Der Hobbit – eine Neufassung von Beowulf?

In J.R.R. Tolkiens Werken rund um die Welt Mittelerde sind viele Motive aus älterer Literatur, im Besonderen jener, die auf nordischen Mythen basiert, eingeflossen.[1] Ein Beispiel sind die Namen der 13 Zwerge aus dem Hobbit, die alle aus dem Gedicht Völuspá, einem Lied aus der Edda, stammen.[2] Einige besonders prägnante Ähnlichkeiten und damit vermutete Einflüsse gibt es zu dem altenglischen Epos Beowulf.[3] Die Parallelen bestehen vor allem zwischen Beowulf und dem Hobbit. Einige Stimmen gehen dabei so weit, zu behaupten, dass der Hobbit so etwas wie eine Neuinterpretation, oder eine moderne Neufassung von Beowulf ist.[4] Eine Vertreterin dieser Theorie ist Bonniejean Christensen. Sie hat ihre Dissertation den vielen Parallelen zwischen Beowulf und dem Hobbit gewidmet. Neben anderen Motiven geht Christensen dabei vor allem auf die Ähnlichkeiten in der Handlung ein. In diesem Artikel sollen drei Beispiele dieser Ähnlichkeiten näher beleuchtet werden, um zu überprüfen, inwieweit die These des Hobbits als Neufassung von Beowulf schlüssig ist.

Die Parallelen

Zunächst verweist Christensen darauf, dass der Handlungsrahmen durch die vorkommenden Monster eine entscheidende Gemeinsamkeit hat. Tolkien selbst hat die Meinung vertreten, dass die Aneinanderreihung von Begegnungen zwischen dem Helden und verschiedenen Monstern in Beowulf den roten Faden der Geschichte ausmachen und daran, gegenüber anderen Meinungen, nichts falsch sei.[5] Wenn man die Geschichte des Hobbit genauer betrachtet, findet man auch hier einen roten Faden, der durch Begegnungen mit Monster wesentlich geprägt wird. Letztlich arbeitet hier sogar von Anfang an alles auf die Begegnung mit dem letzten großen Monster, dem Drachen, hin. Dieses Grundkonzept ist also in beiden Geschichten vorhanden.[6]
Ähnlichkeiten findet man auch in einzelnen Handlungssträngen. Christensen gibt in ihrer Arbeit eine ganze Reihe von Parallelen an, von denen hier drei prägnantere Fälle als Beispiel dienen sollen. Die verschiedenen Passagen finden sich innerhalb der beiden Geschichten nicht immer an der gleichen Stelle im Handlungsverlauf. Das ist für einen solchen Einfluss aber auch nicht zwangsläufig nötig.

Die ersten Monster

Die ersten Monster, auf die die Gefährten im Hobbit treffen, sind drei Trolle, die im Wald um ein Feuer herum sitzen und sich ein Schaf rösten. Bilbo und die Zwerge werden von ihnen entdeckt und gefangen und werden erst durch den zurückkehrenden Gandalf gerettet, der die Trolle durch einen Trick in Stein verwandeln lässt.[7] Christensen zieht den Vergleich zwischen dieser Szene und dem ersten Monster in Beowulf, also zu Grendel.[8] Grendel wird dort als „Riese“[9] beschrieben. Die Trolle sind große menschenähnliche Wesen, die man ebenfalls als Riesen bezeichnen könnte. Des Weiteren erfährt man, dass die drei, seit sie aus den Bergen heruntergekommen sind, in der umliegende Gegend und den auf dem Weg liegenden Dörfern alles Essbare, was sie finden, fangen und verzehren. In der Umgebung scheint es aber nicht mehr viele Menschen zu geben. „Never a blinking bit of manflesh have we had for long enough,“[10], beschwert sich einer von ihnen.  Auch Grendel terrorisiert die Menschen, indem er sie immer wieder angreift und umbringt.[11] Und auch hier flüchten die Menschen aus seiner Umgebung. In beiden Fällen werden die Unruhestifter durch die Helden außer Gefecht gesetzt und so die Menschen in der Umgebung von ihnen befreit.

Beorn

In dem Handlungsabschnitt über den Besuch der Gefährten bei Beorn gibt es nach Christensen mehrere Zusammenhänge zu Beowulf. Der erste bezieht sich auf die Ankunft. Als Beowulf und sein Gefolge in Dänemark ankommen werden sie zunächst von einem Strandwächter und später von Wulfgar, einem Amtmann am Hofe, begrüßt und nach ihrer Herkunft gefragt. Ihre Ankunft wird daraufhin König Hrothgar übermittelt, der sich an Beowulfs Vater erinnert und die Schar empfängt.[12] Als die Gefährten im Hobbit an Beorns Heim ankommen, wird ihre Ankunft dem Hauseigentümer dort ebenfalls angekündigt.

