung von Grendels Mutter in ‚Beowulf‘ (2007, Robert Zemeckis). Screenshot (0:53:12).

Später erscheint sie außerhalb des Wassers jedoch als Frau in attraktiver Gestalt mit goldfarbener, schimmernder Haut und einem Schwanz, der aus ihrem Unterleib wächst und noch als einziger Hinweis darauf dient, dass es sich bei Grendels Mutter um ein unmenschliches Wesen handelt.

Abbildung 3
Abb. 3.: Angelina Jolie verkörpert Grendels Mutter in ‚Beowulf‘ (2007, Robert Zemeckis). Screenshot (0:55:59).

Diese Verwandlung und die vielen menschlichen Attribute sind Hinweise darauf, dass es sich bei der Figur um eine besondere Form eines Mischwesens, eine sogenannte Mahrte, handelt. Der damit verknüpfte Begriff Mahrtenehe wird im weiteren Sinn „zur Umschreibung jeglicher erotischen oder sexuellen Verbindung eines Menschen mit einem übernatürlich-jenseitigen Wesen“44 verwendet. Die Darstellung der Mutter Grendels weckt dabei Assoziationen zu weiblichen Wassermonstern wie zum Beispiel den Sirenen, die einen Fischschwanz besitzen und „meist mit entblößten Brüsten dargestellt werden“45. „[D]as Motiv der Mahrtenehe mit der zur Meerjungfrau mutierten Sirene ist ein liter[arischer] und kinematographischer Dauerbrenner.“46 Es ist also nicht erstaunlich, dass eines dieser „erotisch-monströsen Mischwesen“47 im Film in einer Erinnerung Beowulfs auftaucht, was ein weiterer Hinweis auf das Motiv der Mahrtenehe sein könnte. In der entsprechenden Szene wird angedeutet, dass Beowulf sich von dem mysteriösen Wesen hat verführen lassen und eventuell eine Mahrtenehe mit ihm eingegangen ist. Im Manuskript des Films wird dieses Wesen beschrieben als „a beautiful golden woman […] not a mermaid, but there is something inhuman about her“48.

Diese und die folgende weitere Beobachtung stärkt die These, dass Grendels Mutter eine Mahrte ist, die sowohl Eigenschaften eines Menschen als auch eines Wassermonsters in sich vereint und so ein neues, besonders mächtiges Monstergeschlecht darstellt. Im engeren Sinn wird mit dem Begriff der Mahrtenehe vor allem eine ehe-ähnliche oder erotische Verbindung mit einem Mahr (auch: Nachtmahr, Mart oder weiblich Mahrte) bezeichnet, also einem sogenannten Druckgeist, der nachts „durch das Schlüsselloch, ein Astloch oder durch irgendeine kleine Öffnung in der Tür“44 eindringt und seinem schlafenden Opfer das Gefühl gibt, es würde von einem Wesen auf seiner Brust erstickt.49 Anspielungen auf dieses Motiv finden sich im Film in der Szene, in der Grendels Mutter nach der Ermordung ihres Sohnes durch Beowulf diesen offenbar nachts im Schlaf heimsucht und zahlreiche Dänen auf brutale Weise kampflos tötet. Die Kameraführung stellt diese Szene aus der Sicht von Grendels Mutter dar, die soeben ihren toten Sohn in den Händen hielt, nun nach Rache sinnt und durch einen schmalen Spalt zwischen zwei Holzpfeilern in die dänische Königshalle eindringt. In dieser Nacht hat Beowulf einen vermeintlichen Traum, in dem ihm die dänische Königin Wealtheow erscheint und wie ein Geist über seiner Brust schwebt. Unter dem Aspekt der eben beschriebenen schnittlosen Kameraführung wird klar, dass es sich dabei um eine Täuschung der Mutter Grendels handelt, die offenbar wie ein Mahr „vielfältige Verwandlungsgestalten“44 annehmen kann, und die hier eventuell bereits versucht, Beowulf zu verführen, was ihr später gelingen wird.

