Der Basilisk in J.K. Rowlings Harry Potter-Universum
Im zweiten Teil der Harry Potter-Fantasy-Romanreihe von J.K. Rowling, Harry Potter and the Chamber of Secrets (1998), spielt ein monströses Schlangenwesen eine zentrale Rolle: der Basilisk. Auf der zusammengeknüllten Buchseite, die Ron und Harry in Hermines versteinerter Faust finden, wird der Basilisk wie folgt beschrieben:
Of the many fearsome beasts and monsters that roam our land, there is none more curious or more deadly than the Basilisk, known also as the King of Serpents. This snake, which may reach gigantic size, and live many hundreds of years, is born from a chicken’s egg, hatched beneath a toad. Its methods of killing are most wondrous, for aside from its deadly and venomous fangs, the Basilisk has a murderous stare, and all who are fixed with the beam of its eye shall suffer instant death. Spiders flee before the Basilisk, for it is their mortal enemy, and the Basilisk flees only from the crowing of the rooster, which is fatal to it.1
In Rowlings fiktionaler Enzyklopädie magizoologischer Kreaturen Fantastic Beasts and Where to Find Them (2001) ist ihm darüber hinaus ebenfalls ein Eintrag gewidmet, der die fiktiven Eigenschaften des schlangenähnlichen Monsters beschreibt:
The first recorded Basilisk was bred by Herpo the Foul, a Greek Dark wizard and Parselmouth […]. The Basilisk is a brilliant green serpent that may reach up to fifty feet in length. The male has a scarlet plume upon its head. It has exceptionally venomous fangs but its most dangerous means of attack is the gaze of its large yellow eyes. Anyone looking directly into these will suffer instant death. If the food source is sufficient (the Basilisk will eat all mammals and birds and most reptiles), the serpent may attain a very great age. Herpo the Foul’s Basilisk is believed to have lived for close on nine hundred years. The creation of Basilisks has been illegal since medieval times although the practice is easily concealed by simply removing the chicken egg from beneath the toad when the Department for the Regulation and Control of Magical Creatures comes to call. 2
J.K. Rowling bediente sich an tradierten Vorstellungen vom Basilisken, die über das Mittelalter bis in die Antike zurückreichen. Im Folgenden sollen Kontinuitäten innerhalb Rowlings Basilisken-Darstellung und der abendländischen Bedeutungsgeschichte des Basilisken aufgezeigt werden. Dabei sollen mittelalterliche naturgeschichtliche Quellen und ihre antiken Vorbilder sowie exemplarisch mittelalterliche erzählende Literatur berücksichtigt werden.
Naturgeschichtliche Basilisken-Darstellungen
Zu Beginn sollen zunächst die antiken Berichte von Plinius dem Älteren aus dem 1. Jahrhundert in der Naturalis Historiae und der Reisebericht des von Plinius abhängigen Solinus, vermutlich aus dem 4. Jahrhundert, hinsichtlich intertextueller Bezüge analysiert werden, da diese Werke zum Kanon der mittelalterlichen Schullektüre zählten und deshalb allgemein bekannt waren.3 Plinius schreibt im 8. Buch seiner Naturkunde Folgendes über den Basilisken:
Dieser [der Katoblepas] ist daher immer zur Erde hinabgebeugt; wäre es anders, so würde das Menschengeschlecht vernichtet werden, da alle, die ihm in die Augen sehen, auf der Stelle den Tod finden. Die gleiche Kraft besitzt auch der Basilisk, eine Schlangenart. Er ist heimisch in der Provinz Kyrenaika [eine Küstenlandschaft in Nordafrika mit der Hauptstadt Kyrene, Anm. d. V.], ist nicht länger als zwölf Finger [etwa 24 cm, Anm. d. V.] und hat am Kopf einen weißen Fleck, der ihn wie ein Diadem schmückt. Durch sein Zischen verjagt er alle Schlangen und bewegt nicht, wie die anderen, seinen Körper durch vielfache Windungen, sondern geht stolz und halb aufgerichtet einher. Er läßt die Sträucher absterben, nicht nur durch die Berührung, sondern auch schon durch den Anhauch, versengt die Kräuter und sprengt Steine: eine solche Stärke hat dieses Untier. Man glaubte, daß jemand ihn einst zu Pferde mit einem Speer erlegt habe und daß das wirkende Gift an diesem emporstieg und nicht nur dem Reiter, sondern auch dem Pferd den Tod brachte. 4
Das Motiv des tödlichen Blickes ist somit bereits bei Plinius zu finden. Darüber hinaus identifiziert Plinius den Basilisken als eine Schlangenart, die anderen Schlangen durch ihr Zischen und ihre aufrechte Fortbewegung überlegen ist. Es handelt sich nicht um eine Schlange überdurchschnittlicher Größe wie bei Rowling, jedoch zeichnet sie sich ebenfalls durch eine übernatürliche Stärke und Giftigkeit aus. Was ein Gegengift betrifft, ist in weiteren mittelalterlichen naturkundlichen Quellen von Bibergeil, ein Duftsekret des Bibers, die Rede5, jedoch nicht von Phönixtränen wie bei Rowling.6 Laut Solinus sollen nicht einmal die sterblichen Überreste des Basilisken ihr Gift verlieren.7 So weiß er von einem Apoll-Tempel zu berichten, den Spinnen und Vögel gleichermaßen mieden, seit man einen toten Basilisken in einem goldenen Netz darin aufgehängt hatte.8 Die Angst der Spinnen vor dem Basilisken ist wiederum eine Parallele zum Harry Potter-Universum.