„Some horses, very sleek and well-groomed, trotted up across the grass and looked at them intently with very intelligent faces; then off they galopped to the buildings. „They have gone to tell him of the arrival of strangers,“ said Gandalf.“[13]

Christensen interpretiert dies als eine etwas scherzhafte und untertriebene Umsetzung der ausgeschmückten Szene in Beowulf.[14]
Die nächste, von Christensen aufgestellte, Parallele besteht zwischen den beiden Trophäen-Köpfen.[15] Beorn verfolgt die Spuren der Gefährten zurück, um sich von deren Geschichte, über die Flucht vor den Orks, zu überzeugen. Als Bilbo Beorn fragt, was er mit den Orks getan hat, zeigt dieser ihm einen Orkkopf, der auf dem Eingangstor zu Beorns Heim steckt.[16] Den Kopf des Monsters als Trophäe findet man auch in Beowulf. Beowulf und sein Gefolge nehmen Grendels Kopf mit nach Heorot, nachdem Beowulf Grendels Mutter besiegt hat, und stellen ihn dort, ebenfalls aufgespießt, aus.[17]
Die letzte Gemeinsamkeit ist zwischen den beiden Abschieden.[18] Als die Gefährten im Hobbit Beorn verlassen und abreisen, bekommen sie von ihm als Unterstützung Pferde und Proviant, um ihre Reise weiter bestreiten zu können.[19] Auch Beowulf und sein Gefolge bekommen bei ihrer Abreise aus Dänemark von König Hrothgar Geschenke für das Besiegen von Grendel.[20]

Der Drache

Die wahrscheinlich deutlichste Parallele, die in der Forschung des Öfteren erwähnt wird, besteht in den Episoden rund um die Drachen der beiden Erzählungen. Christensen widmet den Ähnlichkeiten zwischen ihnen ein ganzes Kapitel. In dieser Stelle dieses Artikels wird allerdings nur auf die Handlungsparallelen rund um den Drachen eingegangen.
Der Drache Smaug aus dem Hobbit hat das Innere des Berges Erebor besetzt. Dort hat er einen großen Schatz angesammelt, den er nun hütet. Bilbo, der im Verlauf der Geschichte mehrmals den Titel Meisterdieb erhält, kann mithilfe des Ringes durch einen geheimen Nebeneingang ungesehen in Smaugs Heimstätte eindringen und ihm einen goldenen Pokal entwenden. Smaug, dem dieser Verlust nicht entgeht, der aber den Dieb nicht sehen konnte, macht sich auf den Weg seinen Zorn an der nahe gelegenen Menschenstadt auszulassen, da er den Dieb unter den Dorfbewohnern vermutet. Im Zuge dieses Angriffs wird Smaug getötet.[21]
Beim Drachen in Beowulf klingt die Geschichte sehr ähnlich.

[…] als auf einmal anfing,
In dunklen Nächten ein Drache zu wüten,
Der auf einer hochgelegenen Heide einen Hort bewachte,
Eine steile Steinhöhle. Ein Steig führt hinunter,
Den Leuten unbekannt. Doch gelangte einer,
Man weiß nicht wer, auf irgendeinem Wege dorthin
Zu dem heidnischen Hort. Die Hand stahl einen Schatz,
Ein glänzendes Schmuckstück, schwer bewacht vom Drachen, […]
[…] Einen kostbaren Kelch. Solcher Kleinode waren viele
Im Inneren der Erdhöhle, uralte Schätze, […][22]

Der Sklave, der hier im Auftrag seines Herren den Kelch stielt, kommt ebenfalls ungesehen am Drachen vorbei, allerdings nicht durch einen magischen Ring, sondern weil der Drache schläft.
Die Parallelen sind unverkennbar. Beide Drachen leben in einer Höhle aus Stein, bewachen einen Schatz und werden von einem ungesehenen Dieb eines goldenen Pokals beraubt. Anschließend machen sie sich beide auf, an den Menschen Rache zu nehmen, verwüsten dabei Teile von menschlicher Zivilisation und finden am Ende ihren Tod.

Kritik und Fazit

Christensen bietet in ihrer Arbeit eine ganze Reihe von Vergleichen und Ähnlichkeiten zwischen Beowulf und dem Hobbit. Obwohl von einigen Parallelen, wie die zwischen den Episoden der Drachen, durchaus geschlossen werden kann, dass Tolkien beim Schreiben des Hobbit von Beowulf inspiriert wurde, ist die These, dass der Hobbit eine Art Neufassung von Beowulf ist, vielleicht doch etwas zu stark. Viele Motive die Christensen als Parallele zwischen den beiden Geschichten aufzeigt, sind weniger speziell, als es zunächst klingt. Zum Beispiel die zwischen dem mitgebrachten und aufgespießten Orkkopf auf der einen und Grendels Kopf auf der anderen Seite. Den Kopf eines Gegners als Trophäe mitzunehmen ist ein gängigeres Motiv. Dass man in dem Punkt eine direkte Verknüpfung der beiden ausgewählten Werke herstellt, scheint etwas voreilig zu sein. Auch wenn die Ähnlichkeit so weit geht, dass es sich in beiden Fallen um die Köpfe von Monstern handelt.
Dass Tolkien im Erschaffen des Hobbits von Beowulf inspiriert wurde, kann man annehmen. Dass das Werk eine Neuinterpretation des altenglischen Epos ist, ist dann aber doch eine etwas zu drastische These.


[1] Eine Auflistung der verschiedenen möglichen Quellen mit zusätzlichen Kommentaren findet man in Shippey, Tom: The Road to Middle-Earth. Boston: Houghton, 1983, S. 288ff.