Funktionen der Neuinterpretation

Ein großer, für die Handlung folgenschwerer Unterschied zum Epos besteht darin, dass Beowulf Grendels Mutter nicht besiegt, sondern sich mit ihr vereint. In der betreffenden stark sexuell aufgeladenen Szene, in der Grendels Mutter erstmals ganz zu sehen ist und ihre menschenähnliche Gestalt annimmt, verführt sie den Helden dazu, ihr dafür, dass er Grendel getötet hat, einen neuen Sohn zu schenken. Zu späterem Zeitpunkt wird sich herausstellen, dass das aus dieser Mahrtenehe stammende Wesen der Drache ist, den Beowulf am Filmende besiegt, allerdings nur zum Preis seines eigenen Lebens. Ebenso wird im Verlauf des Filmes deutlich, dass es sich bei Grendel um den Sohn Hrothgars, des dänischen Königs, handelt, der also ebenso von Grendels Mutter verführt worden ist.

Both powerful men, Hrothgar and Beowulf, decline morally and physically and place their folk in danger after their sexual dalliance: they create more powerful, more monstrous, and less scrupulous versions of themselves.50

Grendels Mutter erscheint dadurch als ein skrupelloses, weibliches Mischwesen aus Wassermonster und Mensch, dessen Stärke unkontrolliertes Begehren der Männer darstellt. Beide vermeintlichen Helden verfallen ihr und verlieren dabei ihre Heldenhaftigkeit, „both begat upon a stunning, seductive, powerful, and perhaps immortal female of uncertain origins“51 und diese „uncertain origins“ lassen sich durch das Motiv der Mahrtenehe, das im Film wie erläutert in unterschiedlicher Form auftritt, erschließen. Es entsteht das für eine Mahrtenehe typische „exakte Gegenbild einer Happy-End-Verbindung“52, indem beide Männer gegen Grendels Mutter machtlos sind, was zum Scheitern ihrer Beziehungen und letzten Endes für beide zum Tod führt.

In essence, what we have in Beowulf(2007) is an interpretive reading of Beowulf, with material added to smooth over aspects that the writers saw as impediments to storytelling. Their most effective and dramatic intervention is to have Grendel’s mother seduce Hrothgar to create Grendel and then Beowulf to create the dragon. This device creates a structural unity that the poem lacks and allows them to explore their theme of unchecked male desire engendering a cycle of suffering and betrayal for the promise of power leading to an impotence that rots all.53

Zusammenfassend dient die Neuinterpretation und Aufwertung der Figur durch die Filmemacher dazu, Grendels Mutter als ein neues, unbesiegbar schönes Monster einzuführen, welches durch seine geheimnisvolle Herkunft und Verwandlungsfähigkeit Faszination weckt und das Heldenepos in eine tragische und neu verstrickte Erzählung mit genealogischer Thematik umzukehren. Gerade die letzte Szene, in der Grendels Mutter in Beowulfs treuen Gefährten Wiglaf ein neues Opfer anstrebt, unterstreicht erneut die Dominanz der Figur. Nachdem Wiglaf sich von seinem sterbenden Freund Beowulf verabschieden musste, blickt er auf das Meer hinaus, aus dem Grendels Mutter auf einmal hervorkommt. Wiglaf scheint sich von ihrem Blick und ihrer schönen Gestalt in den Bann ziehen und anlocken zu lassen; nur die RezipientInnen wissen um die monströse Anziehungskraft der Mutter Grendels und um sowohl Beowulfs als auch Hrothgars folgenschwere Verbindung mit ihr. So endet der Film mit der fatalen Vorahnung, dass sich die tragischen Ereignisse wiederholen werden.