Auf Grundlage der genannten antiken Quellen entwickelte Isidor von Sevilla im 7. Jahrhundert in seinen Etymologiae eine Definition des Basilisken, die für seine Bedeutungsgeschichte entscheidende Weichenstellungen enthält.9 Isidor definiert den Basilisken in Buch XII der Etymologiae wie folgt:
Der Basilisk [ist] griechisch [und] wird lateinisch mit regulus (kleiner König) übersetzt, weil er der König der Schlangen ist, so dass die, die ihn sehen, fliehen, weil er sie mit seinem Geruch tötet, denn auch wenn er einen Menschen ansieht, tötet er ihn. So geht aber auch an seinem Blick kein fliegender Vogel unversehrt vorüber, sondern er wird, wie fern er auch ist, durch seinen Blick verbrannt [ja] verzehrt.10
In Isidors Ausführungen werden die intertextuellen Bezüge zu den antiken Vorbildern deutlich. So taucht auch bei ihm das Motiv des tödlichen Blicks auf. Tötet der Basilisk bei Plinius noch durch Berührung bzw. durch seinen Anhauch, ist bei Isidor bereits der Geruch des Basilisken tödlich. Die Montage ‚tödlicher Blick – tödliche Luft‘ ist laut Sammer in den nachfolgenden Quellen sogar häufiger anzutreffen als die ursprüngliche Kombination von tödlichem Blick, tödlichem Anhauch und tödlicher Berührung.11 Folgenreich ist zudem, dass Isidor den Basilisken als König der Schlangen klassifiziert. Sammer schreibt von einem „Epitheton“, das „nicht wegzudenken“12 ist. Wie einflussreich Isidors Definition im Mittelalter war, zeigt Sammer noch einmal ausführlich durch die teils wortwörtliche Wiedergabe in mehreren mittelalterlichen Quellen.13 Die Klassifizierung Isidors wirkt darüber hinaus bis in die Neuzeit hinein und beeinflusst theologische Auslegungen und Metaphorisierungen, sowie bildliche Darstellungen als bekrönte Schlange oder als bekröntes schlangenartiges Mischwesen.14 Bei Rowling wird der Basilisk ebenfalls als „King of Serpents“15 bezeichnet.