[2] Vgl. Shippey, Tom: The Road to Middle-Earth. Boston: Houghton, 1983, S.390.

[3] Vgl. Ebd., S.389.

[4] Vgl. Christensen, Bonniejean: Beowulf and The Hobbit: Elegy into Fantasy in J.R.R. Tolkien’s Creative Technique. Dissertation, University of Southern California, 1969, S. 5f.

[5] Vgl. Tolkien, J.R.R.: The Monsters and the Critics. In: The Monsters and the Critics and other Essays. Hg. v. Christopher Tolkien. London: HarperCollins, S. 5-48.

[6] Vgl. Christensen, S.21.

[7] Vgl. Tolkien, J.R.R.: The Hobbit, London 2006, S.41ff.

[8] Vgl. Christensen, S.39f.

[9] Beowulf: Ein altenglisches Heldenepos. Übersetzt und herausgegeben von Martin Lehnert. Reclam, Stuttgart 2004 S. 61, Vers 761.

[10] Tolkien: The Hobbit, S.42.

[11] Vgl. Beowulf, S.34ff, Vers 121ff.

[12] Vgl. Ebd., S.38ff, Vers 229ff.

[13] Tolkien: The Hobbit, S.137f.

[14] Vgl. Christensen, S. 96.

[15] Vgl. Ebd., S.99.

[16] Vgl. Tolkien: The Hobbit, S.154.

[17] Vgl. Beowulf, S.104f, Vers 1635ff.

[18] Vgl. Christensen, S.101.

[19] Vgl. Tolkien: The Hobbit., S.154f.

[20] Vgl. Beowulf, S.72f, Vers 1019ff.

[21] Vgl. Tolkien: The Hobbit.

[22] Beowulf, S.132, Vers 2210ff.

Grendel und Gollum – Ein Vergleich zweier Monster

J.R.R. Tolkien war Philologe und hat sich im Zuge dessen viel mit altenglischer Literatur beschäftigt. Dass ihn einige der Werke beim Schreiben seiner eigenen Bücher und der Erschaffung seiner eigenen Welt, Mittelerde, stark beeinflusst haben und ihm teils als Quelle für Ideen dienten, ist also nicht sonderlich verwunderlich. Da Tolkien sich im Besonderen mit dem altenglischen Epos Beowulf auseinandergesetzt hat, wurde in der Forschung wiederholt die These aufgestellt, dass ganze Handlungsstränge von Tolkiens Hobbit oder der Herr der Ringe-Trilogie von Beowulf beeinflusst sind. Auf diese umfassenderen Vergleiche wird dieser Artikel nicht näher eingehen. Stattdessen sollen die Ähnlichkeiten eines bestimmten Aspekts genauer beleuchtet werden. Tolkiens Welt Mittelerde ist reich an unterschiedlichsten Fabelwesen. Darunter findet man auch Monster. Monster gibt es wiederum auch im Beowulf einige und die spielen keine kleine – laut Tolkien sogar die größte – Rolle in den Handlungssträngen dieser Geschichte.[1] Zwischen den Monstern in Tolkiens Werken und denen im Beowulf gibt es einige Überschneidungen, darunter teilweise sogar sehr große Ähnlichkeiten, wie beispielsweise zwischen dem namenlosen Drachen aus Beowulf und dem Drachen Smaug im Hobbit.  In diesem Artikel sollen die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen zwei dieser Monster untersucht werden: Zum einen Grendel aus Beowulf, welcher den ersten großen Gegner für den namensgebenden Helden des Werkes darstellt und somit die Handlung des ersten Drittels des Buches maßgeblich beeinflusst. Zum anderen Gollum, aus Tolkiens Mittelerde, der für viele Leser zu den faszinierendsten Figuren dieser Welt zählt und der ebenfalls einen großen Teil zur Geschichte des Hobbits und der Herr der Ringe Bücher beiträgt.

Gemeinsamkeit Lebensraum

Gollums ersten Auftritt findet man im Hobbit, als Bilbo allein durch die Dunkelheit eines Höhlensystems in den Bergen irrt.[2] Das erste Auftreten der Figur wird also stark von der Umgebung, von Gollums Wohnort, mitgezeichnet. Er lebt auf einer „slimy island of rock“[3], die in der Mitte eines kleinen Sees liegt. Dieser See befindet sich sehr tief innerhalb des Berges, was dadurch klar wird, dass Bilbo von seinem ohnehin schon orientierungslosen Standort durch einen langen abschüssigen Gang immer tiefer in den Berg hinein wandert, bevor er an dem See ankommt.[4] Der ganze Ort ist vollkommen dunkel, sodass Bilbo zunächst absolut nichts sieht. Gollum dagegen, der hier zuhause ist, hat große, helle Augen, die als „lamp-like“[5] beschrieben werden, also in schwachem Licht strahlen. Scheinbar kann er mit ihnen auch sehr gut sehen, da er in der Dunkelheit von seiner kleinen Insel aus problemlos erkennt, dass Bilbo, der am Ufer des Sees steht, kein Ork ist.[6]