Grendel und Gollum – Ein Vergleich zweier Monster

J.R.R. Tolkien war Philologe und hat sich im Zuge dessen viel mit altenglischer Literatur beschäftigt. Dass ihn einige der Werke beim Schreiben seiner eigenen Bücher und der Erschaffung seiner eigenen Welt, Mittelerde, stark beeinflusst haben und ihm teils als Quelle für Ideen dienten, ist also nicht sonderlich verwunderlich. Da Tolkien sich im Besonderen mit dem altenglischen Epos Beowulf auseinandergesetzt hat, wurde in der Forschung wiederholt die These aufgestellt, dass ganze Handlungsstränge von Tolkiens Hobbit oder der Herr der Ringe-Trilogie von Beowulf beeinflusst sind. Auf diese umfassenderen Vergleiche wird dieser Artikel nicht näher eingehen. Stattdessen sollen die Ähnlichkeiten eines bestimmten Aspekts genauer beleuchtet werden. Tolkiens Welt Mittelerde ist reich an unterschiedlichsten Fabelwesen. Darunter findet man auch Monster. Monster gibt es wiederum auch im Beowulf einige und die spielen keine kleine – laut Tolkien sogar die größte – Rolle in den Handlungssträngen dieser Geschichte.[1] Zwischen den Monstern in Tolkiens Werken und denen im Beowulf gibt es einige Überschneidungen, darunter teilweise sogar sehr große Ähnlichkeiten, wie beispielsweise zwischen dem namenlosen Drachen aus Beowulf und dem Drachen Smaug im Hobbit.  In diesem Artikel sollen die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen zwei dieser Monster untersucht werden: Zum einen Grendel aus Beowulf, welcher den ersten großen Gegner für den namensgebenden Helden des Werkes darstellt und somit die Handlung des ersten Drittels des Buches maßgeblich beeinflusst. Zum anderen Gollum, aus Tolkiens Mittelerde, der für viele Leser zu den faszinierendsten Figuren dieser Welt zählt und der ebenfalls einen großen Teil zur Geschichte des Hobbits und der Herr der Ringe Bücher beiträgt.

Gemeinsamkeit Lebensraum

Gollums ersten Auftritt findet man im Hobbit, als Bilbo allein durch die Dunkelheit eines Höhlensystems in den Bergen irrt.[2] Das erste Auftreten der Figur wird also stark von der Umgebung, von Gollums Wohnort, mitgezeichnet. Er lebt auf einer „slimy island of rock“[3], die in der Mitte eines kleinen Sees liegt. Dieser See befindet sich sehr tief innerhalb des Berges, was dadurch klar wird, dass Bilbo von seinem ohnehin schon orientierungslosen Standort durch einen langen abschüssigen Gang immer tiefer in den Berg hinein wandert, bevor er an dem See ankommt.[4] Der ganze Ort ist vollkommen dunkel, sodass Bilbo zunächst absolut nichts sieht. Gollum dagegen, der hier zuhause ist, hat große, helle Augen, die als „lamp-like“[5] beschrieben werden, also in schwachem Licht strahlen. Scheinbar kann er mit ihnen auch sehr gut sehen, da er in der Dunkelheit von seiner kleinen Insel aus problemlos erkennt, dass Bilbo, der am Ufer des Sees steht, kein Ork ist.[6]

In dieser Beschreibung findet man die erste starke Ähnlichkeit zu Grendel. Auch Grendels erste Erwähnung beinhaltet seinen Wohnort. Gleich im ersten Grendel beschreibenden Satz heißt es: „[…] der gräßliche Unhold, der in der Finsternis hauste […]“[7]. Spezifischer wird beschrieben, dass Grendel in einem angrenzenden Moor lebt.[8] Im zweiten Teil der Geschichte, in dem Beowulf Grendels Mutter nach ihrem Rachezug zu ihrem Heim zurückverfolgt, wird die Behausung der beiden Monster näher beschrieben. Die Heldenschar kommt im Moor an ein Gewässer, das sie als Heimat des Monsters erkennen. Beowulf springt ins Wasser und wird von Grendels Mutter in Halle geführt, die sich unter Wasser befindet, in die aber kein Wasser eindringt.[9]  Sowohl Gollum, als auch Grendel, leben also in einer Art unterirdischen Höhle und werden mit Dunkelheit in Verbindung gebracht. Sie scheinen ebenfalls beide lichtscheu zu sein. Grendel greift in der ganzen Geschichte nur nachts an[10] und in Gollums Werdegang, den Gandalf in Die Gefährten Frodo beschreibt, gibt es einen Moment, in dem die Wärme und das Licht der Sonne anfangen, Gollum Schmerz zuzufügen und er sich bewusst in die Dunkelheit der Berge zurückzieht.[11] Auch der Bezug zu Wasser ist bei beiden Monstern gegeben. Grendel lebt im Moor in einem See und Gollum auf der schlammigen Insel in der Mitte des Bergsees. Gollums Bezug zum Wasser wird durch sein früheres Leben als Mitglied eines Hobbitvolkes, der seinerseits ein sehr wasserverbundenes Leben führte, noch verstärkt.[12] Auch die in der Dunkelheit leuchtenden Augen Gollums finden sich bei Grendel wieder. Im Beowulf heißt es: „Aus seinen Augen flammte, der Lohe gleich, ein gräßliches Licht.“[13]. Anders als bei Gollum lässt sich in Grendels Fall jedoch nicht sagen, ob dieses Licht zur Verbesserung seines Sehvermögens beiträgt.