Basilisken-Motiviken in der mittelalterlichen erzählenden Literatur
Der Basilisk findet sich nicht nur in mittelalterlichen naturkundlichen Texten, sondern auch in mittelalterlicher erzählender Literatur, so z.B. in Konrads von Würzburg Partonopier und Meliur (1277).16 Als der junge Partonopier sich während einer Eberjagd im Wald verirrt, betet er verängstigt zu Gott, er möge ihn vor all den gefährlichen Kreaturen, die im Wald lauern, beschützen.17 Darunter befindet sich auch der Basilisk, dem Partonopier folgende Eigenschaft zuschreibt: hie loset unde lûzel / der basiliske tougen, / der sterbet mit den ougen / den menschen, als er in gesiht.18 Auch Konrad von Würzburg verwendet somit die Motivik des Basilisken mit tödlichem Blick. Für Partonopier geht jedoch keine echte Bedrohung durch den Basilisken aus. Er imaginiert ihn lediglich, da er sich als Kind, das noch nie allein von zu Hause fort war, allein im Wald fürchtet.19
Eine weitere Motivik aus mittelalterlicher erzählender Literatur ist die Tötung des Basilisken durch einen Spiegel oder einen großen Kristall, wodurch der tödliche Blick des Basilisken auf ihn selbst zurückgeworfen und somit die Selbstzerstörung ausgelöst wird.20 Traditionsbildend war diesbezüglich die Alexanderschlacht.21 Sie wird im Alexanderroman Der Große Alexander aus dem 14. Jahrhundert, auch Wernigeroder Alexander genannt, beschrieben.22 Alexander ist mit seinem Heer auf dem Weg zu einem wolkenverhangenen Berg.23 Bei der Durchquerung eines Tales
Da sach man auf dem Berg stan
Büsch, die warn also dik
Daz weder weg noch stig
Dar uber ging dan ain
Klainer steig allain.
Da zoch er mit ungehag
Pizz an den sibenden tag.
Da begegnent in ain solich smak,
Da von ir manger töt lag
Die zu dem ersten dar zugent,
Und sprachent all: „wir mügent
Nit für, die göter sind wider uns.“
Allexander sprach sünß:
„Stet all still gar,
Ich will allain gann dar.
Rauch mir den schilt mein,
Der von gold und gestain fein
Leuht als ain spigel.
Lan schawen waz daz triegel
Sey oder daz künder.“
Der kunig parg sich under
Den schilt und slaich all dar.
Dez nam der basalistus war
Und warf seiner augen schein
Wider den schilt fein,
Dar ynnen er sich selber ersach:
Daz kom im ze ungemach,
Wann er da umb starb
Und zu stund all da verdarb.
Da Allexander vernam daz
Der basalistus töd waz,
Er rüft seinen dienern dar
Und sprach: „nempt all war,
Daz ist der uns ermordet hat.“
Sie lobten all die getat.24
Alexanders Heer wird durch einen üblen Geruch aufgehalten, der so stark ist, dass mehrere Männer zu Tode kommen. Alexander beschließt allein loszugehen, um den Ursprung des Gestanks zu ergründen, nimmt jedoch seinen schützenden, mit Edelsteinen besetzten, goldenen Schild mit. Ein Basilisk, die Ursache für den üblen, tödlichen Geruch, starrt in den spiegelnden Schild und wird so durch sein eigenes Spiegelbild getötet. Alexander ruft daraufhin seine Diener und zeigt ihnen das besiegte Monster.
In Seifrits Alexander aus dem Jahre 135225 ist die Motivik ebenfalls zu finden. Hier ist es jedoch nicht Alexander, sondern Aristoteles, der den Basilisken mit seinem eigenen Spiegelbild bekämpft.26
da sach er an dem gepirg siczen
ainen unkcht und gegen im gliczen,
das ist ain wuerm und haist alsus
zu latein basyliscus.
das ist ain wuerm nit zu klain,
der ist so giftig und so unrain
das im die giftig taugen
scheinet durich die augen.
alles das er ane siecht,
das mag lenger leben nicht,
es sey mensch oder tier,
das mues sterben also schier.27
Der Basilisk in Seifrits Alexander ist so giftig, dass bereits sein Blick tödlich für Mensch und Tier ist. Letztendlich wird er jedoch durch Aristoteles und 80 Krieger mit jeweils 80 Schildern aus poliertem Stahl getötet:28
do er sach in die schilt so dikch
und auch von dem wider plikch
das er sich selb dar inne sach,
die gift im das herez ab prach,
das er auf der stet starb
und von sein selbs gift verdarb.29
In Rowlings Harry Potter-Universum kann der Basilisk zwar nicht durch sein eigenes Spiegelbild vernichtet werden. Sein tödlicher Blick kann aber abgeschwächt werden, indem seine Opfer ihm nicht direkt in die Augen sehen, sondern ihn durch eine spiegelnde Oberfläche bzw. einen durchsichtigen Geist erblicken, woraufhin sie lediglich versteinert statt getötet werden.30
Wie zu Beginn konstatiert, weist Rowlings Konzeption des Basilisken zahlreiche intertextuelle Bezüge auf, die vom Mittelalter bis in die Antike zurückreichen. Dabei wurde insbesondere die Motivik des tödlichen Blicks, aber auch die extreme Giftigkeit aufgegriffen. So wird Tom Riddles Tagebuch, was sich im späteren Verlauf der Romanreihe als schwer zerstörbarerer Horkrux herausstellt, von Harry mit dem giftigen Zahn des Basilisken durchbohrt und somit vernichtet.31Zudem ist auch die Klassifizierung des Basilisken als König der Schlangen bei Rowling wiederzufinden. Motiviken wie die Tötung des Basilisken durch sein eigenes Spiegelbild sind in abgewandelter Form festzustellen. Nichtsdestotrotz bildet die abendländische Bedeutungsgeschichte des Basilisken die Folie für Rowlings monströses Schlangenwesen.