In dieser Beschreibung findet man die erste starke Ähnlichkeit zu Grendel. Auch Grendels erste Erwähnung beinhaltet seinen Wohnort. Gleich im ersten Grendel beschreibenden Satz heißt es: „[…] der gräßliche Unhold, der in der Finsternis hauste […]“[7]. Spezifischer wird beschrieben, dass Grendel in einem angrenzenden Moor lebt.[8] Im zweiten Teil der Geschichte, in dem Beowulf Grendels Mutter nach ihrem Rachezug zu ihrem Heim zurückverfolgt, wird die Behausung der beiden Monster näher beschrieben. Die Heldenschar kommt im Moor an ein Gewässer, das sie als Heimat des Monsters erkennen. Beowulf springt ins Wasser und wird von Grendels Mutter in Halle geführt, die sich unter Wasser befindet, in die aber kein Wasser eindringt.[9]  Sowohl Gollum, als auch Grendel, leben also in einer Art unterirdischen Höhle und werden mit Dunkelheit in Verbindung gebracht. Sie scheinen ebenfalls beide lichtscheu zu sein. Grendel greift in der ganzen Geschichte nur nachts an[10] und in Gollums Werdegang, den Gandalf in Die Gefährten Frodo beschreibt, gibt es einen Moment, in dem die Wärme und das Licht der Sonne anfangen, Gollum Schmerz zuzufügen und er sich bewusst in die Dunkelheit der Berge zurückzieht.[11] Auch der Bezug zu Wasser ist bei beiden Monstern gegeben. Grendel lebt im Moor in einem See und Gollum auf der schlammigen Insel in der Mitte des Bergsees. Gollums Bezug zum Wasser wird durch sein früheres Leben als Mitglied eines Hobbitvolkes, der seinerseits ein sehr wasserverbundenes Leben führte, noch verstärkt.[12] Auch die in der Dunkelheit leuchtenden Augen Gollums finden sich bei Grendel wieder. Im Beowulf heißt es: „Aus seinen Augen flammte, der Lohe gleich, ein gräßliches Licht.“[13]. Anders als bei Gollum lässt sich in Grendels Fall jedoch nicht sagen, ob dieses Licht zur Verbesserung seines Sehvermögens beiträgt.

Gemeinsamkeit Kain

Neben diesen charakteristischen Ähnlichkeiten gibt es eine weitere sehr deutliche Verbindung, auf die in der Forschung eingegangen wird, wenn es um die Gemeinsamkeiten zwischen Beowulf und Tolkiens Werken geht.[14] Sie besteht im Bezug zu der biblischen Geschichte von Kain. Im Fall von Grendel wird dieser Bezug direkt im Werk hergestellt. Grendel ist, wie andere Monster auch, ein Nachfahre Kains.[15] Er hat das Böse vererbt bekommen und lebt, wie sein Vorfahre, außerhalb der menschlichen Zivilisation im Exil. Gollum wird dagegen in kein Verwandtschaftsverhältnis zu Kain gesellt, sondern begeht den Sündenfall selbst. Sméagol, wie Gollum heißt, bevor er seine Wandlung zum Monster durchgemacht hat, angelt zusammen mit seinem Freund Déagol. Als Déagol dabei ins Wasser fällt, findet er den Ring. Sméagol möchte den Ring selbst gerne haben und tötet Déagol, als dieser ihm den Ring nicht freiwillig übergibt.[16] In der Erzählung ist zwar nicht die Rede von einer brüderlichen Verwandtschaft zwischen den beiden, aber aufgrund der Ähnlichkeit der Namen kann man zumindest vermuten, dass die beiden in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zueinander stehen.[17] Sméagol, der daraufhin zu seiner Familie zurückkehrt, erfährt durch den Einfluss des Ringes eine stetige Wesensveränderung, die dazu führt, dass er ins Exil verbannt wird.[18] Sméagols beziehungsweise Gollums Geschichte erinnert sehr stark an die biblische Erzählung Kains.

Obwohl Grendel das Böse nur durch Kain geerbt hat und Gollum die böse Tat selbst verübt hat, sind die Parallelen durch den Bezug auf dieselbe biblische Geschichte doch deutlich.

Unterschiede

Trotz dieser deutlichen Parallelen zwischen den beiden Monstern gibt es auch grundlegende Unterschiede. Diese betreffen zum einen das Aussehen: Von den leuchtenden Augen abgesehen bestehen keine nennenswerten Ähnlichkeiten. Gollum wird als „a small slimy creature“[19] beschrieben. Grendel dagegen wird als „Riese“[20] bezeichnet. Die Größe wird durch das spätere tragen seines Kopfes, was nur von vier Männern zusammen möglich ist, besonders deutlich veranschaulicht.[21] Dazu hat Grendel Klauen,[22] die in Gollums Erscheinungsbild ebenfalls nicht auftauchen.