Gemeinsamkeit Kain

Neben diesen charakteristischen Ähnlichkeiten gibt es eine weitere sehr deutliche Verbindung, auf die in der Forschung eingegangen wird, wenn es um die Gemeinsamkeiten zwischen Beowulf und Tolkiens Werken geht.[14] Sie besteht im Bezug zu der biblischen Geschichte von Kain. Im Fall von Grendel wird dieser Bezug direkt im Werk hergestellt. Grendel ist, wie andere Monster auch, ein Nachfahre Kains.[15] Er hat das Böse vererbt bekommen und lebt, wie sein Vorfahre, außerhalb der menschlichen Zivilisation im Exil. Gollum wird dagegen in kein Verwandtschaftsverhältnis zu Kain gesellt, sondern begeht den Sündenfall selbst. Sméagol, wie Gollum heißt, bevor er seine Wandlung zum Monster durchgemacht hat, angelt zusammen mit seinem Freund Déagol. Als Déagol dabei ins Wasser fällt, findet er den Ring. Sméagol möchte den Ring selbst gerne haben und tötet Déagol, als dieser ihm den Ring nicht freiwillig übergibt.[16] In der Erzählung ist zwar nicht die Rede von einer brüderlichen Verwandtschaft zwischen den beiden, aber aufgrund der Ähnlichkeit der Namen kann man zumindest vermuten, dass die beiden in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zueinander stehen.[17] Sméagol, der daraufhin zu seiner Familie zurückkehrt, erfährt durch den Einfluss des Ringes eine stetige Wesensveränderung, die dazu führt, dass er ins Exil verbannt wird.[18] Sméagols beziehungsweise Gollums Geschichte erinnert sehr stark an die biblische Erzählung Kains.

Obwohl Grendel das Böse nur durch Kain geerbt hat und Gollum die böse Tat selbst verübt hat, sind die Parallelen durch den Bezug auf dieselbe biblische Geschichte doch deutlich.

Unterschiede

Trotz dieser deutlichen Parallelen zwischen den beiden Monstern gibt es auch grundlegende Unterschiede. Diese betreffen zum einen das Aussehen: Von den leuchtenden Augen abgesehen bestehen keine nennenswerten Ähnlichkeiten. Gollum wird als „a small slimy creature“[19] beschrieben. Grendel dagegen wird als „Riese“[20] bezeichnet. Die Größe wird durch das spätere tragen seines Kopfes, was nur von vier Männern zusammen möglich ist, besonders deutlich veranschaulicht.[21] Dazu hat Grendel Klauen,[22] die in Gollums Erscheinungsbild ebenfalls nicht auftauchen.

Ein anderer Unterschied liegt darin, dass Grendel wie erwähnt als Monster geboren wurde und durch sein Erbe vollständig böse zu sein scheint. Gollum war dagegen früher mal ein Wesen, das einem Hobbit ähnlich ist.[23] Ob man Hobbits als Monster bezeichnen kann oder nicht, ist eine Frage auf die auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll. Aber sie sind in Tolkiens Welt zumindest recht eindeutig keine bösen Wesen. Sméagol wird erst ab dem Zeitpunkt, an dem der Ring in seinem Leben auftaucht und er Déagol tötet, böse. Und selbst nach all den Jahren in der Dunkelheit, in denen sein ehemaliges Wesen immer mehr verschwunden ist, scheint der gute Teil im Kontakt mit Frodo und Sam teils wieder ein wenig hervorzukommen.[24] Gollum scheint, im Gegensatz zu Grendel, also nicht von Natur aus böse zu sein.