- Rowling, Joanne K.: Harry Potter and the Chamber of Secrets. London 1999, S. 215.
- Rowling: Fantastic Beasts and Where to Find Them. London 2017, S. 7f.
- Vgl. Sammer, Marianne: Basilisk – regulus: eine bedeutungsgeschichtliche Skizze. In: Müller, Ullrich/ Wunderlich, Werner (Hgg.): Mittelalter-Mythen Bd. 2. Dämonen, Monster, Fabelwesen. St. Gallen: 1999, S. 135.
- Vgl. C. Plinius Secundus d. Ä.: Naturalis Historiae. Libri XXXVII. Buch VIII. Zoologie: Landtiere, hrsg. u. übers. v. Roderich König i. Zusammenarb. m. Gerhard Winkler, Berlin: 2007, Cap. XXXIII/§ 78-79.
- Vgl. Sammer, S. 136.
- Vgl. Rowling: Harry Potter and the Chamber of Secrets, S. 237.
- Vgl. Gaius Iulius Solinus: Wunder der Welt. Collectanea rerum mirabilium. Lateinisch und deutsch, eingel., übers. u. komm. v. Kai Brodersen, Thomas Baier, Martin Hose (Hgg.), Darmstadt: 2014, S. 211.
- Vgl. Gaius Iulius Solinus, S. 211.
- Vgl. Sammer, S. 137.
- Isidor Hispalensis: Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla, hg. v. Lenelotte Möller, Wiebaden: 2008, S. 463.
- Vgl. Sammer, S. 137f.
- Ebd., S. 137.
- Vgl. ebd., S. 138f.
- Vgl. ebd., S. 137.
- Rowling: Harry Potter and the Chamber of Secrets, S. 215.
- Vgl. Birkhan et. al: Motif index of German secular narratives from the beginning to 1400, Vol. 3., Miscellaneous romances, oriental romances, chansons de geste, Berlin, New York: 2006, S. 127.
- Vgl. Konrad von Würzburg: Partonopier und Meliur [1277], hg. v. Karl Bartsch, Berlin: 1970, V. 314–561.
- Vgl. Konrad von Würzburg, V. 536–539.
- Vgl. ebd., V. 551–561.
- Vgl. Sammer, S. 140.
- Vgl. ebd.
- Vgl. Kragl, Florian: Die Weisheit des Fremden: Studien zur mittelalterlichen Alexandertradition. Mit einem allgemeinen Teil zur Fremdheitswahrnehmung, Bern: 2005, S. 356 (Wiener Arbeiten zur germanischen Altertumskunde und Philologie 39).
- Der große Alexander aus der Wernigeroder Handschrift, hg. v. Gustav Guth, Berlin: 1908, V. 4589–4591.
- Der große Alexander aus der Wernigeroder Handschrift, V. 4592–4626.
- Vgl. Pawis, Reinhard: Seifrit. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 8, begr. v. Wolfgang Stammler, fortg. v. Karl Langosch, 2., völlig neu bearb. Aufl., hrsg. v. Kurt Ruh et al., Berlin, New York: 1992, Sp. 1050.
- Vgl. Seifrits Alexander. Aus der Straßburger Handschrift, hrsg. v. Paul Gereke. Berlin: 1932, V. 6705–6800.
- Seifrits Alexander, V. 6741–6752.
- Ebd., V. 6760–6780.
- Ebd., V. 6780–6786.
- Vgl. Rowling: Harry Potter and the Chamber of Secrets, S. 215f.
- Vgl. ebd., S. 237.