Ein anderer Unterschied liegt darin, dass Grendel wie erwähnt als Monster geboren wurde und durch sein Erbe vollständig böse zu sein scheint. Gollum war dagegen früher mal ein Wesen, das einem Hobbit ähnlich ist.[23] Ob man Hobbits als Monster bezeichnen kann oder nicht, ist eine Frage auf die auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll. Aber sie sind in Tolkiens Welt zumindest recht eindeutig keine bösen Wesen. Sméagol wird erst ab dem Zeitpunkt, an dem der Ring in seinem Leben auftaucht und er Déagol tötet, böse. Und selbst nach all den Jahren in der Dunkelheit, in denen sein ehemaliges Wesen immer mehr verschwunden ist, scheint der gute Teil im Kontakt mit Frodo und Sam teils wieder ein wenig hervorzukommen.[24] Gollum scheint, im Gegensatz zu Grendel, also nicht von Natur aus böse zu sein.

Vielleicht ist es auch diese Wesensverschiebung, die dafür sorgt, dass die beiden Monster eine unterschiedliche Rolle in der Geschichte einnehmen. Während Grendel einen klaren Gegner des Helden darstellt, wechselt Gollums Rolle zwischen Gegner und Konkurrent um den Besitz des Ringes und Verbündetem der Helden, der ihnen hilft ihre Aufgabe zu erfüllen ­– wenn auch teils eher widerwilli­g –, hin und her.

Fazit

Gollum kann aufgrund der beschriebenen Parallelen und trotz, beziehungsweise vielleicht auch wegen der Unterschiede, als moderne Interpretation von Grendel gesehen werden. Von beiden entsteht zunächst der Eindruck eines Ungeheuers, welches  in einiger Entfernung zur menschlichen Zivilisation, und in der Dunkelheit lebt und eine starke Verbindung zum Wasser hat. Die Ähnlichkeit wird durch den Sündenfall des Bruder- beziehungsweise Verwandtschaftsmordes aus Eifersucht und die anschließende Verbannung ins Exil noch vertieft. Diese Tat wird in Tolkiens Werken nicht von einem Vorfahren verübt, sodass Gollum nicht als geborenes Böses dasteht. Stattdessen kann man ihn als eine Figur betrachten, deren seelischer Verfall nachvollziehbar ist und die den Zugang zu ihrer guten Seite vielleicht nicht vollständig verloren hat. Damit kann man Gollum als eine im Äußeren etwas umgestaltete Neuinterpretation von Grendel sehen, die einem einen tieferen Einblick in das Innenleben des Monsters gewährt.
Die These, dass Tolkien bei der Erschaffung der Figur Gollums tatsächlich so stark von Grendel beeinflusst wurde wie eben dargestellt, lässt sich nicht mit endgültiger Sicherheit beweisen, da Tolkien selbst dazu keine ausführliche Auskunft gegeben hat.[25] Aber die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Monstern und die Tatsache, dass Tolkien sich selbst stark mit Beowulf auseinandergesetzt hat, lässt zumindest die Vermutung auf einen gewissen Einfluss von der Figur Grendel auf die Entstehung von Gollum nicht unplausibel erscheinen.


[1]    Vgl. Tolkien, John R. R.: The Monsters and the Critics. In: The Monsters and the Critics and other Essays. Hg. v. Christopher Tolkien. London: HarperCollins, S. 5-48.

[2]    Vgl. Tolkien, J.R.R.: The Hobbit, London 2006, S. 81ff.

[3]    Ebd. S. 85.

[4]    Ebd. S. 83f.

[5]    Ebd. S. 85.

[6]    Ebd. S. 85.

[7]    Beowulf: Ein altenglisches Heldenepos. Übersetzt und herausgegeben von Martin Lehnert. Reclam, Stuttgart 2004 S. 32, Vers 86f.

[8]    Vgl. ebd. S. 33, Vers 103f.

[9]    Vgl. ebd. S. 94ff., Vers 1398ff.

[10]  Vgl. ebd.

[11]  Vgl.Tolkien, John R.R.: The Lord of the Rings. The Fellowship of the Ring, London 1999, S. 71.

[12]  Ebd. S. 69.

[13]  Beowulf,  S. 60, Vers 726f.

[14]  Siehe zum Beispiel Nelson, Brent: Cain-Leviathan Typology in Gollum and Grendel. In: Extrapolation: A Journal of Science Fiction and Fantasy 49/3 (2008)

[15]  Beowulf, S. 33, Vers 106ff.

[16]  Tolkien: The Fellowship of the Ring, S. 70.

[17]  Vgl. Brent: Cain-Leviathan Typology in Gollum and Grendel, S. 467.

[18]  Tolkien: The Fellowship of the Ring, S. 70f.

[19]  Tolkien,: The Hobbit, S. 84.

[20]  Beowulf, S. 61, Vers 761.

[21]  Ebd., S. 104, Vers 1635ff.

[22]  Ebd., S. 60, Vers 738.

[23] Tolkien: The Fellowship of the Ring, S. 69.

[24]  Vgl. Tolkien, J.R.R.: The Lord of the Rings. The Two Towers, London 2007.

[25]  Vgl. Brent: Cain-Leviathan Typology in Gollum and Grendel., S. 466.