Vielleicht ist es auch diese Wesensverschiebung, die dafür sorgt, dass die beiden Monster eine unterschiedliche Rolle in der Geschichte einnehmen. Während Grendel einen klaren Gegner des Helden darstellt, wechselt Gollums Rolle zwischen Gegner und Konkurrent um den Besitz des Ringes und Verbündetem der Helden, der ihnen hilft ihre Aufgabe zu erfüllen ­– wenn auch teils eher widerwilli­g –, hin und her.

Fazit

Gollum kann aufgrund der beschriebenen Parallelen und trotz, beziehungsweise vielleicht auch wegen der Unterschiede, als moderne Interpretation von Grendel gesehen werden. Von beiden entsteht zunächst der Eindruck eines Ungeheuers, welches  in einiger Entfernung zur menschlichen Zivilisation, und in der Dunkelheit lebt und eine starke Verbindung zum Wasser hat. Die Ähnlichkeit wird durch den Sündenfall des Bruder- beziehungsweise Verwandtschaftsmordes aus Eifersucht und die anschließende Verbannung ins Exil noch vertieft. Diese Tat wird in Tolkiens Werken nicht von einem Vorfahren verübt, sodass Gollum nicht als geborenes Böses dasteht. Stattdessen kann man ihn als eine Figur betrachten, deren seelischer Verfall nachvollziehbar ist und die den Zugang zu ihrer guten Seite vielleicht nicht vollständig verloren hat. Damit kann man Gollum als eine im Äußeren etwas umgestaltete Neuinterpretation von Grendel sehen, die einem einen tieferen Einblick in das Innenleben des Monsters gewährt.
Die These, dass Tolkien bei der Erschaffung der Figur Gollums tatsächlich so stark von Grendel beeinflusst wurde wie eben dargestellt, lässt sich nicht mit endgültiger Sicherheit beweisen, da Tolkien selbst dazu keine ausführliche Auskunft gegeben hat.[25] Aber die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Monstern und die Tatsache, dass Tolkien sich selbst stark mit Beowulf auseinandergesetzt hat, lässt zumindest die Vermutung auf einen gewissen Einfluss von der Figur Grendel auf die Entstehung von Gollum nicht unplausibel erscheinen.


[1]    Vgl. Tolkien, John R. R.: The Monsters and the Critics. In: The Monsters and the Critics and other Essays. Hg. v. Christopher Tolkien. London: HarperCollins, S. 5-48.

[2]    Vgl. Tolkien, J.R.R.: The Hobbit, London 2006, S. 81ff.

[3]    Ebd. S. 85.

[4]    Ebd. S. 83f.

[5]    Ebd. S. 85.

[6]    Ebd. S. 85.

[7]    Beowulf: Ein altenglisches Heldenepos. Übersetzt und herausgegeben von Martin Lehnert. Reclam, Stuttgart 2004 S. 32, Vers 86f.

[8]    Vgl. ebd. S. 33, Vers 103f.

[9]    Vgl. ebd. S. 94ff., Vers 1398ff.

[10]  Vgl. ebd.

[11]  Vgl.Tolkien, John R.R.: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, London 1999, S. 71.

[12]  Ebd. S. 69.

[13]  Beowulf,  S. 60, Vers 726f.

[14]  Siehe zum Beispiel Nelson, Brent: Cain-Leviathan Typology in Gollum and Grendel. In: Extrapolation: A Journal of Science Fiction and Fantasy 49/3 (2008)

[15]  Beowulf, S. 33, Vers 106ff.

[16]  Tolkien: The Fellowship of the Ring, S. 70.

[17]  Vgl. Brent: Cain-Leviathan Typology in Gollum and Grendel, S. 467.

[18]  Tolkien: The Fellowship of the Ring, S. 70f.

[19]  Tolkien,: The Hobbit, S. 84.

[20]  Beowulf, S. 61, Vers 761.

[21]  Ebd., S. 104, Vers 1635ff.

[22]  Ebd., S. 60, Vers 738.

[23] Tolkien: The Fellowship of the Ring, S. 69.

[24]  Vgl. Tolkien, J.R.R.: The Lord of the Rings. The Two Towers, London 2007.

[25]  Vgl. Brent: Cain-Leviathan Typology in Gollum and Grendel., S. 466.