Ein Vergleich der Drachen im Beowulf und in Tolkiens Hobbit

J.R.R. Tolkien ist vor allem durch seine Werke wie Herr der Ringe oder Der Hobbit bekannt. Doch Tolkien war auch Professor für englische Sprache und beschäftigte sich intensiv mit Beowulf. Auf die Frage nach der Beziehung zwischen Hobbit und Beowulf gibt er in einem Brief zur Antwort, dass Beowulf zu seinen wertvollsten Quellen gehört:

Beowulf is among my most valued sources; though it was not consciously present to the mind in the process of writing, in which the episode of the theft arose naturally (and almost inevitably) from the circumstances. 1

Tolkiens intensive Beschäftigung im Besonderen mit Drachen ist in einem weiteren Brief enthalten, in dem er seine Meinung über den Beowulf-Drachen äußert:

I find ‚dragons‘ a fascinating product of imagination. But I don’t think the Beowulf one is frightfully good. But the whole problem of the intrusion of the ‚dragon‘ into northern imagination and its transformation there is one I do not know enough about. Fáfnir in the late Norse versions of the Sigurd-story is better; and Smaug and his conversation is in debt there. 1

Aus seinem Aufsatz über das altenglische Epos „The Monsters and the Critics“ kann zudem herausgelesen werden, dass er einen besonderen Fokus auf die Ungeheuer der Erzählung gelegt hat, wozu auch der Feuerdrache gehört:

And dragons, real dragons, essential both to the machinery and the ideas of a poem or tale, are actually rare. [The Beowulf poet] esteemed dragons, as rare as they are dire, as some do still. He liked them – as a poet, not as a sober zoologist; and he had good reason.2

Geradezu naheliegend scheint da der Vergleich zwischen dem Drachen im Beowulf und dem Drachen im Hobbit; daher wird in diesem Artikel untersucht, in welchen Merkmalen sich die beiden Drachen ähneln oder unterscheiden, wie ihre Beziehungen zu anderen Figuren dargestellt werden und welche jeweiligen Rollen und Funktionen beide in der Erzählung haben.

Vergleich der Drachen

Im Vergleich der Merkmale und des Verhaltens beider Drachen sieht man mehrere Punkte, in denen sich die Drachen stark ähneln.  Es gibt im Beowulf keine ausführliche Beschreibung des Drachens,  er erscheint  in der Handlung ohne jedwede Hinführung, wie auch Gwyn Jones schreibt: „Admittedly one would be troubled to draw the dragon in any detail“3. Durch bestimmte Verhaltensweisen und Handlungen lassen sich jedoch einige Informationen ableiten.

Tolkien hingegen beschreibt den Drachen im Hobbit ausführlich. Der Drache Smaug wird eingehend dargestellt, einmal aus einer auktorialen Erzählperspektive, die den Drachen visuell vorstellt, ein weiteres Mal durch mehrere Passagen, in denen Smaug selbst die Erzählperspektive einnimmt. So tritt Smaug als „rotgoldner[…] Drache“4 mit einem langen mächtigen Schwanz (H vgl.S. 217) auf und wird bei der Beschreibung seiner Flügel mit einer „Fledermaus“ (H S. 217) verglichen.

Stellt man die hier gewonnenen Informationen zusammen, ergeben sich erkennbare Verbindungen: Sowohl Smaug als auch der Drache im Beowulf sind nachtaktiv; Beowulfs Drache zeichnet sich genau durch dieses Verhalten aus, es wird explizit sein Bezug zur Nacht betont.

Der Tag war endlich vergangen / Nach Wunsch des wütenden Drachen.5

Zum Hort floh er zurück, / Zum geheimen Höhlenraum, vor hellem Tagesanbruch (B V. 2319f.)

Auch Smaug verbreitet sein Unglück nachts. Bereits zu Anfang der Erzählung bei der ersten Vorstellung Smaugs als das Monster, welches es zu bezwingen gilt, wird sein Erscheinen in der Nacht betont:

Die Kiefern rauschten auf der Höhe  und die Winde stöhnten in der Nacht. Das Feuer war rot und barst wie ein Glutball.  Die Bäume brannten hell wie Fackeln.  (H S.21)

Sogar die Reaktionen der mit den Drachen verbundenen Menschen ähneln sich stark in ihrer Wortwahl. Demnach heißt es bei Beowulf: „Der helle Feuerschein / Flößte den Leuten im Land Entsetzen ein“ (B V. 2313f.) und Tolkien schreibt in dem Lied der Zwerge: „[…] und die Menschen schauten mit fahlen Gesichtern herauf:  der Zorn des Drachen entbrannte noch heller als Feuer“ (H S. 22). Beide Drachen, wie man den gerade genannten Textstellen entnehmen kann, können Feuer speien und sind flugfähig. Feuer geht mit dem Bild des Drachen einher, es ist das erste Anzeichen für einen Drachen und die Methode seiner Zerstörung, „the monster and the fire turn out to be the same thing“6. Außerdem zeichnen sich die Drachen durch ihre außerordentlich starken Panzer aus. Am Kopf des Beowulf-Drachen zerbricht Beowulfs Schwert Nägeling (vgl. B V. 2680). Allerdings besitzt der Panzer eine verwundbare Stelle: „Indem [Wiglaf] den Kampffeind am Körper weiter unten traf / […]. Das ruhmreiche Schwert drang ein“ (B V. 2269f.). Auch Smaug wird durch einen starken Panzer geschützt; aber er ist im Vergleich zum Beowulf-Drachen noch weiter gestärkt und geschmückt:

[…] versprühte [Smaugs] untere Panzerseite im Mondlicht weißes Edelsteingeglitzer – aber ein einzelner Fleck blieb stumpf. […] Der Pfeil schlug ein […] (H S.251-252)

Anhand der Analyse der Kenningar von Hertha Marquardt wird der Beowulf-Drache nämlich sowohl „Schatzhüter“7  als auch „Hüter des Berges“8 bezeichnet, Begriffe die auch auf Smaug zutreffen. Ferner erreichen beide Drachen ein hohes Alter, im Beowulf heißt es: „So bewohnte der gewalttätige Volksfeind dreihundert Winter lang […]“ (B V.2278). Während im Hobbit Smaug spricht:

Ich brachte die alten Krieger um, und solche Krieger gibt es heute in der Welt nicht mehr. Und damals war ich noch jung und zart. Jetzt aber bin ich alt und stark, stark, stark […] (H S.229)

Beziehung zu anderen Figuren

Um die Charakterisierung fortzusetzen, sollen nun die Verknüpfungen der Drachen mit anderen Figuren betrachtet werden. Beide Drachen kommen mit nur einer kleinen Anzahl an Figuren in Berührung. Smaug trifft auf Bilbo Beutlin, den Meisterdieb, der den Pokal entwendete und seinen Bewacher damit aus dem Schlaf holte; und auf Bard den Bogenschützen, der ihn mit einem gezielten Schuss an seiner Schwachstelle trifft und tötet. Mit ähnlich vielen Personen tritt der Drache im Beowulf in Kontakt. Vor allem der Held Beowulf selbst setzt sich mit dem Drachen auseinander; dazu kommt Wiglaf, der den Drachen durch einen gezielten Stoß in seine Schwachstelle zum Tod verhilft. Dieser Drache trifft auch auf ‚seinen‘ Dieb. Der Dieb ist hier ebenso der Grund für das Aufwachen des Drachens.

Der Beowulf-Drache kommt im Wesentlichen aber nur mit einer Figur in Berührung: König Beowulf. Dieser Kampf, in dem der Drache mit Feuer und voller Wut versucht, Beowulf zu töten, ist die einzige Auseinandersetzung. Gegenüber anderen Figuren reagiert der Drache nur mit Wut und Zorn. Den Dieb sucht er „[k]ochend vor Wut“ (B V. 2296) in der Umgebung; gegenüber Beowulf wird „sein Zorn entzündet“ (B V. 2555), sobald er Beowulf hört. Der Drache ist in diesem Moment nur auf einen Kampf aus (vgl. B V. 2561).

Ein weiterer Mensch, der insbesondere für den Tod des Drachen eine große Rolle spielt, ist Wiglaf. Dieser lenkt den Drachen durch einen geschickten Stoß, in eine sich am Bauch befindende Schwachstelle (vgl. B V. 2269-70), ab, sodass Beowulf den Drachen töten kann, bevor er selbst kurze Zeit später – an einer von dem Drachen zugefügten Wunde – stirbt. „Wiglaf ist der eigentliche Überwinder des Drachens, stellt aber seine Hilfe ganz bescheiden dar […]“9, da der Tod des Drachens zu Gunsten Beowulfs geschieht.

Im Hobbit ist es insbesondere Bilbo, der durch den Dialog mit dem Drachen und den Beobachtungen, die er währenddessen anstellt, Smaug mehr Tiefe verleiht. Bilbo hat bei seinem zweiten Gang in die Höhle eine lange Unterhaltung mit Smaug. Smaug kann sprechen und sich mit Bilbo unterhalten, was einen bedeutenden Unterschied zwischen beiden Drachen darstellt. Smaug entwickelt sich zu mehr als einer gewalttätigen Bestie, die es zu erschlagen gilt. Denn, obgleich der Beowulf-Drache nicht vollständig einem Tier bezüglich seiner Intelligenz gleicht, ist er doch weit entfernt von der geistigen Auseinandersetzung zwischen Bilbo und Smaug.

Bilbo schleicht unsichtbar durch die Halle und lenkt Smaug mit Schmeicheleien und Rätseln ab. Der Drache bemerkt das zwar sofort (vgl. H  S.2 25) und hält „kein einziges Wort Bilbos für wahr“ (H S. 225), lässt sich aber trotzdem auf die Rätsel und Komplimente ein. Im Laufe der Unterhaltung entlockt er Bilbo mehrere Details über seine Herkunft und Gruppe (vgl. H S. 225), oftmals durch kleine Fehler des Hobbits, die der Drache sofort bemerkt. Es gelingt ihm sogar, Bilbo zu verunsichern, indem er auf seine bereits bestehenden Zweifel eingeht, wodurch dieser tatsächlich beginnt, die Zwerge zu verdächtigen (vgl. H  S. 228). Damit hat Smaug einen Konflikt in Bilbo erkannt, von dem dieser selbst noch nicht einmal wusste. „Drachenzauber“ (H S. 228) wird Smaugs Einfluss genannt, seine Persönlichkeit ist so „überwältigend“ (H S. 228), dass Bilbo dagegen ankämpfen muss. Während der gesamten Unterhaltung kommt Smaugs Arroganz zum Vorschein, sein Stolz über seine Kraft und seinen Besitz; diese Arroganz verleitet ihn jedoch dazu, auf Bilbos Bitte einzugehen, seine Unterseite zu offenbaren, und seine Schwachstelle zu entblößen:

[…] und daß es [Bilbo] aus ganz besonderen Gründen gelüstete, noch einmal genauer nachzuschauen. Der Drache rollte sich herum. „Schau“, sagte er. „Was meinst du dazu?“

[…] Aber im Innern dachte er: Alter Narr! Da ist doch ein leerer Fleck an seiner linken Brust, so nackt wie eine Schnecke ohne Haus! (H S. 229f.)

Funktion in der Handlung

Die Funktion und Rolle der Drachen ist anhand der Handlung klar auszumachen: Smaug ist der Antagonist des Hobbits, und wird schon im ersten Kapitel vorgestellt. Der Drache im Beowulf ist auch das zu bezwingende Monster,  wird allerdings erst sehr spät in Vers 2211 eingeführt. Trotz der Tatsache, dass sich beide Handlungen in nur scheinbar wenigen Details unterscheiden, haben Smaug und der Beowulf-Drache zwei grundlegend unterschiedliche Positionen in der Handlung.

Der erste große Unterschied zwischen beiden Werken findet sich in den Vorstellungen der Drachen, und der damit erzeugten Wirkung. Der Drache im Beowulf wird nur so weit präsentiert, als dass der König Beowulf einen Anlass, hat gegen das Monster zu kämpfen, „the dragon was in his right place, fulfilling his proper function“3, während Smaug genaustens beschrieben wird und  in der Gesamthandlung einen deutlich größeren Platz einnimmt. Die bereits erwähnten wiederholten Treffen mit Bilbo ermöglichen ein konkretes Bild des Drachens.

An genau dieser unterschiedlichen Gewichtung ist die Bedeutung der Drachen für die Erzählung festzumachen; Smaug begründet den Rahmen, in dem einerseits die Erzählung stattfindet, und den es andererseits zu brechen gilt. Der Beowulf-Drache dagegen dient im Schlusskapitel als Mittel zum Zweck für ein glorreiches Ende des Königs (vgl. B V.2842f.), und wie William Lawrence schreibt: „The dragon fits Beowulf as any dragon fits any hero.“10

Zweitens werden durch die längere Zeitspanne, die die Erzählung dem Drachen widmet, die tatsächlichen Begegnungen mit Smaug mit mehr Bedeutung beladen. Außerdem ist die Konfrontation das Resultat einer Erwartungshaltung, die während des gesamten Romans Kapitel für Kapitel gesteigert wurde: Die Handlung strebte von Anfang an auf das Treffen und Überwältigen Smaugs zu.

Im Beowulf dagegen beschäftigt sich der Autor nur kurz mit dem Drachen, da dieser als Monster weithin bekannt war: „that a man fights a dragon is commonplace of story“11, wodurch eine ausführliche Vorstellung ausfällt:„The dragon was so well known on Germanic soil that the poet of Beowulf did not even give him a name.”10
Mit diesem Satz illustriert Lawrence noch eindringlicher den grundlegenden Unterschied zwischen beiden Drachen. Wie schon angedeutet wurde, sind die ‚Namen‘ der Drachen wichtig. Der Drache im Hobbit trägt einen Namen, der im Beowulf allerdings nicht, wodurch auch seine Rolle in der Erzählung beeinflusst wird.

Deutlich wird diese Betrachtung anhand des Todes beider Drachen: In Smaugs letzten Momenten ist der Drache nämlich selbst im Fokus der Erzählung; der Tod des Drachen im Beowulf ist eine Randhandlung für die ausführliche Schilderung des langsamen Todes des Königs.

Smaug wird wie eine Figur behandelt, zeigt ein komplexes Innenleben und besitzt eine eigene Erzählperspektive. Sein Agieren mit Bilbo zeigt im Weiteren eine fast menschliche Intelligenz und konkrete Charakterzüge: Er ist arrogant, gierig, aber auch überaus intelligent und geradezu intrigant in seiner Fähigkeit, Bilbos Unsicherheiten auszunutzen. Tolkiens Drache reagiert nicht nur auf seine Umwelt, er besitzt in der Geschichte einen starken Willen, um eigenständig zu handeln. Sein Verhalten ist eigenständig und den anderen Figuren im Hobbit gleichgestellt.

Der Drache im Beowulf hingegen bleibt namenlos, die Erzählperspektive betrachtet den Drachen distanziert und führt ihn nur zum Zweck der Machtdemonstration des Königs ein. Der Kampf König gegen Drachen vollzieht sich in kurzen Zügen, und dient dem „Heldentod“ (B V.2842f.) Beowulfs, als ehrenvoller Abschluss des „Heldenleben[s]“ 12. Smaugs Tod hingegen beschäftigt sich nur mit Smaug, und offenbart die unterschiedlichen Gewichtungen der Drachen in beiden Erzählungen; der Drache im Beowulf ist Beowulf untergeordnet, Smaug im Hobbit ist die Ordnung, der sich die Erzählung anpasst.